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Family Special

Ein Sommer im Camper
– Immer diese Experimente

2 Teens + 2 Erwachsene: 4 Leben und ein Campingbus. Familie Ullmann (Katrin, Sven, Sander und Flemming) fährt in den Schwarzwald, nach Kroatien, Venedig und wieder zurück. 

Katrin und Sven

Als freischaffende Theaterkritikerin lebt Katrin (51) gemeinsam mit Sven (60), Kunstlehrer, seit fast 20 Jahren in Hamburg St.Pauli. Ruhe oder Langeweile sind ungesehene Gäste in ihrem Alltag. Grund genug, mal wieder weit weg in den Urlaub zu fahren. 

Sander und Flemming

Sie streiten und sie lieben sich: Sander (16) und Flemming (12) sind zwei meinungsstarke Teenies mit viel Temperament. Gemeinsam ist ihnen ihre Leidenschaft für Fußball, Skaten und alles Digitale.

Der VW T6 – eine Sommerliebe

»Wann geht’s denn los mit eurem Barbie-Camper?«, fragt meine Freundin Eva. Eigentlich wollten wir uns noch treffen vorm Urlaub. Mindestens auf ein Getränk. Doch dann rast die Zeit und der Flur wird immer voller. Wir nehmen gerade täglich ein fast mannshohes Paket entgegen. Globetrotter liefert und liefert und ich bin froh, dass ich all das nur ausleihe. Auf dem Dachboden wäre jedenfalls kein Platz mehr. DHL kommt täglich mit neuen Akronymen: Mal kommt ein SUP, ein Surfbrett zum Paddeln für den Wasserspaß, dann ein riesiges Tarp für womögliche Regentage, ein kleines Zelt für den Fall, dass es im Wohnauto mal zu eng werden sollte. Täglich zwängen wir uns an den immer neuen Hindernissen auf dem immer kleiner werdenden Flur vorbei.

Wir, das sind mein Lebenspartner Sven, quereingestiegener Kunstlehrer, unsere Söhne Sander, 16, und Flemming, 12, beide sehr Skateboard- und Fifa-22-affin, und ich, freiberufliche Theaterkritikerin. »Immer diese Experimente!«, grummelt Sven. »Wir könnten doch einfach in einem kleinen Auto nach Dänemark fahren und dort für drei Wochen ein Haus in den Dünen mieten.« Erstens: ein Auto haben wir nicht. Daher leihen wir es uns von roadsurfer – einem der zahlreichen Verleih-Anbieter für Camping-Vans, und zweitens: Ist es doch »schon ein schönes Experiment« werfe ich kaum hörbar ein. Doch die Vorfreude hab ich in diesem Moment nur für mich allein.

»Dänemark, da regnet es doch nur. Da bleibe ich lieber drei Wochen zu Hause.«

– Flemming

Gefühlte sechs Wochen

An einem Freitag im Juli können wir unseren »Barbie-Camper« abholen, der in Wirklichkeit eine vollausgestattete »Ocean Surfer Suite« ist, sprich ein VW T6 mit ausfahrbarem Dach, einer zum Bett umklappbaren Rückbank, einer Küchenzeile, einem Frischwassertank und einer Außendusche. Erst dann, wenn er vor unserer Haustür steht, sehen wir, ob all die Leihgaben mitsamt unserem Gepäck und einem aufblasbaren Kajak in den VW-Bus passen. Erst dann sehen wir, wie groß der Stauraum wirklich ist.

Und dann wollen wir auch schon los. Von Hamburg in die Nähe von Soest, das ist die erste Etappe. Dort wohnt Svens Schwester und wir werden das erste Mal im Camper übernachten. Am nächsten Tag soll es weitergehen bis in den Schwarzwald zum nachgeholten 50. Geburtstag meines Schulfreunds Torsten. Ein Wochenende lang Party auf dem »Naturcamp Schluchsee«. Klingt nach einer herrlichen Sause und einem perfekten Zwischenstopp. Im Süden Deutschlands sind wir dann ja schon mal. Nur ein bisschen zu weit westlich. Denn tatsächlich wollen wir über Österreich und Slowenien bis nach Istrien, wo wir zehn Tage am Meer bleiben. Danach dann auf den Lido di Jesolo. Wir Erwachsenen wollen nach Venedig, wenn möglich auf die Biennale. Unsere Jungs wollen vor allem Pizza essen. Drei Tage haben wir für Venedig eingeplant, anschließend geht es über das Soča-Tal im slowenischen Triglav-Nationalpark wieder zurück in den Norden.

Wellenreiten im Mittelmeer

»Eure Route klingt eher nach sechs Wochen«, ruft Eva durchs Telefon. Und kurz überlege ich, ob es nicht doch schlauer gewesen wäre, einfach nach Dänemark zu fahren. Oder, wie Eva es macht, an die französische Atlantikküste. Hinfahren und bleiben. Entspannen. Weiter Sandstrand, die Kinder auf und in den Wellen. Südfrankreich war auch in der Diskussion – Dänemark war von beiden Söhnen boykottiert worden. Also Frankreichs Atlantikküste? »Nein, Digga,«, findet Sander, »ich will nach Kroatien und chillen.« Flemming sucht gleich seine siebenteilige Schnorchelausrüstung raus, die seit Weihnachten auf ihren Einsatz wartet. Die Route ist gesetzt, die Campingplätze sind reserviert. Jetzt, eine Woche vor der Abreise will Sander auf jeden Fall Wellenreiten und nix anderes: »Biarritz wäre viel cooler.« Zwischen Mittelmeer und Atlantik gibt es kaum Schnittmengen. Gleiches gilt für eine Familie mit halbwegs heranwachsenden Kindern. Immerhin: Die Aussicht auf Sonne, Meer und einen VW T6 mit Aufstelldach lässt die Laune langsam wieder steigen.

»Dieses Jahr möchte ich AUF JEDEN FALL Klippenspringen und schnorcheln.«

– Sander

Feuerwehr und Fernweh

Am Tag unserer Abreise brennt es im Nachbarhaus. Meterhoch schlagen die Flammen hinter den Fenstern der urlaubsverwaisten Räume. Drei Löschzüge sind angerückt, die Straße ist gesperrt. Die Feuerwehrleute sind entspannt. »Doch doch, in einer Stunde etwa«, da sei die Straße voraussichtlich wieder frei. In einer Stunde haben wir unseren Camper hier und wollen ihn beladen. Mit den Fahrrädern fahren wir zur Abholstation in Hamburgs Osten.

Dort, bei den roadsurfern, riecht es nach Diesel und Fernweh. Es gibt Kaffee, eine ausführliche Einweisung in das Fahrzeug und einen Satz Autoschlüssel. Mit den Fahrrädern fummeln wir ein bisschen rum, bis sie schließlich auf dem Träger montiert sind. Dann geht es zurück nach Hause. Und ja, die Straße ist wieder frei, der Brand gelöscht. Wir packen, packen, packen und starten exakt eine Stunde später. Alles ist drauf und drin. Das SUP-Board, die Koffer, die Hängematten, das Crêpe-Eisen, die Schlafsäcke, das Zelt, das Tarp, das aufblasbare Kajak, die Skateboards, zwei Liter Milch, mehrere Pakete Espresso und vier Kilo Nudeln. Abends, bei Svens Schwester, füllen wir den Frischwassertank auf und bekommen einen Besenstiel mit auf die Reise. Ein extrem nützliches Utensil, das die mit zwei Fahrrädern beladene Heckklappe nach dem Öffnen zuverlässig in der Waagerechten hält. 

Grappa im Schwarzwald

Bis zum Schluchsee ist es noch weit, die Serpentinen durch den Hochschwarzwald scheinen endlos. Allerdings waren die Jungs selten so reisefröhlich. Und auch ich, die eigentlich nicht besonders gerne Auto fährt, bin schockverliebt. Mit Tempo 130 munteres Überhohlen, kein Thema, gemütliche Automatik, das Fahrgefühl ist herrlich. Und die Stimmung entspannt, zumindest so lange Sanders R&B-und-Rap-Playlist läuft und zwei Paar Kinderaugen auf verschiedenen Displays kleben – »Sobald wir in Österreich sind, schaue ich nur noch aus dem Fenster, ich schwör!«

Am Abend stehen wir nur ein bisschen schief am Wegrand vor dem Naturcamp. Um den Bus schlafbar zu machen, müssen einzelne Gepäckstücke raus, andere auf die Vordersitze. Dann wird die Rückbank zum Bett geklappt, das Dach hochgefahren. Wo waren noch mal die Zahnbürsten? Egal. Jetzt erstmal zur Party mit Nostalgie-Garantie, Menschen von früher und heute, ein selbst gemachter Grappa und schon ist es drei Uhr morgens. Wir wollten doch früh aufbrechen und weit kommen, mindestens bis nach Österreich? Doch nach einem späten Frühstück und kaum einer halben Stunde Fahrt hat Sander einen Hungerast. Die erste Pause findet Schwarzwaldklischee-gerecht am Titisee statt. Zahlreiche werden folgen, mit Baden im Bodensee und Aussichten auf die Berge.

Allein unter Wohnmobilen

Der Tag endet im Allgäu. Die Iller glitzert verlockend und jeder flussnah gelegene Parkplatz grüßt mit einem Nachtparkverbot. Also stellen wir uns für heute zwischen turmhohe Waschmaschinen-Camper auf den Stellplatz Hindelang. Die Lage am Fluss ist fein, die Aussicht auf die Berge famos. Die Mitcamper scheinen – allesamt bewacht von großen Hunden – auf ihren Campingstühlen festzukleben. Sie starren abwechselnd auf ihre flimmernden Fernseher, in die Luft oder auf Sander und Flemming, die in der Mitte des Schotterplatzes ihr Spike-Ballspiel aufbauen. Am nächsten Morgen testet Flemming sein Schnorchel-Euqipment in der eisbachkalten Iller und als wir mittags den Motor starten, fragt dann doch noch einer der Profi-Camper nach dem »rent a camper – Prinzip«. Gern geben wir Auskunft und sind dann schnell auf dem nächsten Pass. 

Oder hätten wir lieber den Brenner nehmen sollen? Das willkürlich ausgesuchte Zwischenziel »Zell am See« erweist sich als totaler Flop. Der »Campingplatz am See« ist »aus betrieblichen Gründen geschlossen«, der nahe gelegene »Camping Panorama« ausgebucht. Es ist nach 19:00 Uhr, alle meckern. Planlosigkeit ist unser schlechtester Begleiter. Die roadsurfer-App, über die man »individuelle Lieblings-Stellplätze« buchen kann, schlägt einen Spot mit Gastronomie »in der Nähe« vor. Allerdings verdeckt die digitale Kartennadel auf dem Display den Ortsnamen, sodass wir nicht nachvollziehen können, ob es dorthin noch 15, 30 oder 90 Minuten Fahrzeit sind – und der Hinweis »die genaue Adresse erfahren Sie nach der Buchung« ist noch weniger hilfreich.

Unentschlossen folgen wir der Landstraße am See vorbei, bis eine einspurige Straße hoch zum Zeltplatz Hasenberghof führt. Schon unten klebt über den Campingplatzschild ein »full«, was wir geflissentlich übersehen. Mangels Alternativen fahren wir den schmalen Betriebsweg hinauf. Stopp! War da nicht gerade ein Hinweis »Camping auf dem Bauernhof?« Streitend wenden wir auf schmaler Straße. Steile Kuhwiesen grüßen auf beiden Seiten. Die Nacht verbringen wir schließlich recht zufrieden in einer Straßennische. Bei einem Wasserfall, dessen Rauschen bald von einem heftigen Gewitter übertönt wird. Käsespätzle auf engstem Raum. Und später dann der flüchtige Gedanke, was passieren würde, wenn ein nahestehender Baum vom Blitz getroffen würde und dieser dann … Schlafen ist jetzt besser als denken. Wären da nur nicht die Bewegungen der anderen. Kaum dreht sich unten einer im Traum, schaukelt der ganze Bus wie ein Schiff auf hoher See

»Die Zeit bei der Fahrt vergeht viel schneller als in echt.«

– Sander

Schieflage mit Meerblick

Mit Blick auf dekorative Restregenwolken brechen wir vor neun Uhr auf – und halten schon bald an der nächsten Apotheke. Ein fieser Hautausschlag macht sich auf dem Oberschenkel des 16-Jährigen breit, dicht gefolgt von einer schweren Sinnkrise. Die Rötungen lassen trotz teurer Salben und Sprays kaum nach, die Wutanfälle nehmen zu und damit auch die ersten ernsthaften Überlegungen zu einem Reiseabbruch. Gedanklich google ich nach einer zumutbaren Zugverbindung für den 16-Jährigen zurück nach Hamburg. Ab Innsbruck? Oder ab Salzburg mit Umstieg in München? Ein kurzes Stimmungshoch wird erreicht, als wir die Alpen überqueren und Triest streifend das Mittelmeer sehen. Der Zeltplatz Tasalera an der Südspitze von Istrien mit pittoresker Hanglage findet sich leichter als ein Stellplatz auf demselben. Zumindest einer, der mit dem Bus befahrbar und möglichst eben ist. Aber bitte trotzdem im Pinienwald und möglichst nah am Meer. Auf den staubigen Schotterwegen drehen die Reifen etliche Male durch. Und als wir endlich zum Stehen kommen und das Neigungsniveau mit Steinen und Keilen auf schiefe sechs Prozent gebracht haben, reicht unser Stromkabel nur knapp nicht zur nächsten Steckdose. Hätten wir doch bloß … Kurzerhand stöpseln wir uns bei der Kabeltrommel des Nachbarn ein. »Die hab’ ich hier gerade im Baumarkt gekauft«, sagt er mit fränkischem Akzent und Stolz in der Stimme.

Wenn der Wind dreht

Im Schatten knorriger Pinien stehen wir kaum acht Meter vom Mittelmeer entfernt. Und doch begrüßt der 16-Jährige den ersten Tag mit »Was machen wir heute?«. Flemming immerhin ist motiviert und pumpt das SUP auf. Die Bora rauscht durch die Bucht. Wir packen Lichterkette und Jalousie wieder ein, Sven spannt das große Tarp über den Bus. Über Nacht gewittert es, die nächsten Tage beherrscht unruhiger Wind die Bucht. Die Jungs steuern das Paddelboard durch die Wellen und streiten dabei nur ein bisschen. Nachmittags schnorcheln sie auf der Suche nach Fischen. In Kroatien gab es schon mal mehr zu sehen. Und wo sind eigentlich die Klippen zum Runterspringen? Und überhaupt: die Sonnenallergie. Sander fühlt sich wie ein Aussätziger und verbreitet großzügig schlechte Laune: »Mann, das nervt, Digga«.

Die Stimmung sinkt und aus Panik tue ich Dinge, die ich nie tun wollte: Ich fahre mit dem Rad in den nächsten, drei Kilometer entfernten Ort. Mitten in der Mittagshitze immer schön die Bundesstraße entlang. Werde von niederländischen Wohnmobilen überholt und von einheimischen Lieferwagen und lasse ein paar Hundert Kuna in der Apotheke. Immerhin können wir nun Erste Hilfe mit Antihistaminen und Spezialsonnencreme leisten. Die Kajak-Tour ins gegenüberliegende Medulin absolviert Sander muslimisch verhüllt und mit stoischem Missmut. Abends entgeistert er sich über erneut auftauchende, rote Hautflecken und beschließt, die nächsten Tage mitsamt Handy im Bus zu verbringen. Das Campingplatz-WLAN und schier endlose Staffeln Netflix-Serien sind jetzt seine besten Freunde. Erst am späten Nachmittag begibt er sich in die schattige Hängematte und auch mal wieder ins Wasser.

Glücklicherweise haben wir inzwischen die Schlafordnung geändert: Die Jungs oben, wir unten. So können wir uns morgens einen Kaffee machen, ohne über den schlafenden Nachwuchs zu klettern. 

»Was machen wir heute?«

– Sander

Ein Hauch Urlaubsstimmung kommt auf: Sven erkundet die Buchten mit dem Kajak, ich lese in der Hängematte, Flemming macht Crêpes und beide Brüder übernehmen auch mal – nach intensiven Diskussionen – den Abwasch. Die Bootstour zum Kap Kamanjak (angeblich ein Naturschutzgebiet, über dessen karge Felslandschaft sich glänzende Autobleche an grellbunte Sonnenschirme reihen) ist ein Highlight; ebenso die Kajak-Tour zu einer der nahegelegenen Inseln (und zur Wasser-Hüpfburg). Dort kann man bis auf den Grund sehen und die Fische fressen den Jungs fast aus der Hand.

Beinahe sind wir restlos überzeugt von diesem idyllischen Ort, der für die Hochsaison erstaunlich leer ist. Doch dann dreht der Wind und das Wochenende naht. Die Zeltplatzdisko gegenüber der Bucht feiert das Leben bis zum Morgengrauen. Ein Sound so als würde H.P. Baxxter direkt neben dem Kopfkissen seine Balkan-Edition zum Besten geben. Wasser leitet Schall bestens, lerne ich in zwei schlaflosen Nächten. Meine Laune ist komplett im Keller und es ist klar: Wir müssen hier weg (so wie alle anderen vor uns).

Skate Park, Wasserfall und Karl May

Wir reisen ab. Nach Pazin ins Landesinnere. Auf dem Weg fahren wir durch Pula. Hier soll es ein eindrucksvolles antikes Amphitheater geben. Aber auch einen sehr eindrucksvollen Skate Park. Vom Amphitheater sehen wir nur die Hinweisschilder, im Skate Park Rojc verbringen wir die Mittagshitze. Man muss Prioritäten setzen. Die Jungs skaten und clippen und clippen und skaten, zwischendurch überschütten wir sie mit unseren Wasservorräten und retten uns in den schmalen Schatten unter der Heckklappe. Nach zwei Stunden stecken wir die Jungs mit der dünnen, uns verbleibenden Rest-Energie zurück in den Bus. Schlechte Laune im Auto, dafür kühlende Air-Condition.

Nach kurzer Fahrt durch die sanfte Hügellandschaft erreichen wir in Zentral-Istrien das Vita Mia Camp in der Nähe von Pazin: ein grandioser roadsurfer-Spot mit großer Gastfreundschaft, einigen Pools, und einer lässigen Bar. Nach der riesigsten Riesenpizza der gesamten Reise (im fußläufigen Lindar) trauen wir uns am nächsten Tag alle mit der Zip-Line über die Schlucht von Pazin – bloß nicht nach unten schauen! – und baden im Wasserfall »Zarecki Krov«. Die Karl-May-Landschaft mit Überhangfelsen, die Grotte und das Wasserbassin, das zum Sprung aus sieben Meter Höhe einlädt, sind spektakulär. Am lauen Abend testen wir die Outdoor-Küche des Camps, die Jungs das Open-Air-Gym, und stellen für ein paar Nächte das Frilufts-Zelt neben dem Bus auf. Kostbare Nächte ohne die Schlafbewegungen der anderen.

Fast 10 Stunden für 250 Kilometer

Der Schlenker nach Venedig beginnt mit einer Straßensperrung in beide Richtungen. Zwischen Montafalcone und Triest brennen die Wälder. Campingplätze und Supermärkte wurden bereits evakuiert, das Katastrophengebiet liegt direkt vor uns, erfahre ich von einer Italienerin. Die nächste Ausfahrt ist gesperrt. Erst stockt der Verkehr, dann steht er. Ratlosigkeit macht sich breit, Hunde werden Gassi geführt, ziellose Spaziergänge auf dem Seitenstreifen unternommen, begleitet von gelangweilten Ballspielen und vielen Fragezeichen im Gesicht. Am Himmel: Gewitterwolken, Blitze und hin und wieder ein Löschflugzeug. Auf Erden: Extrem-Stauerfahrung. Um 15:00 Uhr kündige ich beim Zeltplatz auf dem Lido di Jesolo unsere Verspätung an. »No problem«, bis 21:30 Uhr sei die Rezeption besetzt. Ach, bis dahin! Selten stand ich so gelassen in einem Stau. Wir haben Platz und alles dabei, Wasser, Kaffee, Nudeln, Pesto, Betten. Falls wir nicht weiterfahren können, fahren wir mit einem Knopfdruck einfach das Dach hoch. Oder wollen wir erstmal einen Kaffee kochen? Als wir um 22:30 Uhr auf dem Camping Mose in Cavallino-Treporti ankommen, hat nurmehr die kleine Bar geöffnet. Das Abendessen fällt aus, die Jungs krabbeln im Halbschlaf hoch ins Dach, wir trinken ein schnelles letztes Bier. Für eine Strecke von 250 Kilometern haben wir fast zehn Stunden gebraucht. 

»Wann sind wir endlich da?«

– Sander

Venedig ist zu schön, um zu streiten

Der Strand auf dem Lido di Jesolo ist überraschend weit und leer. Die Laune ist bestens, nur der Besuch der Biennale wird dem Stautag zum Opfer fallen. Am nächsten Vormittag gehen wir erstmal ans Meer und fahren nachmittags mit der Fähre nach Venedig, am nächsten Tag machen wir es genauso, und zur Freude der Kinder haben da die Ausstellungen geschlossen. Stattdessen verlieren und verlaufen wir uns in den Gassen von San Marco und San Polo, werfen einen kurzen Blick auf das Grabmal von Tizian und essen auf der Piazza Santa Maria Gloriosa dei Frari eine mittelmäßige Pizza in einem asiatisch anmutenden Restaurant. Das Personal dort vernichtet hungrige Wespen mit eleganter Rückhand mittels elektrisierter Tennisschläger.

Den Fähranleger zurück nach Punta Sabbiano suchen wir zu lang. Wo war noch mal dieses Palazzo-artige, weiße Haus und wie viele gibt es davon eigentlich in Venedig? Auf dem Lido di Jesolo angekommen, fahren wir mit den Rädern durch die stockdunkle Nacht – die Fahrradlichter haben wir in Hamburg vergessen – zum Zeltplatz. Müde und glücklich fallen wir in den Bus. Und da sind sie wieder: die Schlafbewegungen der anderen. Nachts erinnert mich diese Reise an eine Fahrt in einem rollenden Stockbett – mit zu groß geratenen Kindern. Der Bus gerät mit uns Vieren definitiv an seine Grenzen, und die Jungs finden ihn »sooo gemütlich«, dass sie nur ganz ausnahmsweise mal im Zelt schlafen. Das Wort Privatsphäre habe ich temporär aus meinem Wortschatz gestrichen. Egal. Venedig ist zu schön für Konflikte. Und offenbar auch zu schön für eine Sonnenallergie. Denn diese ist spurlos verschwunden.

Krisenfrei: das Soča-Tal

Jetzt, wo die Stimmung ein solides Hoch erreicht hat und wir uns nur noch alle zwei Tage streiten, neigt sich unsere Reise dem Ende. Und wir fahren an den Ort, von dem alle schwärmen: ins slowenische Soča-Tal. Bei einer Pinkelpause im malerischen Friaul klauen die Jungs Weintrauben, am Horizont zeigen sich die Berge, wir fahren durch kleine Dörfer mit Honigverkaufsständen, an ausgetrockneten Flussbetten entlang und schließlich über die italienisch-slowenische Grenze. In der Nähe von Kobarid, im Kamp Koren, verbringen wir zwei Nächte. Rustikal und im Laubwald gelegen, erinnert das Kamp-Restaurant an ein zünftiges Ausflugslokal im Pfälzer Wald. Schmale, steile Pfade führen von dort hinunter zur Soča, die sich glasklar, smaragdgrün, funkelnd (und verdammt kalt) durch die Schlucht schlängelt. Im Hintergrund die Julischen Alpen. Sander und Flemming sind im Glück, denn auch dieser Zeltplatz verfügt über ein Gym. Abends spielen die Jungs mit einem Dutzend Niederländern friedlich Volleyball – warum erst jetzt? Warum erst hier? – und die Handys liegen vergessen im Bus. Entspannung auf allen Seiten. Zu gern würden wir länger bleiben. 

Zurück in Hamburg

Der Rückweg führt über Österreich und einen bayerischen Bauernhof wieder nach Westfalen, wo wir den Bus mehrere Stunden lang saugen und putzen. Fast staub- und staufrei erreichen wir am nächsten Tag Hamburg, laden aus – und wünschen uns einen Fahrstuhl in den dritten Stock. Kaum ist alles oben, gehen die Kinder auch schon wieder runter zum Skaten mit ihren Freunden. Das nennt man wohl »zu Hause ankommen«. Am Montag bringen wir die »Surfer Suite« zu roadsurfer zurück, reinigen die Globetrotter Leihgaben und bringen diese, ganz profan, mit der U-Bahn in die Hamburger Filiale. Und während ich die erste von zahlreichen Waschmaschinen anwerfe, arbeitet Flemming am Finetuning für seinen eigenen Campervan: Mit vier Freunden will er, sobald er 18 ist, einen alten Schulbus kaufen und ausbauen. Damit dann nach Frankreich, Spanien und Portugal …

»Am meisten Spass in Slowenien hat mir das Fitnessstudio gemacht.«

– Sander

Unsere Bilanz nach drei Wochen VW-Bus-Europa-Reise: 

Verladen: Mit zwei, fast großen Kindern, gerät der T6 bei aller Liebe deutlich an seine Grenzen und zu viel Kram hatten wir allemal dabei. Nicht benutzt wurden diverse lange Hosen, die Regenjacken, die Ingwer-Reibe, das prämierte Jugendbuch und manches Extra-Handtuch.

Vermisst: unsere Allzweck-Plane, ein zusätzliches Stromkabel und ein paar mehr Nächte zu zweit.

Vermessen: Die Jungs brüsten sich stolz mit fünf Mal Abspülen (in 23 Tagen!)

Verstanden: Meine Freundin Sabine (Mutter von vier Kindern) nennt diese Reisezeit nicht mehr »Urlaub«, sondern »Alltag an schönerem Ort«. Das Wort »Urlaub« suggeriere ja einen Erholungswert.


TEXT, FOTOS, VIDEOS: Katrin Ullmann