Berge Special

Save the blue heart of Europe

10 Jahre lang haben Naturschützer, Wissenschaftler und Locals mit der albanischen Regierung um den Fluss Vjosa gerungen: Staudämme für neue Wasserkraftwerke oder der erste europäische Wildfluss-Nationalpark? Nun ist die Entscheidung für die Natur und gegen schnelle Profite gefallen.

Ein Fluss für alle und alle für den Fluss

Was ist ein »echter« Fluss? Elbe oder Rhein? Vielleicht auch die Isar mit ihren Kiesufern? Sie alle sind gezähmt, der Wasserwirtschaft und dem Hochwasserschutz ist ihre Natürlichkeit zum Opfer gefallen. Ein »echter« Fluss ist ein natürlicher Fluss. Er windet sich in Kurven, hat ein kilometerbreites Flussbett und verzweigt sich in viele kleine Arme, die irgendwo wieder zusammenfließen. Ein solcher Fluss wurde nicht begradigt, wurde nicht aufgestaut und damit all seiner Kraft beraubt.

In Deutschland suchst du nach solchen Flusssystemen vergebens. Was hier als natürlicher Flusslauf gilt, ist oft ein Mikrobiotop – Ergebnis einer regionalbeschränkten Renaturierung. In Europa einmalig, hat sich auf dem Balkan ein blaues Herz erhalten. Ein Adernetz von Flüssen, die noch weitestgehend in ihrer ursprünglichen Form erhalten sind.

In Albanien lebt die lokale Bevölkerung seit Jahrhunderten im Einklang mit diesen Naturgewalten. »Wasser ist Leben« ist für die Albaner keine Plattitüde, sondern ein Grundsatz. Die Vjosa entspringt in Griechenland und fließt auf etwa 200 Kilometern ungestört durch Albanien bis ins Mittelmeer. Europas letzter Wildfluss geriet in den letzten Jahren unter Druck. Wasserkraftwerke und große Staudämme sollen Energie für die wirtschaftliche Entwicklung eines ganzen Landes liefern und die Natur muss weichen. Die Bagger rollten schon, als sich eine breite Öffentlichkeit für eine visionäre Alternative zur Zerstörung stark machte. Der Name eines Fluss auf dem Balkan klingt bis nach Hollywood.

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Auch im Globetrotter Magazin habt ihr über die Vjosa gelesen: 2018 erklärte Rok Rozman wie man als ↗David gegen Goliath eine der größten Flusserhaltungsinitiativen Europas auf die Beine stellt.
2021 paddelten Eike und Kim auf dem letzten Wildfluss Europas von der griechischen Grenze bis ins Mittelmeer und ↗berichteten als Video und ↗Podcast von ihren Erlebnissen.

Endlich überzeugt: Albaniens Regierung sitzt mit im Boot

Nach vielen Ups und Downs, Gerichtsterminen, einstweiligen Verfügungen und Baustopps gab es im Sommer 2022 Grund zum Feiern: Die begonnenen Bauarbeiten an den acht Staudämmen werden endgültig gestoppt. Kein neuer Investor kann auf schnelles Geld hoffen. Zukünftig wird ein Nationalpark die Vjosa schützen.

Die albanische Regierung unterschrieb im Rahmen eines großen Festaktes im Nationaltheater in der Hauptstadt Tirana ein Memorandum – eine Absichtserklärung zur Errichtung eines Wildfluss-Nationalparks. Dem ersten in Europa. Dieser wird neben der Vjosa auch alle ihre frei fließenden Zuflüsse umfassen. Die Entscheidung ist also endgültig für den Fluss und gegen die Naturzerstörung gefallen. Seit der Unterzeichnung des Memorandums sitzen Regierung und Umweltverbände endlich an einem Tisch, um das entsprechende Gesetz auf den Weg zu bringen.

Ulrich Eichelmann: Ohne ihn hätte es wahrscheinlich nicht funktioniert. Der Ökologe und Naturschützer arbeitet für die Organisation RiverWatch seit Jahren an der Kampagne zum Schutz der Vjosa. Er hat alle Höhen und Tiefen des Kampfes miterlebt und ist überzeugt: »Will man die Natur wirklich schützen, muss man größer denken! Eine Regierung lässt sich nur dann überzeugen, wenn man ihr auch etwas anbietet: Ein Nationalpark ist da nicht genug. Aber die Chance, zum Vorreiter in Sachen Flussschutz in ganz Europa zu werden – das ist doch verlockend, oder?«

Wie schafft man das? – Interview mit Ulrich Eichelmann

Wer sich mit der Vjosa beschäftigt, wird früher oder später über Ulrich Eichelmann stolpern. So war es auch bei Kim und Eike. Vor ihrer Vjosa-Befahrung 2021 machten sie sich im Web ein Bild der Situation vor Ort. Riverwatch und damit Ulrich Eichelmann waren da eine der wichtigsten Informationsquellen. Jetzt haben sie sich nochmal unterhalten. Vor allem darüber, wie man es hinbekommt, so viele Menschen hinter einer Geschichte zu vereinen.

»Wenn jetzt im 21. Jahrhundert so ein Ding passiert, dann muss das ausstrahlen auf andere Flüsse in Europa. Mindestens.«

— Ulrich Eichelmann, RiverWatch

Patagonia: Die neue Farbe im Sortiment »Balkan Blue« und das »Vjosa River Shirt« sind augenscheinliche Verbindungen des kalifornischen Outdoorspezialisten mit dem albanischen Wildling. Hinter den Kulissen passierte jedoch noch mehr: 2018 machte Patagonia die Aktion zum Schutz der Vjosa zu ihrer globalen Marketing-Hauptkampagne, finanzierte und produzierte einen Film, und machte sich zum Ziel, mit all ihrem Know-how eine Millionen Unterschriften für den Erhalt des einmaligen Wildfluss in Europa zu sammeln. Ziel erreicht! Vier Jahre später nimmt der erste Wildfluss-Nationalpark Formen an. Zum Festakt in Tirana war auch Patagonia-CEO Ryan Gellert dabei.

Zu Gast im Globetrotter Podcast

Im »Neue Horizonte Podcast« spricht Host Fabian mit Mick Austermühle von Patagonia und RiverWatch-CEO Ulrich Eichelmann. Sie reden über starke und erfolgreiche Kampagnen, die politische und wirtschaftliche Probleme benennen und Lösungswege aufzeigen. Aktivismus ist das Stichwort, das den Outdoor-Pionier Patagonia seit Jahren umtreibt.


AUTOR: Kim Kristin Mauksch

FOTOS: Michael Neumann, Andrew Burr, Archiv Patagonia

VIDEO: Eikefilm