Voralpen: Radtour zum Königssee

Der Bodensee-Königssee-Radweg quert einmal die Bayerischen Voralpen. Eine gute Streckenführung und tolles Panorama, gewürzt mit ein paar knackigen Höhenmetern, machen die Strecke zur sportlichen Alltagsflucht.

Julian Rohn
Der Bodensee-Königssee-Radweg quert einmal die Bayerischen Voralpen. Eine gute Streckenführung und tolles Panorama, gewürzt mit ein paar knackigen Höhenmetern, machen die Radtour zur sportlichen Alltagsflucht.

Die Rampe kommt unverhofft. Eben noch rollte ich wunderbar flott durch die Wälder kurz vorm Tegernsee, jetzt ist meine Geschwindigkeit fast bei null. Ich schalte zu spät. Die Kette rasselt hinte­n auf dem Ritzelpaket langsam in den leichtesten Gang. Während ich damit be­schäftigt bin, überhaupt auf dem Rad sitze­n zu bleibe­n, fährt meine Freundin gemütlic­h davon. Am Ende der Steigung wartet sie gnädi­g. Das wird mir in diesen Tagen noch öfter passieren.

Blick auf einen See nach der Radtour
Julian Rohn

Wir sind unterwegs zum Königssee. Vier Tage mit Rad, Zelt und Schlafsack. Das war eigentlich auch schon alles, was wir vorher geplant haben, als wir uns an einem langen Frühsommerwochenende auf den Weg mache­n. Wir wollen uns nicht allzu weit von der Zivilisation entfernen, aber eben doch irgendwie weg sein. Bei der Strecke halten wir uns deshalb an den Fernradweg »Bodensee – Königssee«. Damit fällt die Routenfindung schon mal weg. Der Weg ist gut ausgeschildert, er verläuft abseits von Hauptverkehrsstraßen und häufig auf reine­n Radwegen zwischen Kuhwiesen und Kornfeldern. Wenn wir uns doch mal kurz verfransen, hilft ein schneller Blick auf den GPS-Track im Smartphone. Der meditative Wechsel von Radfahren, Essen, Schlafen, dazu eine tolle Landschaft ist genau das, was wir such­en.

Ein schmaler Anhänger ist die Lösung für fehlende Gepäckträger

Weil uns für die komplette Strecke mit Start in Lindau am Bodensee die Zeit fehlt, beginnen wir in Bad Tölz. Das liegt knapp auf der Hälfte der Originalroute. Bis zum Königs­see bleiben für uns so noch etwa 200 Kilo­meter übrig. Auf diesem Teil der Strecke sind auch weniger Höhenmeter zu erstrampeln. Wie viele genau? Keine Ahnung, wir wollen ja nicht planen.

Ein einziges Problem haben wir vor unserer Abreise zu regeln: Wir besitzen keine Fahrräder mit Gepäckträger. Die Lösung ist ein schmaler Anhänger mit Packtasche für die Campingausrüstung. Dazu zwei kleine ­Daypacks. Das reicht für unsere paar Sache­n locker. Proviant kaufen wir unterwegs frisch. Nur eine Notration aus zwei gefriergetrockneten Mahlzeiten liegt ganz unten in der Packtasche, falls mal kein Super­markt in der Nähe sein sollte.

Radtour durch den Wald
Julian Rohn

Der Anhänger ist der Grund, weshalb ich am Berg jetzt gerne mal eine spontane Formschwäche erleide. Während meine Freundin mit ihrem kleinen Rucksack munter hinaufstrampelt, bekomme ich dank dem kleinen Monster an meinem Hinterrad die volle Härte der Physik zu spüren.

Unsere erste Etappe der Radtour führt vom Bahnhof in Bad Tölz über Gmund am Tegernsee und weiter bis an den Schliersee. Auf dem Campingplatz bekommen wir mit unserem kleine­n Zelt einen Stellplatz direkt im Schilf am Ufer. Am nächsten Morgen brechen wir auf, bevor wir Spaziergängern auf dem Seerundweg ausweichen müssten. Bisher waren wir direkt zwischen den Berge­n unterwegs, jetzt geht’s hinaus ins Vorland. Hinter Fischbachau öffnet sich der Blick, und wir rollen über eine Geländekante, die uns mit viel Schwung in Richtung Inn schickt. Während wir Höhenmeter vernichten, erkenne ich gegenüber einen kleinen Höhenzug mit Autobahn darauf. Der Irschenber­g wirkt aus dieser Perspek­tive irgendwie lächerlich flach.

Flauer Magen und Puddingbeine – uns hat ein Hungerast erwischt

Nicht nur vom Irschenberg – Schrecken alle­r Wohnwagengespanne auf dem Weg zum Gardasee – bekomme ich einen neuen Eindruck. Seit mehr als fünf Jahren wohne ich in München, aber die Bayerischen Voralpen lasse ich häufig links liegen. Die höheren Berge am Alpenhauptkamm haben meist bessere Argumente: mehr Schnee oder mehr Abenteuer. Dank der Radtour erkunde­n wir jetzt eine Regio­n die ich ­bislang zu Unrecht gemieden habe. Denn die Landschaft ist wunderschön, und trotz des ziemlich guten Wetters treffen wir kaum auf andere Radfahrer.

Blick auf einen See aus dem Zelt nach der Radtour
Julian Rohn

Während ich so durch die Gegend träume, erwartet uns im Chiemgau der »Mann mit dem Hammer«: Ein astreiner Hungerast mit flauem Gefühl im Magen und mit Pudding in den Beinen hat uns erwischt. Bis nach Aschau kleben die Reifen förmlich am Aspha­lt. Während mein­e Freundin über Räde­r und Gepäck wacht, wanke ich in den Supermarkt. Die Situation eskaliert etwas: eine Packung Eis, zwei Packungen Nudel­n, Bananen, Kuchen, Chips und ein Träger Radler. Im Einkaufen mit knurrendem Mage­n war ich noch nie gut, aber heute ist es ja für einen guten Zweck. Wir müssen schließlich noch bis zum nächsten Cam­ping­­platz. Sonst aber haben wir unseren Rhythmus auf der Radtour gefunden. Morgens fahren wir gemütlich los, suchen gegen Mittag einen Supermarkt, essen und schauen per Smartphone, wo der nächste Zeltplatz auf der Strecke liegt. Keine Planung ist gar kein schlechter Plan.

      Ab Traunstein orientiert sich unsere Fahrtrichtung wieder den Bergen zu, wir blicke­n auf ein Stück Klischeebayern mit Zwiebeltürmchen vor prachtvollem Alpen­pano­rama. In Piding, direkt am Ufer der Saalach, liegt unser nächster Campingplatz. Als kurz nach uns zwei Familien ebenfalls mit Räder­n auf den Platz rollen, bin ich beeindruckt. Die vier Erwachsenen habe­n sechs Kinder dabei, wovon gerade mal eines selbst radelt. Der Rest ist auf Kindersitze und Anhänger verteilt. Dazu die komplette Campingausrüstung für zehn Per­sone­n plus Spielzeug. Wie kommen die so beladen bloß die Steigungen hoch?

      Am Horizont kündigt der Watzmann den Endspurt an

      Meine Oberschenkel jedenfalls freuen sich am nächsten Tag, dass es von hier aus nicht mehr weit ist. Am Nachmittag werde­n wir bereits in die Fluten des Königs­sees springen. Doch vorher geht es zur Abwechslung erst noch mal richtig hoch. Am Hallthurmer Berg, kurz hinter Bayerisch Gmain, schlängelt sich die Bundes­straße in mehreren Kehren, während der Radweg links davon einfach gera­de den Hang hinauf­führt. Ein letztes Mal auf der Radtour das alte Spiel. Meine Freundin fährt gemütlich weiter, während ich inzwischen routiniert die Situation erkenne und direkt in den leichtesten Gang schalte. Auf der sprichtwörtlich letzten Rille spule ich mein Gespann nach oben. Als ich den Anhänger über die letzte Kuppe trete, dreht meine Freundin bereits leicht gelangweilt kleine Warteschleifen auf dem Asphalt.

      Baden im Königssee
      Julian Rohn

      Wenig später lichten sich die Bäume, und da steht er am Horizon­t: Köni­g Watzmann. Der höchste Gipfel des Berchtes­gadener Lande­s ist für uns so etwa­s wie der rote ­Teufelslappen bei der Tour de France. Das Zeichen zum Endspurt der Radtour. Noch eine kurze Strecke bis Berchtesgaden, ehe ein kleiner Waldweg abbiegt und der glasklar­en Königs­seer Ache folgt. Dann plötzlich Imbiss­buden, Souvenirshops und Touriste­n aus Japan. Wir sind da.

      Meine Freundin sagt später, sie könne sich im nächsten Jahr eine Alpenüberquerung vorstelle­n. Vielleicht kaufe ich ihr besser auch so eine­n Anhänger für die nächste Radtour.

      Text: Julian Rohn
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