Zwei Jahre Familienzeit on the road. Die Schmitts starteten in Alaska zu dritt und erreichten Feuerland zu viert – Sohn Levi kam unterwegs in Mexiko zur Welt.
Fünf Jahre haben wir gearbeitet, Teile unseres Haushalts verkauft, auf Luxus verzichtet und jeden Cent für unseren Traum gespart. Ich gab meine Selbstständigkeit auf, Thorben kündigte seinen Job. Im Juni 2015 zogen wir in unser Reisemobil namens Frosch mit acht Quadratmetern Wohnfläche, um Nord-, Mittel- und Südamerika zu bereisen. Unser roter Faden: die Panamericana von Alaska nach Feuerland. Ein Netz aus 48.000 Kilometer Schnellstraßen, durch 19 Staaten, sechs Zeit- und vier Klimazonen.
Obwohl die längste Straße der Welt inzwischen meist asphaltiert ist, zog es uns und unsere zur Abreise einjährige Tochter Romy oft links und rechts auf die Nebenpisten, querfeldein, nach Lust und Laune, weil die wirklich interessanten Orte meist abseits der Hauptroute liegen. So kamen im Laufe der zwei Jahre knapp 100.000 Kilometer zusammen. Immer auf Tuchfühlung mit dem Leben und Treiben neben den Straßen.
Zwischen Polarmeer und Kap Hoorn erwarteten uns gewaltige Canyons und Bergmassive, kalbende Gletscher, einsame Wüsten, tropische Regenwälder und weiße Karibikstrände. Wir begegneten fremden Kulturen, besuchten alte Kolonialstädte, waren Zeugen geheimnisvoller Zeremonien und wurden von einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt verzaubert.
Ein halbes Jahr hatten wir Zeit für Kanada, Alaska und die südlichen Staaten der USA, ehe das Visum ablief. Der erste Härtetest erwartete uns bereits in Alaska und blieb neben den Begegnungen mit Grizzlys und den Nordlichtern besonders in Erinnerung: Der LKW hatte sich weit entfernt von der Zivilisation in auftauendem Permafrostboden festgefahren. Erst nach zwölf Stunden schaffte es ein beherzter Baggerfahrer, den Frosch mitten in der Nacht zurück auf festen Boden zu schleppen.
Ein neuer Passagier
In Mexiko verbrachten wir ein weiteres halbes Jahr, davon zwei Monate in einem kleinen Appartement, direkt am karibischen Meer. Hier kam Levi auf die Welt: Unser Sohn hatte sich bereits nach wenigen Wochen auf der Reise durch Kanada angesagt. Der mexikanische Pass für den kleinen Levi war in zwei Stunden ausgestellt, doch die Wartezeit auf das deutsche Reisedokument überschritt unsere Mietdauer. Per Zufall lernten wir eine mexikanische Familie kennen, die uns bei sich zu Hause in Cancún aufnahm und bei der Organisation für die Weiterreise half. Nach einer Woche trennten sich unsere Wege wieder – als gute Freunde.
Mit dem wenige Wochen alten Baby reisten wir für drei Monate durch Zentralamerika, fasziniert von Vulkanen und den »indígenas«, die sich bis in die Gegenwart wesentliche Teile ihrer faszinierenden Kultur bewahrt haben. Doch es waren auch anstrengende Wochen in der Gluthitze der Tropen.
Um das Ende der Reise nicht zu abrupt werden zu lassen, drehten wir noch eine Runde.
Die Grenzübergänge von Belize, Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama gelten als schwierig, und öfters wurde unsere Geduld auf die Probe gestellt. Meist dauerte es einen ganzen Tag, bis alle Formulare für die Einreise und Einfuhr des Fahrzeugs ausgefüllt waren. Strikt hielten die Grenzbeamten ihre Mittagspausen ein und blockierten den Betrieb.
Weil die Panamericana zwischen Panama und Kolumbien für etwa 90 Kilometer unterbrochen ist, mussten wir unseren Laster auf eine dreiwöchige Reise mit dem Schiff schicken. Wir verbrachten die Wartezeit in Medellín. Die Freundlichkeit der Kolumbianer zog uns sofort in ihren Bann. Nicht selten waren wir in der ehemaligen Mordhauptstadt Nummer eins von Menschen umringt, die Romy und Levi mit Zuneigung überschütteten. In Lateinamerika existiert der Begriff »kinderfreundlich« nicht. Dort ist es selbstverständlich, dass die jungen Menschen dazugehören – überall und jederzeit.
Gefühlschaos im Süden
Unser 38 Jahre alter Daimler-LKW war ein treuer Gefährte und machte selbst im Andenhochland von Ecuador, Peru und Bolivien, das uns bis auf 5030 Meter hinaufführte, keine Probleme. Er fuhr und fuhr.
In Patagonien begrüßten uns ungeahnte Weite und Wind. Die ersten Pinguine kündigten an, dass wir uns dem südlichsten befahrbaren Punkt Südamerikas näherten. Im argentinischen Ushuaia auf Feuerland, mit Blick gen Antarktis, verstummte der Motor und entfachte ein totales Gefühlschaos. Sollten wir lachen oder weinen? Wir hatten die längste Straße der Welt befahren. Nicht immer hatten wir daran geglaubt, diese Reise wirklich zu beenden. Doch Mut, Zuversicht, die Liebe zum Reisen und ein wenig Glück waren immer mit an Bord.
Um das Ende unserer Reise nicht zu abrupt werden zu lassen, drehten wir noch eine Runde durch Paraguay und Brasilien – und rollten im entspanntesten Land der ganzen Reise, Uruguay, langsam aus. Wichtige Wochen, um sich auf die Rückkehr nach Deutschland vorzubereiten. Organisatorisch und mental.
Das Buch zum Trip
Einen Favoriten unter den 19 Ländern haben wir nicht. Alle haben ihren Reiz und sind einzigartig. Jedes Land ist es wert, erkundet zu werden. Vor allem die Menschen hinterließen bei uns einen bleibenden Eindruck. Überall wurde unsere kleine Familie freundlich empfangen. Selbst die Ärmsten haben sich für die Fremden gefreut, eine solch intensive und unvergessliche Zeit gemeinsam verbringen zu können. Von Neid keine Spur.
Nach über zwei Jahren sind wir wieder in Deutschland. Ein kleiner Bauernhof, umgeben von Feldern und Wäldern, weit entfernt von Konsum, Staus und Hektik, half uns anzukommen. Das Reisefieber ist geblieben, wenn nicht sogar noch weiter gewachsen. Der Frosch bekommt aktuell einen neuen Aufbau und wird bald auf der Seidenstraße immer weiter gen Osten rollen.
MICHAELA & THORBEN SCHMITT
Alter: 40/35 // Heimat: Creglingen // Ausbildung: Steuerfachangestellte/Programmierer // Beruf: Mama, selbstständige Steuerfachgehilfin, Autorin/selbständiger Programmierer // Instagram: @hippie.trail
Michaela ist seit ihrer Jugend mit dem Reisevirus infiziert, kein Flecken der Erde ist ihr zu weit entfernt. Festgehalten werden die Erlebnisse in Reiseberichten und auf Fotos. Vor allem muss am Ende einer Reise ein neues Ziel vor Augen sein. Thorben hat sich früher gerne und viel zu viel im World Wide Web herumgetrieben. Seit er Michaela kennt, hat sich das geändert. Nach und nach entführte sie ihn in die Welt und von ihrer ersten großen Tour nach Indien war er vollkommen begeistert. Jetzt fühlt er sich am wohlsten, wenn er hinter dem Steuer sitzt, unter dem Laster schrauben und am Abend in geselliger Runde das Feierabendbier genießen kann.
Michaela hat über die Reise das Buch »AUSREISSER« geschrieben (Globetrotter Artikel-Nr 1203482, Preis 19,90 €).
Eine von 50: In der Sonderausgabe »50 Menschen, 50 Abenteuer« zeigen wir Menschen und ihre ganz persönlichen Geschichten – von skurillen Episoden über kleine und große Expeditionen bis hin zu ganzen Lebensgeschichten.