Berge Special

Mit dem Zug zum Trail

Der Skåneleden führt 1300 Kilometer durch Schwedens südlichste Provinz Skåne – und er ist perfekt mit Zug und Bus erreichbar. Franzi und Felix waren vier Tage mit Rucksack und Zelt auf dem Fernwanderweg unterwegs.

Hamburg nach Malmö mit dem Zug

Vitemölla. So heißt also dieses kleine Fischerdorf, an dessen Ortsschild ich vor Tagen schon einmal vorbeigekommen bin. Jetzt gerade bläst mir der Küstenwind um die Ohren und die Möwen über mir kreischen. Beim ersten Mal saß ich im Bus und bin so schnell vorbeigerauscht, dass ich den Namen kaum zu Ende lesen konnte.

Nun bewege ich mich deutlich langsamer. Mit Wanderschuhen an den Füßen und einem Rucksack auf dem Rücken, der alles andere als ein Fliegengewicht ist. Seit 50 Metern schon lese ich das Ortsschild immer und immer wieder:

Vitemölla, Vitemölla, Vitemölla.

Vorbei bin ich längst noch nicht.

So deutlich habe ich das Reisetempo selten vor Augen – das macht das Reisen zu Fuß für mich aus. Ich wandere gerne tage- oder gar wochenlang. Weil ich mehr Zeit zum Staunen habe, wenn ich die Welt zu Fuß erkunde.

Was das genau bedeutet, wie viel Zeit zu Fuß tatsächlich bleibt, wenn wir nur wenige Kilometer die Stunde zurücklegen – das begreife ich immer wieder aufs Neue, wenn sich mir eine Relation bietet.

Das Ortsschild von Vitemölla ist so eine Relation. Das habe ich vor Tagen in Sekundenbruchteilen hinter mir gelassen, während ich mit dem Bus zu dieser Wanderung angereist bin. Ich brauche hingegen Tage, um das Ortsschild vom Startpunkt aus zu Fuß zu erreichen. Zeit, die ich mir gerne nehme. Zeit zum Langsamsein.

»Hinter mir, geschützt von der Düne, steht unser Zelt. Ein paar rote Nylonwände, die diesen Ort zum Zuhause für eine Nacht machen.«

— Franzi

Angekommen

Die Füße im weißen Sand vergraben, sitze ich mit einer dampfenden Tasse Tee auf einem Baumstumpf am Strand. Das hellblaue Wasser plätschert leise ans Ufer, über mir kreisen ein paar Möwen. Hinter mir, geschützt von der Düne, steht unser Zelt. Ein paar rote Nylonwände, die diesen Ort zum Zuhause für eine Nacht machen. Felix sitzt mit dem Gaskocher davor und wartet, bis das Wasser im Topf zu kochen beginnt.

Das hier war unsere erste Nacht auf dem Trail. Und doch begleitet mich seit gestern Abend schon das komische Gefühl, dass ich angekommen bin. Auf dem Österlenleden. Komisch ist das deshalb, weil ich für gewöhnlich ein paar Tage länger brauche: um mich zu Hause zu fühlen in der ungewohnten Fremde, um in den Rhythmus zu kommen, um meinen Rücken an das Gewicht des Rucksacks und meine Füße an die langen Strecken zu gewöhnen.

»Vor mir breitet sich ein weicher, weißer Sandstrand aus. Das Meer ist so klar, dass ich den Boden noch erkennen kann, selbst wenn meine Knie schon im Wasser stehen.«

— Franzi

Nicht dieses Mal

Es ist, als hätten der Österlenleden und ich uns genau zur richtigen Zeit kennengelernt. Außerdem muss ich zugeben, dass er es mir sehr leicht macht, mich wohlzufühlen: Vor mir breitet sich ein weicher, weißer Sandstrand aus. Das Meer ist so klar, dass ich den Boden noch erkennen kann, selbst wenn meine Knie schon im Wasser stehen. Zuvor, an anderen Stellen, ist die Küste so hügelig, dass ich beim Anstieg aus der Puste komme und später von hoch oben auf das Meer herabblicken kann.

Ich weiß nicht, was ich von Südschweden erwartet habe – nicht viel, um ehrlich zu sein. Und dennoch etwas ganz anderes als das, was ich gerade vor mir sehe.

Schweden ist mittlerweile zu meinem zweiten Zuhause geworden – hier unten, im äußersten Süden, war ich bisher aber noch nie unterwegs.

Genau deshalb habe ich mir diese Tour ausgesucht: eine Mehrtageswanderung auf dem Österlenleden, von Vik bis Brösarp. Er ist eine Teilstrecke des Fernwanderwegs Skåneleden und der wiederum gehört mit einer Gesamtlänge von 1300 Kilometern zu Schwedens längsten Wegen. Mit einer Vielzahl von Abstechern und einer guten Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel – von Hamburg aus ist Malmö in circa sechs Stunden per Zug erreichbar, zusätzlich gibt es einen Nachtzug – bietet er mehr als genug Möglichkeiten, einzelne Etappen genau so aneinanderzureihen, dass eine Tour entsteht, die perfekt zu den eigenen Wünschen passt.

Unser Plan

Felix und meine Route umfasst vier Etappen mit einer Gesamtlänge von knapp 70 Kilometern. Wer nun denkt, auf 70 Kilometern würde sich in Schweden kaum etwas ändern, der war noch nicht zu Fuß zwischen all den bunten Feldern, den weißen Sandstränden, knallgrünen Buchenwäldern und Heidelandschaften in Österlen unterwegs.

Das Meer haben wir während der ersten beiden Tage fast immer im Blick. Oft aus unmittelbarer Nähe, weil wir manche Abschnitte direkt am Strand zurücklegen. Im weichen Sand fühlt sich ein Schritt an, als müsste ich für seine kurze Distanz mindestens zwei Schritte zurücklegen. Gleichzeitig lässt uns das Rauschen des Wassers jede Zeit vergessen, sodass wir sowieso nicht sagen können, wie weit wir schon gelaufen sind.

»Immer wieder biegen wir vom Strand in die Dünen- und Heidelandschaft ab, erklimmen kleine Hügel und ganze Höhenzüge, die zwischen den Blättern ein prächtiges Panorama auf das Meer bereithalten.«

— Franzi

Freiheit

Im Nationalpark Stenshuvud fühle ich mich in manchen Momenten wie damals in Tasmanien. Jahre ist es mittlerweile her, dass wir dort auf der wilden Insel im Südpazifik mit Zelt und Rucksack unterwegs waren. Obwohl dieses Abenteuer und diese Insel heute so weit weg sind, weht mir dieselbe Freiheit um die Nase, als ich auf den Felskuppen in Stenshuvud auf das Meer hinabblicke.

Die Momente, in denen wir die Panoramablicke auf weite Strände und dicht bewachsene Hügellandschaften in Schwedens südlichstem Nationalpark ganz für uns alleine haben, währen meist nicht lange: Ein Geheimtipp ist Stenshuvud nämlich nicht.

Der Skåneleden führt dennoch mitten durch sein Herz – und obwohl wir einige Wanderer und Tagesausflügler treffen (einige – vor allem für schwedische Verhältnisse), scheinen wir unmittelbar außerhalb der Parkgrenzen weit und breit die Einzigen zu sein, die zu Fuß mit großen Rucksäcken durch die Landschaft ziehen.

Auf den nächsten Etappen denke ich mir immer öfter, dass unsere Route das Beste aus verschiedenen Welten vereint: die eine Welt, in der eine Region wie gemacht ist für das Wandern. In der sich irgendwer alle Mühe gegeben hat, eine optimale Route zu finden, sie quasi idiotensicher zu markieren, sie zu garnieren mit Trinkwasserstellen, Schlechtwetter-Sheltern und Feuerplätzen. Das ist der Österlenleden. Ein Weitwanderweg mit perfekter Infrastruktur.

Die andere Welt ist eine, die wir ganz für uns haben: in der wir von oranger Markierung zu oranger Markierung laufen, unser Zelt manchmal an den ausgewiesenen Rastplätzen aufschlagen, uns aber manchmal auch das Jedermannsrecht zunutze machen. Eine Welt, in der wir nie lange suchen müssen, um Wasser aufzufüllen, und es immer wieder gut markierte Abstecher in die Zivilisation gibt und wir uns wie die einzigen Weitwanderer weit und breit fühlen. Unser Zelt steht als kleiner roter Punkt immer allein im endlosen Grün.

»Die andere Welt ist eine, die wir ganz für uns haben: Während wir von oranger Markierung zu oranger Markierung laufen, fühlen wir uns wie die einzigen Weitwanderer weit und breit.«

— Franzi

70 Kilometer Vielfalt

Nachdem wir von der Küste ins Landesinnere abgebogen sind, breitet sich ein Meer aus Kuppen vor uns aus, Wellen aus Wiese und Wald. Zwischen den weiten Hügeln, die ebenso die Weidelandschaft Irlands sein könnten, treffen wir auf Sonne und Regen, auf Wind, Pferde und einzelne Farmhäuschen. Oft zieht all das so schnell an uns vorüber, dass wir noch in ein Gespräch über die letzten Eindrücke versunken sind, als uns schon die übernächsten einholen.

Abend für Abend löffeln wir unsere gefriergetrocknete Nahrung aus Tüten und lassen den Tag Revue passieren. Gleichzeitig platzen wir vor Neugierde auf alles, was diese Tour noch für uns parat haben wird. Wenn wir uns anschließend mit müden Beinen und vollen Herzen auf unsere Isomatten ins Zelt legen, ist die Sonne noch nicht untergegangen. Die ganze Nacht lang bleibt es um diese Jahreszeit so hell, dass wir durch den Nylonstoff die Umrisse der Bäume sehen können.

Irgendwann wird der Wald so dicht, dass auf unser Zelt sowieso kaum mehr Licht fällt. Morgens schlafen wir dann weiter, während die Sonne am Himmel steht. Später beim Wandern kommen wir uns vor wie in den Tropen: Farne wachsen so hoch, dass sie mir fast bis zum Kinn reichen, Grillen zirpen und Vögel singen durcheinander. Der Weg ist ein schmaler Pfad durch üppiges Grün und erreicht immer wieder einen plätschernden Fluss. Auch seine Ufer sind von dichten Blättern bewachsen, an einer Stelle schwimmt in seiner Mitte eine Insel, die über und über von Farnen bedeckt ist.

»So viel Vielfalt passt doch nicht auf 70 Kilometer? Oder doch? Oder doch!«

— Franzi

Es kommt mir vor, als wären wir Wochen unterwegs. So viel Vielfalt passt doch nicht auf 70 Kilometer? Oder doch? Oder doch! Zumindest auf die, die wir innerhalb der letzten Tage auf dem Österlenleden zurückgelegt haben. Von endlosen Stränden über hohe Klippen durch weite Hügellandschaft bis in dichte Wälder, die sich regelrecht tropisch anfühlen. Das und noch viele Momente mehr, für die ich im Kopf Platz gemacht habe, haben wir erlebt, weil wir aus dem Bus ausgestiegen sind. Weil wir uns Zeit genommen haben zum Langsamsein.

Unsere Highlights

Im Zug zum Trek: Fernwanderungen in Schweden

Skåneleden

Der Skåneleden ist offiziell in fünf Teilstrecken (SL1–5) und 89 Etappen eingeteilt, die kreuz und quer durch Schwedens südlichste Provinz führen: Skåne. Wir waren vier Tage auf einer der Teilstrecken unterwegs, auf dem Österlenleden (SL4). Seine Routenführung ist so durchdacht, dass immer wieder eine gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz besteht. Ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für Reisende aus Deutschland ist Malmö – das Tor zur Region Skåne. Zum Beispiel von Hamburg aus gibt es täglich mehrere Verbindungen nach Malmö (durch Dänemark, Fahrzeit circa sechs Stunden). Ab 1. September 2022 wird es außerdem eine neue Nachtzugverbindung geben, die Hamburg mit Stockholm verbindet – ebenfalls mit einem Stopp in Malmö. Mehr Infos: www.skaneleden.se

Sörmandsleden

Als Rundweg angelegt, beginnt der Sörmandsleden in Björkhagen nahe Stockholm (der Nachtzug von Hamburg nach Stockholm braucht circa 12–13 Stunden und verkehrt täglich) und verläuft ringförmig um das Södermanland und seine Seenlandschaft – bis er bei Svarvaretorp wieder mit der ursprünglichen Route aus Stockholm zusammentrifft. Wer die komplette Strecke wandert, legt ungefähr 1000 Kilometer zurück. Zahlreiche Orte entlang der Route sind unkompliziert an Stockholms öffentliches Verkehrsnetz angebunden. Wer lieber läuft statt fährt, kann sogar innerhalb des Stadtgebiets schon in seine Wanderschuhe schlüpfen. Mehr Infos: www.sormlandsleden.se

Bohusleden

Von Göteborg bis fast nach Norwegen – auf rund 370 Kilometern durch üppige Laubwälder, weite Moore, ungezähmte Wildnis und malerische Seenlandschaften. Das ist der Bohusleden. Die Orte entlang der 27 Etappen haben immer wieder eine gute Anbindung an das Schienen- und Busnetz. Göteborg ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und von Hamburg aus in knapp neun Stunden per Zug erreichbar. Mehr Infos: www.bohusleden.se

Kungsleden

Vom Kungsleden, dem Königspfad, haben wohl alle schon einmal gehört, die sich näher mit Fernwandern in Europa beschäftigt haben. Er ist Schwedens längster und bekanntester Fernwanderweg. Sein beliebtester Abschnitt zwischen Abisko und Nikkaluokta führt auf 105 Kilometern durch Lappland – und ist hervorragend mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen: Die nächstgrößere Stadt Kiruna ist etwa mit einem Nachtzug mit Stockholm verbunden. Der SJ Nattåg braucht etwa 15 Stunden nach Kiruna, derselbe Zug fährt anschließend weiter nach Abisko. Mehr Infos: www.visitsweden.de


TEXT UND FOTOS: Franziska Consulati