Chris, du bist einer der erfolgreichsten Outdoorfotografen, wie bist du aufgewachsen und was waren deine ersten Schritte in die Fotografie?
Ich bin in Kalifornien in der Nähe von Pismo Beach direkt am legendären Highway No. 1 an der Pazifikküste großgeworden. Surfen gehört dort zum Alltag und ich habe meine Freunde dabei fotografiert. Ich wollte damit in keiner Weise große künstlerische Ambitionen verfolgen, ich habe die Kamera einfach als Möglichkeit gesehen, mal aus Pismo wegzukommen und die Welt zu entdecken.
Wie hat das geklappt?
Ich habe mich mit Leib und Seele der Surffotografie verschrieben und alles auf diese Karte gesetzt. In den ersten sechs oder sieben Jahren meiner Karriere habe ich nichts anderes fotografiert. Ich habe dabei viel ausprobiert, viele Fehler gemacht und vor allem gelernt. Diese Dickköpfigkeit hat sich ausgezahlt. Irgendwann hatte ich tatsächlich ein Netzwerk aus Firmen und Magazinen, die mich auf Reisen geschickt haben.
»Film oder Foto – letztendlich möchte ich Geschichten erzählen und ich suche immer die bestmögliche Form.«
Chris Burkard
Was hat dich von anderen Surffotografen unterschieden?
Ich wollte eigentlich Landschaftsfotograf werden. Aber ich habe früh gemerkt, dass ich mit reiner Landschaftsfotografie niemals meine Rechnungen zahlen könnte. Trotzdem habe ich versucht, diesen Aspekt in meine Arbeit einfließen zu lassen. Ich betrachte die Landschaft immer als den wichtigsten Teil des Bildes. Wenn ich einen Surfer in das Bild einbauen konnte, war der Surfer nur ein Element von vielen. Klassische Surffotos haben sich damals viel mehr auf den Sportler und die eigentliche Action konzentriert.
Heute bist du für diesen Stil bekannt: kleine Menschen in großen Landschaften …
Das war ein ganz natürlicher Prozess, wenn man mehr von der Landschaft zeigen will, verkleinert man das Motiv. Ich habe mich sehr in diesen Stil verliebt und er ist so etwas wie mein Markenzeichen geworden. Lustigerweise ist das inzwischen in der gesamten Outdoor-Fotoszene ein beliebter Bildstil.
Kalifornien ist keine schlechte Gegend für Surffotografen, aber dich hat es in die kalten Regionen gezogen?
Die klassischen Warmwasser-Surftrips führten mich irgendwann immer an dieselben Orte und Wellen. Ich sollte mit meinen Bildern eine Begeisterung transportieren, die ich nicht mehr hatte. Mir fehlte die Motivation, um meine beste Arbeit abzuliefern. Ich wollte lieber etwas Ungeschminktes, etwas Echtes erleben. Also begann ich kältere Surfregionen zu erkunden, weil sie mehr Abenteuer versprachen und nicht alles so vorhersehbar war.
Mit einem Bild von einem Kaltwasser-Surftrip in Chile hast du 2010 den lllume-Award gewonnen, den wichtigsten Actionsport-Fotowettbewerb. Hast du geahnt, dass dieses Foto dein Durchbruch werden würde?
Ich habe gespürt, dass ich da einen besonderen Moment eingefangen hatte, ahnte aber nicht, wie es meine Karriere beeinflussen würde. Es ist ein besonderes Foto, aber es war auch kein Bild, das ich schon Monate vorher in meinem Kopf geplant und dann umgesetzt hatte. Erst lange nach dem Wettbewerb wurde es für mich wirklich wichtig, weil es die Zeit überstanden hat.
Zugleich bist du einer der ersten Outdoorfotografen, dessen Karriere im Internet begann?
Ich habe in den ersten Jahren für eine Surfwebsite gearbeitet und meine Bilder in Online-Fotogalerien veröffentlicht. Das war nicht einfach: Veröffentliche ich alle Bilder im Internet oder versuche ich Aufnahmen für die renommierten Printmagazine zurückzuhalten? Ich liebe Print, aber ich habe damals erkannt, dass sich meine Arbeit viel schneller verbreitet, weil jeder diese Websites anschauen konnte.
Wie machst du es heute?
Das Thema ist längst nicht mehr so dogmatisch. Bilder, die schon im Internet oder in den sozialen Medien zu sehen waren, werden immer noch gedruckt und umgekehrt. Print und Online sind für mich wie zwei verschiedene Arten, einen Song zu erleben. Das eine ist ungefilterte Live-Version und das andere ist das fein abgemischte Studioalbum.
Du hast auch als einer der Ersten großen Erfolg in den sozialen Medien gehabt …
Ich war nicht ganz der Erste, aber Instagram war für mich von entscheidender Bedeutung. Meine Frau sagte mir, dass ich das mal ausprobieren solle. Denn wenn ich von Reisen zurückkam, hatte ich all diese Bilder, aber immer das Gefühl, dass letztlich jemand anderes damit meine Geschichten erzählt. Also begann ich meine Erlebnisse mit den Leuten auf dieser Plattform zu teilen.
Jetzt hast du 3,6 Millionen Follower auf Instagram. Wie verändert das deinen Job?
Bei Tourismusprojekten geht es oft nur noch um Werbung in sozialen Medien – die wollen nicht nur meine Bilder, sondern auch meine Reichweite. Das ist manchmal schon komisch. Ich teile aber meine Erlebnisse gerne und erzähle so Geschichten, die authentisch und im Moment sind. Das fühlt sich fast so an, als würde ich mein eigenes Magazin leiten. Gott sei Dank muss ich mich dafür nicht groß verstellen. Es muss wahnsinnig stressig sein, wenn man sein Leben extra für Instagram inszeniert.
»Die Massen versammeln sich hauptsächlich an Orten, an die man sehr einfach gelangt.«
Wie viele Stunden am Tag verbringst du auf Instagram?
Auf Reisen können es schon mal zwei Stunden am Tag sein, weil ich dann einfach mehr zu erzählen habe. Zu Hause sind es etwa 30 Minuten pro Tag. Dort sind meine Familie und mein Leben wichtiger.
Erkennen dich Leute auf der Straße oder am Flughafen?
Kommt darauf an, wo ich hingehe. Ich würde mich auf keinen Fall als berühmt bezeichnen. Aber es ist immer ein besonderes Gefühl, wenn ich irgendwo bin und mir jemand sagt: »Ich war in Island, weil ich deine Fotos gesehen habe.« Ich bin dankbar, dass ich die Leute zu eigenen Erlebnissen inspirieren kann.
Einige Orte, die auch du mit deinen Bildern populär gemacht hast, sind inzwischen völlig überlaufen. Es gibt Diskussionen, ob man genaue Fotospots überhaupt noch preisgeben sollte. Was ist deine Meinung dazu?
Ich bin der Überzeugung, dass jeder von uns irgendwann einmal einen besonderen Ort oder eine Stelle gezeigt bekommen hat – zum Beispiel von Freunden. Und das ist auch wichtig, weil wir Orte erst erleben müssen, bevor wir sie schützen wollen. Die Reichweite von Social Media hat natürlich noch mal einen ganz anderen Einfluss. Aber die Massen versammeln sich hauptsächlich an Orten, an die man sehr einfach gelangt. Sobald du 20 oder 30 Minuten weitergehst, wirst du immer allein sein. Ich glaube, das größte Problem an Social Media ist, dass man Leuten die Freude nimmt, solche Ort selbst zu entdecken.
Wie bist du letztlich von den Surfern in die Outdoor- Szene gewechselt?
Surfen war meine erste Wahl, weil ich am Strand aufgewachsen bin. Das kannte ich einfach. Irgendwann habe ich für Patagonia ein paar Surfer fotografiert und die Marke fragte mich, ob ich nicht auch Sportarten wie Klettern, Trailrunning oder Skifahren in meinem Stil fotografieren wolle. Ich war begeistert und habe dann auch selbst Klettern und Skifahren gelernt – also so zu 80 Prozent.
Und was konntest du von der Surf- zur Outdoorfotografie mitnehmen?
Das war keine so große Umstellung. Ich war ja eigentlich schon immer ein Outdoorfotograf. Es ist fast so, als hätte ich mich hinter der Surffotografie versteckt, um meine Sehnsucht nach tollen Landschaften zu verbergen. Durchs Klettern und Skifahren kam ich plötzlich an noch viel wildere Orte, als ich es mir erträumen lassen habe.
Wann hast du deine Liebe zu Island entdeckt?
Das erste Mal kam ich im Auftrag des »Men’s Journal«, um eine Story über einen Surfer zu fotografieren. Das Land war so ein krasser Gegensatz zu allem, was ich je gesehen hatte, dass es mich nachhaltig beeindruckt hat. Die Suche nach guten Wellen in Kombination mit dieser rauen Natur machte den Trip zu einem echten Abenteuer und hat meine Liebe zu diesem Land und dieser Art des Reisens gefestigt. Jetzt komme ich immer wieder zurück.
Wie oft warst du schon dort?
Ich glaube, es sind jetzt um die 48 Trips. Normalerweise komme ich zweimal im Jahr und das seit fast 15 Jahren.
Deine Bilder von dort haben schon viele Leute für Island begeistert. Hast du jemals eine Dankeskarte vom isländischen Fremdenverkehrsamt bekommen?
Ich habe das Glück, mit vielen isländischen Unternehmen arbeiten zu dürfen. Und ich glaube, dass sie anerkennen, was ich für das Land und den Tourismus getan habe. Leider bin ich noch kein Ehrenbürger (lacht). Aber ich hoffe, dass ich Island eines Tages mal mein Zuhause nennen kann. Zurzeit habe ich dort eine Mietwohnung, ein Haus, ein Auto und eine Sozialversicherungsnummer. Ich bin also auf dem besten Weg dahin.
Zuletzt hast du in Island mehrere wilde Radtouren gemacht, sogar im Winter. Wie kam es dazu?
In den letzten sechs Jahren habe ich mich ins Radfahren verliebt. Mich begeistert, dass ich so dieses Land noch mal neu entdecken kann. Ich habe Island inzwischen mehrfach durchquert, auch mit Fatbikes im Winter. Außerdem bin ich einmal drumherum geradelt und war jetzt gerade in den Westfjorden und an der Ostküste unterwegs. Zu diesen Bikepackingtrips hat mich auch Galen Rowell inspiriert. Der legendäre »National Geografic«-Fotograf sagte immer, dass die Fotografie einen dazu zwingen sollte, ein aktiver Teilnehmer zu sein, nicht nur ein Zuschauer.
Wie verbindest du das viele Reisen mit deiner Familie?
In manchen Jahren klappt das besser als in anderen. Aber wenn man keine gute Work-Life-Balance findet, was bringt es dann? Wenn ich der talentierteste Fotograf überhaupt wäre, aber meine Familie aus den Augen verliere, dann habe ich trotzdem versagt. Das fordert viel Kommunikation und viel Klarheit darüber, was man will und was man anstrebt. Ich hatte immer dann Erfolg, wenn ich meine Hoffnungen und Träume offen mit meiner Frau besprochen habe. Wobei wir zu Hause das Wort Gleichgewicht nie benutzen, wir glauben nicht, dass es wirklich ein Gleichgewicht gibt. Das Leben besteht aus einem Rhythmus und manchmal gibt es Hochs und Tiefs. Damit muss man zurechtkommen.
Während wir sprechen, bist zu gerade mal wieder in Island – aber zum ersten Mal mit deiner Familie …
Meine Frau war schon vier oder fünf Mal hier. Aber mein Traum war es immer, auch meine Kinder herzubringen. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, dass sie alt genug sind, um alles wirklich zu begreifen. Ich finde es sehr befriedigend, wenn ich meine Lieblingsorte teilen kann. Gerade entdecke ich Island aus der Perspektive meiner Kinder noch mal völlig neu. Zwischendrin habe ich hier ein paar Jobs und die Jungs müssen auch Homeschooling machen.
Inzwischen drehst du auch Filme und stehst vor der Kamera. Ist das für eine große Fotokarriere notwendig?
Ich glaube nicht, dass es notwendig ist. Ich dokumentiere lieber andere Personen und stehe gar nicht so gerne im Vordergrund. Aber letztendlich möchte ich Geschichten erzählen und ich suche dafür immer die bestmögliche Erzählform. Wenn mir eine Geschichte etwas bedeutet, werde ich automatisch Teil der Erzählung. Das hat mich zum Filmemachen und zum Buchschreiben gebracht oder sogar dazu, dass ich inzwischen auch Vorträge halte.
Wie viel von deiner Fotografie ist geplant und wie viel passiert im Moment?
Das kommt darauf an. Bei einem Werbefilm mit Hunderttausenden Dollar auf dem Spiel und 70 Leuten am Set – da versuche ich sehr genau zu planen. Aber ich liebe es, wenn alles im Moment entsteht. Das ist toll bei Magazin-Storys, Expeditionen oder Dokumentarfilmen. Man dokumentiert die Dinge einfach, wie sie passieren. Das ist für mich die aufregendste Art zu arbeiten.
Du bist farbenblind, wie funktioniert das als Fotograf?
Ich kann Farben sehen, sie nur nicht genau unterscheiden. Grün und Braun sind zum Beispiel schwierig für mich. Aber es hilft mir auch. Wenn ich Bilder bearbeite, fasse ich die Farben nie an. Ich konzentriere mich eher auf die Tonalität des Bildes und die Kontraste – und das scheint ja ganz gut zu funktionieren.
Wie viele Kameras und Drohnen hast du schon zerstört?
Einen ganzen Haufen. Ich arbeite nach dem Satz: »Tools, not Jewels« – es sind Werkzeuge und keine Juwelen. In Chile sind wir mal mit einem kleinen Boot aufs Meer gefahren. Der Bootsführer war total betrunken und unterschätzte eine Welle. Wir sind nicht gekentert, aber alles war komplett durchnässt. Ich habe das Salzwasser aus meiner Kamera und aus meinen Objektiven geschüttet. Nur die Speicherkarten haben es überstanden. Ich dachte, jetzt versichert mich niemand mehr.
Hat sich deine Sichtweise auf die Fotografie im Laufe der Jahre verändert?
Früher habe ich mich vor allem für die Kameratechnik interessiert. Je älter ich werde, desto weniger interessiert es mich, welche Kamera ich eigentlich benutze. Ich brauche teilweise gar keine Kamera mehr. Seit ich mich auch durch Schrift und Sprache ausdrücke, fühle ich mich seltener kreativ frustriert.
In deinem Buch beschreibst du, dass du anfangs nie den Moment genießen konntest. Ist das immer noch so?
Ich habe immer damit gekämpft, auch im Kopf dort zu sein, wo meine Füße sind. Ich habe immer schon geplant, was als Nächstes kommt – in meiner Karriere, in meinem Leben. Ich habe mir nie die Zeit genommen, einfach nur zu genießen, zu atmen und da zu sein, wo ich jetzt bin. Das gelingt mir inzwischen immer besser. Zum Beispiel, indem ich jetzt meinen Söhnen Island zeige und mich einfach freue, wie wir als Familie das Land noch mal entdecken.