Unsere neue Kolumnistin ist leidenschaftliche Backpackerin und wird auf Reisen magisch angezogen von skurilen Situationen. In der ersten Folge berichtet sie vom Höhentrekking in Nepal.
Es ist nicht leicht, sich in Namche Bazar als Abenteurer zu fühlen. Wo Reinhold Messner einst auf dem Weg zum Everest an seinem Trockenfleisch nagte, findet man heute alles, was auf 3440 Meter Höhe nichts zu suchen hat. Einen Beautysalon für die Aufstiegs-French-Nails oder das höchste Irish Pub der Welt – mit Whiskey, der hier oben ähnlich schwer verträglich ist wie das Cheese Fondue aus dem Bistro nebenan.
»Wäre es nicht vernünftiger, wir würden alle einfach unten bleiben?«, frage ich meinen Sherpa Jiban, während sich ein Träger neben uns gerade eine Kloschüssel auf den Rücken schnallt. Lachend schüttelt er den Kopf. »Ach, Dorsi. Wir brauchen euch, und ihr braucht uns.« Dann macht Jiban mir den Rucksack ordentlich zu und wir wandern weiter. Unser Ziel: der Gokyo Ri in 5357 Meter Höhe.
»Ab 4000 Meter ist es tatsächlich harder. Das WLAN wird teuer und die Höhe raubt den Schlaf.«
Die ersten Etappen sind ein Klacks, verglichen mit der Challenge, etwas zu essen zu finden. Denn wie bitte soll man sich auf den seitenlangen Speisekarten zwischen Yak-Burgern, Cheesecakes und Pizzen entscheiden? »Iss bloß kein Fleisch! Das hängt hier schon länger rum als der Yeti!«, raunt ein Wanderer. Dass er bereits im Abstieg ist, kann ich seinem Gesicht ablesen. Es ist krebsrot, mit einem weißen Panzerknacker-Streifen, wo vorher die Gletscherbrille saß. Dramatisch blickt er mir in die Augen: »When you think it’s hard, it’s going to be harder.«
Ab 4000 Meter ist es tatsächlich harder. Erstens wird das WLAN stetig teurer. Zweitens raubt die Höhe mir den Schlaf. Vier Nächte mache ich kein Auge zu, während Jiban tagsüber alles gibt, um mich wach zu halten – von Schlaf am Tag wird man seiner Meinung nach schneller höhenkrank. Vor allem aber wird so mein Nervenkostüm von Tag zu Tag dünner – wie auch die Luft. Kurz vor Schluss ist mir alles egal. Samt Wanderstiefeln steige ich schon mittags in meinen Schlafsack. »Dorsi! No sleep!« Jiban hebt mich aus dem Bett und stellt mich auf den Boden. Ich heule laut los: »Ich heiße Doooris – und ich kann einfach nicht mehr!« Endlich akzeptiert Jiban und lässt mich in Ruhe heia machen.
Zum nächsten Sonnenaufgang stehe ich dann doch oben auf dem Gokyo Ri. Um mich herum die gewaltigen Gipfel des Himalaja und direkt vor mir in der Morgensonne: der Mount Everest. Atemberaubend. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Erst Tage später schnaufe ich wieder richtig durch, als ich zurück in der kuscheligen Lodge in Namche Bazar bin. Endlich wieder duschen, ohne vorher die Seife aufzutauen. Endlich wieder alles, was auf 3440 Metern nichts zu suchen hat, jetzt aber zugegebenermaßen doch ganz nett ist. »Hier gibt’s ja nicht mal Handtuchhaken!«, mault mein Tischnachbar und fragt, ob sein Sommerschlafsack für da oben ausreicht. Dramatisch blicke ich ihm in die Augen. »Iss bloß kein Fleisch!« Er hört auf mich und ordert zu seiner Flasche Wein eine Frühlingsrolle mit Oktopus. Nur zu gerne hätte ich erfahren, wie seine Geschichte endete. Doch ich musste dringend mal runterkommen.
DORIS MÜLLER
ist 32 Jahre alt, Münchnerin und Comedy-Autorin. Sie schreibt für TV-Formate wie »Knallerfrauen«, »Die Martina Hill Show« oder »Rabenmütter« und macht Radio-Comedy für Bayern 3. Dazwischen erkundet sie so oft es geht die Welt mit dem Rucksack – und erzählt hier von spannenden und kuriosen Begegnungen unterwegs.