»Der Weiße Riese kommt« titelten im Februar 2020 die Gazetten und stellten neue Kälterekorde für Deutschland in Aussicht. Also schnell die Schneeschuhe eingepackt und ab zum Winterwandern in den Harz.
Womit holt man Globetrotter Mitarbeiter im Winter hinterm Ofen hervor? Na, mit einem ordentlichen Schneemalheur natürlich. Ein gutes Indiz für selbiges sind stets die Medien. Wenn sich schon Tage vorher die Meteorologen ein Duell um die marktschreierischste Schlagzeile liefern, ist es höchste Zeit, mal im Keller nach Schneeschuhen und Pulka zu schauen. So auch im Februar letzten Jahres, als es hieß: »Der Weiße Riese kommt – die Folgen werden dramatisch sein.« Bis zu minus 30 Grad stellten die Wetterberichte in Aussicht, dazu 20 bis 30 Zentimeter Neuschnee. Das ließen wir, Anni Wilhelm und Simon Michalowicz von der Globetrotter Filiale Dresden, uns nicht zweimal sagen. Doch wohin? Natürlich mittenrein ins Kälteloch. Und das verorteten die Wetterfrösche glücklicherweise im Harz, Deutschlands höchstem Mittelgebirge nördlich der Donau, und auch sonst ganz schön.
Winterwandern im Harz: Der beste Schlafplatz?
Auf der Agenda: Tagestouren durch den Nationalpark zwischen Brocken und Oderteich mit vollem Gepäck als Test für eine später im Jahr geplante Gebirgsquerung auf Backcountryski in Norwegen. Auch eine Übernachtung im Zelt ist angedacht. Aber weil das Campingverbot im Nationalpark leider auch bei einem Meter Schnee und minus 30 Grad gilt, braucht es einen Plan B. Im nahen Hüttendorf Oderbrück, gelegen am Nationalpark, gibt es eine einzeln stehende Blockhütte am Waldrand, neben der wir unser Zelt aufbauen wollen. So können wir zum einen unsere nassen Socken vor dem Kamin trocknen und dann zur Schlafenszeit in die Leinwandvilla wechseln.
»Tagestouren durch den Nationalpark als Test für eine später im Jahr geplante Gebirgsquerung auf Backcountryski in Norwegen.«
Als wir jedoch den Schlüssel zur Hütte holen wollen, müssen wir ernüchtert feststellen, dass der »Weiße Riese« bereits zugeschlagen hat. Die Heizung der gesamten Hüttenanlage sei ausgefallen, da nachts ein Ventil zwischen zwei Gastanks nicht ordnungsgemäß funktioniert habe. So die traurige Info des Besitzers, der uns mit einem nassen Putzlumpen in der Hand empfängt. Und ohne Heizung seien natürlich binnen Stunden sämtliche Wasserleitungen eingefroren und geplatzt, der Schaden sei immens. Also gut, lassen wir das mit dem Draußenübernachten. Denn ohne Netz und doppelten Boden und noch dazu illegal wollen wir keinesfalls abgefrorene Extremitäten riskieren. Übernachtet wird stattdessen in einer Pension, basta!
Trotzdem laden wir das Zelt und die Schlafsäcke nicht aus dem Pulka, denn sicher ist sicher, und ihr wisst schon, der Trainingseffekt. Und der Gewöhnungseffekt. Lieber hier im Harz feststellen, ob und wo der Schuh drückt, wenn man einen schweren Pulka zieht, als dann später fern jeglicher Zivilisation in Norwegen.
Winterwonderland im Harz
Zunächst laufen wir von Torfhaus Richtung Oderteich. Das Thermometer zeigt minus 18 Grad. Der windfrei gefallene Schnee ist so fluffig, wie wir es noch nie erlebt haben. Obwohl mehr als knietief, fällt das Spuren leicht. Kaum haben wir die Harzhochstraße hinter uns gelassen, sind wir im absoluten Winterwonderland. Die Landschaft eine einzige frisch geweißelte Augenweide, der Schnee dämpft jegliches Geräusch und kein anderer Mensch weit und breit. Sofort stellt sich dieses Gefühl von Vollkommenheit ein, das wohl alle Winterwanderer schätzen. Man ist allein mit sich, den Elementen und man erlebt altbekannte Landschaften in völlig neuem Glanz. Stressiger Alltag? Zurückgelassen an der Harzhochstraße.
»Der Schnee liegt in den Senken so hoch, dass stellenweise sämtliche Wegspuren verschwunden sind.«
Ziellos streifen wir durchs Gelände, allein die grüne Hexe, Markierung des Weitwanderwegs Harzer Hexenstieg, weist uns den Weg. Sind die Abstände zu groß, driften wir hin und wieder etwas ab, denn der Schnee liegt in den Senken so hoch, dass stellenweise sämtliche Wegspuren verschwunden sind.
Vom Oderteich geht es hinauf zur Wolfswarte, wo wir für den schweißtreibenden Aufstieg mit einem wunderschönen Sonnenuntergang belohnt werden. Doch kaum ist die Sonne hinterm Horizont verschwunden, fällt die Temperatur in den Keller. Und zwar rapide. Eben noch hatten wir »nur« minus acht Grad, sind es zehn Minuten später schon minus 20. Sämtliche Gedankenspiele, ob wir nicht doch im Zelt schlafen sollten, werden schnell über den Haufen geworfen. Lieber laufen wir noch zwei Stunden durch den dunklen Winterwald zur Unterkunft.
Schneesturm beim Wandern im Harz
Am zweiten Tag im winterlichen Harz rüsten wir zum Sturm auf den Brocken, mit seinem baumfreien Gipfel und einer Höhe von 1142 Metern der Aussichtsberg schlechthin in Norddeutschland. Und bei unseren Bedingungen schier uneinnehmbar. Denn zur Kälte gesellt sich heute – entgegen jeder Vorhersage – ein veritabler Schneesturm, der die Flocken in jede Ritze treibt. Da wir nach 400 Höhenmetern Aufstieg auf eine flotte Abfahrt spekulieren, lassen wir den Pulka im Auto. Aber der große Rucksack mit Daunenmantel, Kocher und Thermoskanne samt heißem Wasser muss mit.
Zeitweise erkennen wir die Hand vor Augen nicht, doch immerhin ist die Wegführung eindeutig. Zwei Stunden lang geht es durchs Whiteout himmelwärts und man kann gut testen, wie der Körper auf diese Art Orientierungslosigkeit reagiert. Manchen wird nämlich bei solchen Bedingungen erst ein bisschen schwindelig und dann schlecht. Auch das findet man besser im Harz statt in der Hardangervidda heraus. Kurz vor dem Gipfel klart es auf, und wir bemerken belustigt, dass wir unseren ganz privaten Schneesturm hatten. Nur eine Wolke klebt südseitig im Lee hinterm Gipfel und schneit beständig vor sich hin. Links, rechts und hier oben scheint dagegen die Sonne.
Aufstieg, Abfahrt und Autofahrt
Nach einer kurzen Pause in einer Schutzhütte, bei der wir die verschwitzte Unterwäsche gegen trockene tauschen, machen wir uns frohen Mutes an die Abfahrt. Einmal mehr erleben wir dabei das Paradoxon, dass vieles, was einem beim Aufstieg enorm steil vorkam, auf Ski noch lange nicht für die Abfahrt taugt. Nur stellenweise kommen wir ins Gleiten, freuen uns dann aber über jeden Meter, den wir dem auf Schneeschuhen hinterherstiefelnden Fotografen abnehmen.
Als wir mit einem Grinsen und eingefrorenen Wimpern ins Auto zurück nach Dresden steigen, herrscht Einigkeit. Wer spontan ist, findet auch in Deutschland noch seine Portion Winter. Und das manchmal nicht zu knapp.