Nach Ikonen wie Mountain Jacket, VE 25 und Base Camp Duffel will sich The North Face mit der neuen Futurelight-Membran selbst übertreffen.
Mitte Mai 2019. 80 Händler aus ganz Europa wurden von The North Face nach Spitzbergen geladen. Untergebracht auf einem gecharterten Oldtimerschiff der Hurtigruten sollten die Textileinkäufer fünf Tage lang die Möglichkeit haben, eine neue Membran zu testen, die das Potenzial zum sogenannten »Gamechanger« hat. Und die Vorschusslorbeeren seit der Vorstellung auf der ISPO in München einige Monate zuvor waren immens. »Bis zu drei Mal so atmungsaktiv wie andere Membrane«, wurde gemunkelt. »Beständig wasserdicht.« »Weich im Griff, schön leise.« »Umweltfreundlich in Herstellung und Entsorgung.«
Das Konzept für Futurelight ist auf spezifischen Wunsch zahlreicher Athleten des internationalen Athletenteams nach verbesserter Atmungsaktivität und Performance von wasserdichter Bekleidung entstanden. The North Face begab sich auf eine mehrjährige Reise, um zu zeigen, dass wasserfeste Ausrüstung nicht unbequem, schwer und steif sein muss – eine bis dahin gängige Erwartung an Shell-Materialien. Das Ziel: ein wasserdichtes Gewebe zu entwickeln, das nicht nur weich, leicht, flexibel und bequem ist, sondern auch langlebig und nachhaltig. Nach drei Jahren Forschung, Entwicklung und umfangreichen Labor- sowie Feldtests ist es nun soweit: The North Face präsentiert eine erste Kollektion mit der revolutionären Eigenmembran.
Zwischen Lifestyle und Nordwand
Für Globetrotter mit an Bord der MS Njordsternen war Bentje Görke, ihres Zeichens »Product Manager External Apparel Women«. Nach drei Skitouren und zwei Landausflügen, die alles beinhalteten, was der Winter im hohen Norden zu bieten hat, konnten einige Vorschusslorbeeren denn auch zum Lorbeerkranz weiterverarbeitet werden. So trotzte Futurelight orkanartigen Böen samt Windchill von minus 30 Grad bei einem Rundgang durch die Inselhauptstadt Longyearbyen genauso wie vorfrühlingshaftem Tauwetter auf einer 1000-Höhenmeter-Skitour. Besonders das gesteigerte Maß an Atmungsaktivität zauberte allen Testern ein Lächeln aufs Gesicht. Das Wunschdenken, dass man morgens den Reißverschluss seiner Regenjacke schließt und erst am Abend wieder öffnet – egal wie schweißtreibend die Aktivität dazwischen war – scheint der Realität ein ganzes Stück näher gekommen zu sein.
Deutlich spürbar war auch der geschmeidige wie leise Griff des dreilagigen Materials, das in zwei Grammaturen zum Einsatz kam. Laut den Produktentwicklern von TNF sind hier künftig Dutzende genau auf das jeweilige Einsatzgebiet abgestimmte Stoffkombinationen möglich.
Nach fünf Tagen konnten natürlich keine Aussagen zur Langlebigkeit gemacht werden, doch das Konstruktionsprinzip lässt hoffen. Futurelight entsteht durch das sogenannte Nanospinning, bei dem bis zu 220.000 kleine Nadeln ein Polymergewebe spinnen, dessen Zwischenräume zu schmal für Wassertropfen sind, aber groß genug, um Wasserdampf entweichen zu lassen. Was unterm Mikroskop aussieht wie ein Netz aus Zuckerwatte, ist flexibel genug, um auch ausufernde Bewegungen mitzumachen, findet aber gleichzeitig stets in die Ausgangslage zurück.
Nano-Spinning ermöglicht den Produktdesignern von The North Face zudem, Parameter wie Atmungsaktivität, Dehnbarkeit, Konstruktion (gestrickt oder gewebt) und damit auch Gewicht und Strapazierfähigkeit gezielt für jedes Produkt und jeden Einsatzzweck zu optimieren. Für den aeroben Einsatz von Bekleidung wird beispielsweise die Atmungsaktivität erhöht, während für den Einsatz bei rauen, nassen Bedingungen der Fokus auf der Strapazierfähigkeit liegt. Dieses Maß an Flexibilität in Sachen Materialkonstruktion ist neu und ermöglicht nahezu unbegrenzte Möglichkeiten bei Bekleidung, Ausrüstung und Zubehör.
Natürlich hat man, anstatt allein auf Laborwerte zu vertrauen, auch das illustre TNF-Athletenteam schon vor Monaten mit Futurelight in die extremsten Ecken des Planeten gescheucht. So berichtete an Bord etwa der Skibergsteiger Jim Morrison von seiner Erstbefahrung des Lhotse-Couloirs auf Ski – Startpunkt 8516 Meter. Zuvor hatte er mit seiner Partnerin Hilaree Nelson zwei weitere 8000er bestiegen: Everest und Cho Oyu.
Membrained
Eine hohe Punktzahl gibt es in jedem Fall für die Nachhaltigkeit. Futurelight ist komplett PFC-frei und für Innen- und Außenmaterial werden bis zu 90 % recycelte Komponenten verwendet. Auch die DWR-Behandlung wurde speziell für Futurelight entwickelt. DWR meint »Durable Water Repellency« und ist eine Imprägnierung des Oberstoffes, so dass dieser so wenig Wasser wie möglich aufnimmt, um die Atmungsaktivität nicht zu schmälern. Im Vergleich zu herkömmlichen Imprägnierungen sollen Regentropfen auch nach der 80sten Wäsche noch abperlen, als wäre die Jacke fast neu – und nicht wie üblich bis zur 20sten. Produziert wird in einer Fabrik, die ihren Strombedarf zu 100 % aus Solarenergie deckt.
»Futurelight lässt uns Funktionskleidung völlig neu denken.«
»Produktinnovationen, die Verschiebung von Grenzen und der Mut, neue Standards zu setzen, sind seit der Gründung des Unternehmens vor über 50 Jahren Teil unserer DNA«, sagt Scott Mellin, Global General Manager Mountain Sports bei The North Face. »Viel zu lange waren wir gezwungen, uns an unsere Bekleidung anzupassen. Mit der Einführung von Futurelight passt sich unsere Bekleidung nun endlich an unsere Bedürfnisse an. Die Einführung des Materials ist ein Schlüsselmoment. Für uns, für die Zukunft der Bekleidungsindustrie und für Konsumenten, die für optimalen Wetterschutz nicht länger auf Komfort und Atmungsaktivität verzichten müssen.«
Dass TNF absolut von der Membran überzeugt ist, bewiesen sie einmal mehr auf der Outdoor-Messe im Juli. Dort stellten sie ihre Sommerkollektion 2020 vor, in der sie die jahrzehntelang verwendten Gore-Tex-Membrane weitestgehend durch Futurelight ersetzen. Zudem kommt die Membran dann auch bei Schuhen und sogar Zelten zum Einsatz. Auch Bentje ist sich sicher: »Die Membran hat so viel Potenzial, dass man Funktionskleidung völlig neu denken kann.«
Aus der Nische zur Nummer eins
1966 gründete der charismatische Doug Tompkins mit ein paar Freunden in San Francisco die Bergsportmarke The North Face (TNF). Zunächst stellte man Bergsportausrüstung und Rucksäcke her und wählte folgerichtig den Kletterberg Half Dome im Yosemite mit seiner senkrechten Nordwand als Markenlogo. Nordwände gelten unter Bergsteigern als die steilste, eisigste und schwierigste Wand eines Berges. Und auch wenn Tompkins die Firma nur wenige Jahre später verließ, um die Modemarke Esprit zu gründen und sich anschließend seinen Naturschutzprojekten im Süden Chiles zu widmen, ist sein kompromissloser Ansatz noch heute spürbar. »Notwendigkeit vor Luxus« war seine Maxime – und »Erfahrung ist wichtiger als Equipment«.
Folgerichtig entstanden in den 70er- und 80er-Jahren Produktinnovationen, die noch heute eine hohe Relevanz besitzen. Erster Meilenstein war 1975 das Vier-Personen-Zelt Oval Intention, das auf den Designs des Architekten Buckminster Fuller aufbaute. Das Konstruktionsprinzip dieser »Geodäten« fußt darauf, dass sich die Stangen für mehr Stabilität mehrfach gegenseitig kreuzen. Seither sind Geodäten erste Wahl für alle, die ein besonders sturmstabiles Zelt suchen. Das VE 25, das 1985 auf den Markt kam, wird noch heute nahezu unverändert gebaut und von Alpinisten geliebt. So findet sich aktuell kaum ein Bild aus den Höhenlagern des Himalajas, auf dem nicht ein VE 25 den Elementen trotzt.
1977 folgte die Mutter aller Trekkingjacken: das Mountain Jacket aus Gore-Tex. Neben den revolutionären Eigenschaften der Gore-Membran, die absolute Wasserdichte mit spürbarer Atmungsaktivität kombinierte, war es auch das Colorblocking, das die Jacke zu einem Bestseller machte. In Zeiten, in denen Outdoorjacken in Fußgängerzonen eher Ausnahme denn Regel waren, wusste man dank den kontrastierenden Farben und dem zusätzlichen TNF-Logo am Rücken schon von Weitem: Oha, ein echter Abenteuertyp, sicher gerade zurück vom Dach der Welt.
1986 legte TNF den nächsten Meilenstein auf, der sich heute sogar noch größerer Beliebtheit erfreut als seinerzeit. Die Rede ist vom Base Camp Duffle äääähhh Duffel. Benannt nach der belgischen Stadt, wo der Vorgänger ersonnen wurde: eine Art Seesack aus dicker Wolle. Doch damit hatte die »Kopie« aus Kalifornien wenig zu tun. Viel Stauraum hatte das Original zwar auch, doch in Sachen Robustheit und Wetterfestigkeit macht dem Base Camp Duffel niemand was vor. Und so sieht man den nicht kaputt zu kriegenden Bestseller heute überall – U-Bahn, Fitness-Studio, Maultierrücken und im Everest-Basislager. Nur für die Mondlandung kam das Teil seinerzeit etwas zu spät.
Ende der 1980er-Jahre war The North Face der einzige Lieferant der Vereinigten Staaten, der eine umfassende Kollektion für Bergbekleidung, Skibekleidung, Schlafsäcke, Rucksäcke, Hosen und Zelte anbot.
Spätestens mit den Nachfolgern der Mountain Jacket hielt TNF auch in den Fußgängerzonen dieser Welt Einzug und nutzte die Popularität für ein zweites Standbein, das dem klassischen Globetrotter Kunden wohl eher unbekannt sein dürfte: lässige Streetwear, getragen von Rappern und diversen Celebrities. Auch in Asien sind die Sachen Kult. Die aktuelle Lunar-Voyage-Kollektion etwa, ersonnen zum 50. Jahrestag der Mondlandung, gilt unter Fashionistas als letzter Schrei und erzielt bei Sammlern Höchstpreise.