Berg & Tal – Auf dem Forststeig durch Sachsen

70 von 110 Kilometern in drei Tagen auf dem Forststeig – ein Wanderabenteuer mitten in Deutschland.

Anni Wilhelm und Simon Michalowicz sind Weitwanderer mit Faible für Norwegen und Fachberater bei Globetrotter in Dresden. Ihre Haustür-Tour ist der Forststeig im Elbsandstein, dessen Biwakplätze und Hütten immer wieder echtes Skandinavienfeeling aufkommen lassen.

»Mist, Zahnbürste vergessen!« rufe ich meiner Freundin Anni just in dem Moment zu, als wir die Fahrkarten am Automaten für die S-Bahn ziehen wollen. Geschwind flitze ich die 200 Meter zurück in die Wohnung und schnappe mir das Teil! So ein Tourstart direkt vor der Haustür hat durchaus seine Vorteile, vor allem wenn man so schusselig ist wie ich und elementare Ausrüstung gerne mal zu Hause vergisst. Aber nun ist alles im Rucksack: eine leichte Zeltausrüstung und Verpflegung für drei Tage. Der Forststeig kann kommen! 

Wir nehmen in der S-Bahn Platz und rollen durch Dresden hinaus und das Elbtal aufwärts in Richtung Startpunkt in Schöna, an der Grenze zu Tschechien. Eine Auszeit im Wald, ein paar Tage durchatmen und mit Zelt und Rucksack einfach draußen unterwegs sein, das ist der Plan. Das Wetter ist eher durchwachsen vorhergesagt und wir starten am Sonntag, perfekte Bedingungen also, um nicht allzu viele Mitwanderer zu treffen.

Wenn man mal auf klassische Fernwanderart eine kurze Auszeit vom Alltag haben möchte, dann erscheint der 2018 eröffnete Forststeig einfach ideal. Es gibt Biwakplätze, auf denen man sein Zelt im Wald aufschlagen darf, und auch einfache Hütten stehen einem zur Verfügung, die man zur Übernachtung nutzen kann, wenn man möchte. Einzige Bedingung: Die Kapazitäten sind reglementiert und man muss sich im Vorhinein entsprechende Tickets kaufen, zum Beispiel in der Globetrotter Filiale in Dresden.

Die S-Bahn füllt sich mehr und mehr. Klar, es ist Sonntagmorgen und wer wandern möchte, der ist in der Sächsischen Schweiz goldrichtig. Vor dem Fenster erscheinen bald hoch oben über der Elbe die Felsen der Bastei, der Hotspot schlechthin im Elbsandstein. Doch die hundert Meter lange Schlange vor dem kleinen Fähranleger in Rathen, wo man rübermacht auf die rechte Elbseite, die haben wir so auch noch nicht gesehen. Wir bleiben lieber sitzen und freuen uns darauf, dass sich der Zug bis zur Endhaltestelle sukzessive leert. In Schöna angekommen, entscheiden nur wir uns für den Forststeig, alle anderen Mitreisenden stürmen den Fähranleger, um zur tschechischen Seite zu kommen. Günstige Einkäufe und tschechische Hausmannskost sind wohl reizvoller als eine Wanderung über drei Tage mit über Tausend Höhenmetern. 

Leichter Nieselregen und sich auflösende Morgenwolken im Elbtal bieten eine dramatische Kulisse für unseren Start. Bis ins tschechische Ostrov auf den Campingplatz direkt am Forststeig wollen wir es am ersten Tag schaffen. Es ist der einzige »richtige« Campingplatz am etwa 110 Kilometer langen Wanderweg. Wir wollen darauf so weit wie möglich kommen, entsprechend sportlich haben wir uns die Etappen eingeteilt. Ob wir das schaffen? Wir werden sehen.

Vorbei mit dem zivilisatorischen Grundrauschen

Wir schultern unsere Rucksäcke, unterqueren die Bahnlinie und finden direkt den Einstieg zum Forststeig. Bald schon fließt die Elbe gemächlich weiter unten im Tal, während wir immer mehr an Höhe gewinnen und uns in die Wälder schlagen. Der Weg ist wirklich ein Steig, es geht über schmale Pfade, die Markierung ist gut, so kann es gerne bleiben. Wir tauchen immer tiefer ein in den grünen Tunnel aus Bäumen, Sträuchern und Büschen. Straßenlärm und Güterzuggerappel werden von Vogelgezwitscher und glucksenden Bäche übertönt.

Die Höhenmeter treiben uns bald die ersten Schweißtropfen auf die Stirn, der angekündigte Nieselregen ist nicht mehr als schwüler Dunst hier im Wald und in den Trinkflaschen kann man bald bis auf den leeren Grund blicken. Höchste Zeit für den Wasserfilter. Normalerweise sind wir in fast jedem Urlaub im Norden unterwegs, vorzugsweise im norwegischen Fjell. Einen Wasserfilter braucht man da nicht, hier auf dem Forststeig sollte man aber immer einen Filter mit im Gepäck haben, insbesondere wenn man auf den Biwakplätzen oder in den Hütten übernachten möchte – denn Trinkwasser aus der Leitung wird dort nicht zur Verfügung gestellt und so manche Quelle ist gerade im Sommer eher ein Rinnsal.

Mit vollen Flaschen geht es weiter in Richtung des ersten Highlights des Tages, der Aussicht vom Großen Zschirnstein. Vorher geht es durchs wunderbare Gelobtbachtal. Der Alltag könnte hier, tief im Wald, direkt an der Grenze zu Tschechien, nicht weiter weg sein. Bald wird es merklich steiler, die Gespräche verstummen und wir pumpen wie die Maikäfer: gut 200 Höhenmeter geht jetzt aus dem Tal hinauf auf den hoch über uns thronenden Zschirnstein. Auf schmalen Pfaden durch Blaubeerbüsche ringen wir dem Berg Höhenmeter um Höhenmeter ab, bis wir schließlich komplett durchgeschwitzt und mit leicht erhöhtem Puls die fantastische Aussicht über die Wälder tief unter uns genießen, die sich bis zum Horizont erstrecken. Auch den Großen Schneeberg sehen wir in der Ferne, über den wollen wir es heute noch schaffen. Ob das eine gute Idee ist? Sieht ganz schön weit weg aus. Jetzt aber erstmal durchschnaufen und eine kurze Pause. Wie auf hoher See, wenn man vom Schiff hoch hinauf in den Ausguck klettert, so fühlt man sich hier oben. Unten ist das grüne Meer aus Bäumen, durch das man wie in einem Tunnel wandert, und hier oben der Mastkorb, der einem den absoluten Überblick bietet. Wir mümmeln an unseren Pausenriegeln und frischen den Flüssigkeitshaushalt auf, denn auch wenn das Wetter weiterhin eher durchwachsen ist, die ersten zehn Kilometer haben schon einige Körner gekostet. 

Kurz darauf tauchen wir wieder ein in die tiefgrünen Wälder. Wir umrunden den Zschirnstein abwärts und passieren bald darauf den ersten möglichen Übernachtungsplatz des Forststeigs, den Biwakplatz am Zschirnstein. Hoch über uns thront der Aussichtsberg und hier unten sieht es extrem »hyggelig« aus, die kleine Biwakhütte sieht einladend aus und in Gedanken stelle ich mir vor wie der Vollmond über dem Zschirnstein des Nachts aufgeht und die Waldkulisse in ein mystisches Licht taucht. Aber wir wollen ja noch weiter … 

Grenzenlos mitten in Europa

Wir folgen nun wieder dem Grenzverlauf. Vor 30 Jahren hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass man hier einfach entlang wandern kann, ohne erschossen zu werden. Damals war dies hier eine gut bewachte Grenze, nun schlängelt sich der Weg spielerisch entlang der weißen Grenzsteine. Was für ein Privileg, dass es viele Grenzen nur noch in Erinnerungen oder auf dem Papier gibt. Sich in Europa derart frei bewegen zu können, ist ein so kostbares Gut – und es ist jede Mühe wert, dass es so bleibt.

Vor 30 Jahren hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass man hier einfach entlang wandern kann, ohne erschossen zu werden.

Die Höhenmeter summieren sich auf steile Art und Weise, immer wieder geht es knackig auf und ab. Wir begegnen kaum anderen Mitwanderern und es kommt hier mitten im Nirgendwo echtes Wildnisfeeling auf.

Bei Kilometer 17 erreichen wir den zweiten Biwakplatz am Taubenteich. Hier entschließen wir uns zu einer längeren Pause und schmeißen kurz darauf den Kocher an, um uns mit einem frischen Kaffee für den Endspurt zu motivieren. Der Platz hier ist ganz anders als am Zschirnstein. Ein eher offener Platz direkt an einem großen Flößerteich; hier gibt es sogar eine genehmigte Feuerstelle, sodass man am Abend in gemütlicher Runde von seinen Abenteuern erzählen oder einfach stundenlang ins Feuer starren kann, um seinen Gedanken nachzuhängen.

Der Kaffee gurgelt langsam vor sich hin und der Duft überlagert schnell unsere auslüftenden Wandersocken. Zwei andere Wanderer nicken anerkennend, als sie unsere kleine italienische Kaffeekanne sehen. So eine haben sie nicht dabei, dafür stürzen sie sich kurz darauf todesverachtend und wie Gott sie schuf in den Flößerteich. Ein paar verstörte Enten nehmen rasch Reißaus und den spitzen Schreien nach zu urteilen hat das mit der Erfrischung doch besser geklappt als erwartet.

Am Himmel ziehen kurz darauf immer mehr dunkle Wolken auf. Dennoch nehmen wir die letzten Kilometer in Richtung Ostrov in Angriff. Das bisschen Regen kann uns doch nicht schrecken? Wir wandern nun auf tschechischer Seite und lassen den Pfad erstmal hinter uns, es folgt eine kurze Passage auf einer kleinen Waldstraße. Der über 700 Meter hohe Schneeberg verschwindet mehr und mehr in einer dichten Nebelsuppe. Kurz beratschlagen wir, als die nächste größere Straße in Sicht kommt, wie wir weiter gehen sollen. Die Entscheidung nehmen uns zwei Dresdner Kletterer ab, die wir treffen. Den angebotenen Transfer per Auto in die Nähe des Tagesziels können wir nicht ausschlagen und so lassen wir den Schneeberg Schneeberg sein. Das Wetter ist mittlerweile eine einzige Waschküche. Wieso sich also über Gebühr quälen? 

Meine Hoffnungen auf ein eiskaltes, leckeres Pilsener Bier am Campingplatz zerschlagen sich leider, denn der Platz hat erst seit kurzem wieder geöffnet und läuft noch nicht auf allen Zylindern.

Von Ostrov zum Spitzstein 

Freudig begrüßt uns die Sonne am nächsten Morgen. Etwas mühevoll schälen wir uns aus den Schlafsäcken, der gestrige Tag hat doch etwas mehr Tribut gefordert als erwartet. Aber ein Frühstück in der Sonne vor dem Zelt und frischer Kaffee wirken Wunder und wenig später geht es bei bestem Wanderwetter weiter. Wir erklimmen das Himmelreich, ein spektakuläres Klettergebiet, das malerisch im lichten Wald liegt. Die sanfte Lichtstimmung am Morgen zaubert uns ein Lächeln ins Gesicht und wir kommen aus dem Staunen kaum heraus.

Wir erklimmen das Himmelreich, ein spektakuläres Klettergebiet, das malerisch im lichten Wald liegt.

Immer den gelben Markierungen des Forststeigs folgend, umrunden wir Ostrov und entscheiden uns, an der Grenzplatte abzukürzen. Würden wir dem Forstteig weiter folgen, wären es bis zu unserem Ziel am Spitzstein sicherlich an die 40 Kilometer. Also ab ins Bielatal und dort nach einer kurzen Pause wieder bergan der Grenze folgend. Das Wetter passt, es ist nicht zu warm und Regen ist nicht in Sicht. Wir sind auf Betriebstemperatur und kommen gut voran. Die Füße marschieren stoisch, die Seele baumelt, der Alltag ist ganz weit weg

Einmal mehr müssen die mühsam erarbeiteten Höhenmeter beim Abstieg in den Dürrebielagrund dran glauben. Und kaum unten, geht es auf der anderen Seite wieder hoch. Wer damit ein Problem hat, sollte lieber auf dem Elberadweg wandern, am besten stromabwärts.

Blut, Schweiß und Höhenmeter 

Im Anschluss machen wir richtig Strecke, der breiten Forstwege sei Dank. Sogar eine Bushaltestelle der Linie 242 gibt es hier mitten im Wald, aber den Bus haben wir knapp verpasst, so geht es zu Fuß weiter. Oberhalb von Rosenthal-Bielatal öffnet sich der Weg kurz und man kann weit über die Hügel bis ins Osterzgebirge blicken. Der Wald ändert sich merklich, war es bisher viel lichter Laub- und Mischwald, herrschen nun eher Nadelbäume vor. Bald schon erreichen wir die Rotsteinhütte, die allerdings auf Grund der aktuellen Corona-Pandemie noch gesperrt ist. Wir haben hier schon mit einigen Globetrotter Arbeitskollegen übernachtet und finden die Idee solcher einfachen wie preisgünstigen Hütten genial. Hier kommt fast ein skandinavisches Trekkinggefühl auf. In der Nachmittagssonne stärken wir uns und pflegen unsere Füße, bei Anni zickt eine Blase an der Ferse und so tut die ausgedehnte Pause richtig gut. 

Ein Highlight wartet aber noch auf uns: der Signal-Aussichtspunkt auf dem Katzstein lockt zu einem kurzen Abstecher. Und der lohnt sich sehr. Fast die gesamte bisherige Tour können wir von der Aussichtsplattform überblicken. Und auch, was noch kommt, uffff! Da müssen wir wohl noch etwas Blut, Schweiß und Höhenmeter investieren.

Kurz darauf sind wir am Ziel für heute, dem Biwakplatz unterhalb des Spitzsteins. Mit uns sind noch zwei weitere Pärchen auf dem Platz und wir richten uns häuslich ein. Der Aufbau von Zelt und Lager fällt mir zu, während Anni noch eine kleine Extrarunde dreht, um etwas unterhalb des Biwakplatzes am Neuteich mit dem Wasserfilter Trinkwasser zu besorgen.

Es folgen Abendessen und etwas Trailromantik im schwindenden Abendlicht. Der Kocher surrt leise vor sich hin, zumindest unser kleiner Gaskocher. Der Benzinkocher nebenan trommelt sich dagegen lautstark auf die Brust und scheint jederzeit bereit, Richtung Mond zu starten. Sei’s drum, irgendwann ist jede Nudel fertig und es kehrt wieder Ruhe ein. Specht und Kuckuck sagen sich ausdauernd gute Nacht und auch wir verabschieden uns bald ins Land der Träume.

Vom Spitzstein nach Bad Schandau

Guten Morgen, Forststeig! Laut gähnend drängt es mich aus dem Schlafsack und dem Ruf meiner Konfirmandenblase folgend sehe ich mal nach, ob noch alle Bäume da sind. Und wo ich schon mal wach bin, starte ich gemächlich die Morgenroutine mit der der Kaffeekanne. Zum Glück haben wir genug Klüsengold (Anmerkung des Autors: Ruhrpottidiom für Kaffee) eingepackt, nicht auszudenken, wenn uns das ausgehen würde!

Da wir heute mehr oder weniger direkt nach Bad Schandau laufen wollen, ist Eile am Morgen nicht nötig. Wir kürzen ab und laufen erst die letzten Kilometer wieder auf dem Forststeig. Das Wetter spielt weiterhin super mit und kurz nach dem Start können wir einige spektakuläre Aussichten auf den Pfaffenstein mitsamt der berühmten Barbarine-Felsnadel erhaschen. Im Anschluss ruft der Gohrisch-Tafelberg, den wir über die Falkenschlucht erklimmen. Es ist eng, es ist dunkel und man denkt sofort daran, dass Indiana Jones vermutlich kurz vor uns hier durchgekommen ist. Mit dem etwas ausladenden 40-Liter-Rucksack müssen wir hie und da schon etwas pressen, aber mei, schließlich liegt die Betonung des Wortes Microadventure bei uns stets auf den letzten Silben.

Oben dreht sich dann wieder alles um die Aussicht. Man kann fast bis zu uns nach Hause blicken, in der Ferne sieht man den Dresdner Fernsehturm und auf der anderen Seite dann Zschirnstein und Schneeberg. 

Schnell sind wir wieder vom Gohrisch abgestiegen, überqueren kurz die Straße zwischen dem gleichnamigen Luftkurort und Papstdorf und machen uns direkt wieder an den Aufstieg hoch zum Papststein. Waren wir an den ersten beiden Wandertagen fast alleine unterwegs, nähern wir uns hier wieder den touristischen Hauptattraktionen dieser Region. Die gute Erreichbarkeit im vorderen Elbsandstein lockt nicht nur krasse Fernwanderer wie uns, sondern auch Tagesausflügler, die so recht komfortabel in den Genuss dieser Berge kommen. Nur rauf muss auch hier jeder selbst. Wieder fließt der Schweiß in Strömen, aber dank der gut ausgebauten Wege und Treppen sind wir rasch oben und zum Glück kann man sich hier in der Papststeinbaude auf der – ja natürlich – Aussichtsterrasse bei kühlen isotonischen Getränken und adäquater Sportlernahrung stärken. Das Weißbier und die Käsespätzle sind eine Wucht und man könnte noch stundenlang einfach dasitzen und gucken – herrlich! 

Der Endspurt nach Bad Schandau bietet noch einmal knackig kurze Anstiege und spektakuläre Aussichten – schon wieder. Aber versprochen, es wird nie langweilig.

Gegen Nachmittag erreichen wir nach drei Tagen und etwa 70 Kilometern leicht verschwitzt, glücklich und zufrieden den Bahnhof von Bad Schandau. Wir klatschen uns ab und erstehen im kleinen Café in der Bahnhofshalle ein kühles Getränk. 

Der Forststeig hat uns wirklich überrascht. Wir sind ohne große Erwartungen gestartet und haben uns einfach drauf eingelassen, was uns angeboten wird. Der Fernwanderweg mit Biwakplatzeinlagen hat viel mehr zu bieten als breite Forstwege und langweiliges Stapfen durch den Wald. Die schmalen Pfade, die großartigen Aussichten und eine Wegführung mit der Liebe für kleine, feine Details überzeugten uns voll und ganz. Wann ist doch gleich das nächste lange Wochenende?

Text: Simon Michalowicz
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