Unsere neue Kolumnistin ist leidenschaftliche Backpackerin und wird auf Reisen magisch angezogen von skurilen Situationen. In der zweiten Folge lässt sich Nächte im Hostelzimmer Revue passieren.
In meinem Alter teilen die meisten Urlauber ihr Zimmer lieber mit einem Handtuchschwan als mit acht völlig Fremden. Ich nicht. Denn ich liebe Hostels. Selbst dann, wenn ich wieder auf der obersten Leitersprosse balanciere, um mein Stockbett mit einem viel zu kleinen Laken zu überziehen. Nicht, dass ich nicht auch anderes ausprobiert hätte. Ich war schon in richtigen Erwachsenenhotels, mit Frühstücksbuffet und »Madam, ich trage Ihren Koffer in Ihr viel zu weißes Einzelzimmer«. Doch zuhause fühle ich mich nur in den Hostels, wo der Duft von Instantbrühe durch die bunt bemalten Gänge weht, gemeinsam mit dem Geschrammel einer schlecht gestimmten Gitarre.
»Ein Hostelzimmer ist wie ein Adventskalender. Jeden Tag gibt es eine neue Überraschung.«
Klar, so mancher Schlafraum ähnelt eher einem Kartoffelkeller als einer Unterkunft. Aber was braucht man schon unterwegs? Ein Bett, ein Schließfach, eine Steckdose und WLAN. Und für jeden eine Fernbedienung für die Klimaanlage (aber das bleibt wohl Wunschdenken).
Natürlich gibt es Schlafsaalmomente, in denen man sich das viel zu weiße Einzelzimmer zurückwünscht. Wenn man sich nachts fast den Hals bricht, weil man auf dem nassen Slip ausrutscht, den die Bettunternachbarin zum Trocknen auf der Stockbettleiter drapiert hat, zum Beispiel. Oder wenn sich noch vor Sonnenaufgang die Chinesin eine Nasenspülung am Zimmerwaschbecken gönnt. Ein Hostelzimmer ist wie ein Adventskalender. Täglich öffnet sich das Türchen, und jeden Tag gibt es eine neue Überraschung. In der einen Nacht ereilen dich fünf besoffene Russen, die so krachend laut schnarchen, dass deine Ohropax vibrieren. Und am nächsten Tag rollt eine Japanerin lautlos ihren Rollkoffer herein, klettert lautlos in ihr Bett und du freust dich auf eine lautlose Nacht. Soll ich euch was sagen? Sie hat geschnarcht wie ein Elch.
Zur wachen Stunde treibt der Rucksackmief die meisten Backpacker in die Common Areas. Sie sind das Herzstück jedes Hostels. Auf den Sofas der Dachterrassen und Wohnzimmer versumpfen einige Reisende so sehr, dass sie vom Land drum herum fast nichts mitbekommen. In Mumbai traf ich ein Mädchen, die es nach zwei Monaten im Hostel noch nicht einmal in die Innenstadt geschafft hatte.
Manchmal gibt es ein Bistro, manchmal eine Bücherecke, manchmal einen Kickertisch und immer jemanden, der etwas Spannendes zu erzählen hat. So wie der Waliser, der all seine Kletter- und Tauchtrips ohne Kratzer überstand – nur um in Buenos Aires im Krankenhaus zu landen, weil er nachts aus seinem Stockbett gefallen war. Oder Uncle Don – ein 80-jähriger Weltenbummler, den wir so lieb gewannen, dass wir zehn Tage mit ihm durch die kirgisischen Berge wanderten, und erst danach erfuhren, dass er nur noch zehn Prozent Sehkraft hatte … und einen Blindenschein.
Wahrscheinlich werde ich selbst irgendwann mit 80 Jahren neben den grau gewordenen Backpackern von damals im Youth Hostel chillen. Vielleicht gibt es bis dahin ja sogar Oldie Hostels, mit Stockbettenlifts. Und sollte dann jemand schnarchen, schalte ich einfach mein Hörgerät aus.
DORIS MÜLLER
ist 32 Jahre alt, Münchnerin und Comedy-Autorin. Sie schreibt für TV-Formate wie »Knallerfrauen«, »Die Martina Hill Show« oder »Rabenmütter« und macht Radio-Comedy für Bayern 3. Dazwischen erkundet sie so oft es geht die Welt mit dem Rucksack – und erzählt hier von spannenden und kuriosen Begegnungen unterwegs.