Vor 50 Jahren hat Patagonia erstmals das Clean Climbing propagiert. Wir haben die Patagonia-Athletin Dörte Pietron gefragt, was für sie Clean Climbing bedeutet.
Dörte, was versteht man unter Clean Climbing?
Im klassische Sinn versteht man darunter, dass man in einer Kletterroute nur mobile Sicherungsmittel verwendet. Zu mobilen Sicherungsmitteln zählen zum Beispiel Klemmkeile oder Friends. Die verankert der Vorsteiger in Rissen oder Löchern im Fels und der Nachsteiger sammelt sie wieder ein. Es bleibt im Normalfall keine Spur zurück.
Was ist dagegen »uncleanes« Klettern?
Das hat eine Entwicklung durchlaufen. Früher gab es noch keine Keile und Cams [Anm.: andere Bezeichnung für Friends] und man ist vorwiegend mit Schlaghaken geklettert. Die hat man mit einem Hammer in Risse oder Löcher geschlagen. Schlaghaken wurden auch als mobile Sicherung genutzt und vom Nachsteiger wieder rausgeschlagen. Das Rein- und Rausschlagen beschädigt aber den Fels. Ein gutes Beispiel sind die ganzen Routen am El Capitan im Yosemite Valley in Kalifornien. Da wurde früher sehr viel mit Schlaghaken geklettert. Und selbst dort im harten Granit sind richtige Löcher entstanden, an den Stellen, wo die Schlaghaken immer gesetzt wurden. In Kalifornien ist dann auch die Idee des Clean Climbing entstanden, als zum Beispiel der Patagonia-Gründer Yvon Chouinard in den 1970er-Jahren beschloss, keine Schlaghaken mehr zu verkaufen, sondern nur noch mobile Sicherungsmittel wie Keile.
Dörte Pietron
ist Bergführerin, Trainerin des Frauen-Exped-Kaders beim DAV und gibt PSA-Sachkundekurse. Früher ist Dörte halbjahresweise zwischen den Dolomiten und Patagonien gependelt. Seit drei Jahren lebt sie im Allgäu. Obwohl sie zum Patagonia-Team gehört, sieht sie sich als Amateurkletterin. Denn Klettern ist für Dörte Freizeitbeschäftigung – wenn auch eine sehr wichtige Freizeitbeschäftigung, in die sie vermutlich genauso viel Zeit und Energie steckt, wie in ihren Beruf.
Und wozu zählen Bohrhaken?
Wenn man internationale Kletterer fragt, was sie unter Clean Climbing verstehen, werden sie meist sagen, dass man keine Bohrhaken verwendet. Aber gerade hier in Europa gibt es viele Gebiete mit schweren Routen im Kalkgestein. Man kann dort oft keine mobilen Sicherungen legen, weil es kaum Risse oder Löcher gibt. Ich habe dann nur die Optionen: Ich klettere völlig ohne Absicherung, ich nutze Bohrhaken oder ich klettere gar nicht. Da ist der Bohrhaken dann schon die beste Methode.
Können Bohrhaken auch clean sein?
Mit mobilen Sicherungsmitteln hinterlässt man natürlich weniger Spuren, aber ganz spurlos ist das oft auch nicht. Zum Beispiel im weichen Sandstein (z.B. in der Pfalz) sieht man auf Dauer auch Begehungsspuren. Wird immer an derselben Stelle ein Keil gelegt, wird der Riss dort auch breiter. Ich finde schon, dass Bohrhaken dort besser und zeitgemäßer sind. Wichtig ist aber, dass nachhaltige Bohrhaken aus hochwertigem Stahl verwendet werden. Die können Jahrzehnte der Witterung ausgesetzt sein, ohne zu verrotten. Leider wird noch viel verzinktes Metall verwendet. Da muss die Route dann relativ schnell wieder saniert werden. Dazu muss man nach ein paar Jahren neuen Haken einbohren und die alten Löcher zuschmieren – das hinterlässt natürlich noch mehr Spuren.
Wo sollte man keine Bohrhaken verwenden?
Zum Beispiel im Granit. In Granitrissen kann man super mobil absichern, ohne Spuren zu hinterlassen. Solche Routen einzubohren, wäre aus meiner Sicht eine Katastrophe. Außerdem finde ich schade, dass in europäischen Klettergebieten der Trend ausschließlich zu Bohrhaken geht – auch an Stellen, die man mobil absichern könnte. Natürlich machen Bohrhaken das Klettern sicherer. Aber man nimmt auch anderen Kletterern die Möglichkeit, das mobile Absichern zu lernen. Gerade wenn man etwas expeditionsmäßiger Klettern will, braucht man vorher Übungsgelände. Klassische Linien wie zum Beispiel in den Dolomiten sollten nicht komplett mit Bohrhaken saniert werden. Dort sind Bohrhaken an Standplätzen sinnvoll, aber dazwischen bitte nicht.
Du hast 2020 mit deinem Partner Daniel Gebel unweit der Zugspitze die Route »Goldkäfig« erstbestiegen. Warum habt ihr da Bohrhaken verwendet?
Die Linie sieht man gut im Aufstieg durchs Höllental auf die Zugspitze. Kurz vor dem Höllentalferner steht rechts ein markanter Pfeiler, der Östliche Riffelkopf. Dort geht die Route hinauf. Das ist genau so ein Beispiel, wo ich Bohrhaken für legitim halte. Die Schlüsselseillängen haben Schwierigkeiten bis zu 8b+ und führen durch total kompakten Fels. Dort bekommt man überhaupt keine Schlaghaken oder mobilen Sicherungen rein, weil es keine Risse oder Löcher im Fels gibt.
Wie habt ihr entschieden, wo und wieviele Haken ihr setzt?
In diesem Schwierigkeitsgrat klettert nicht jeder, deshalb muss man es auch nicht plaisirmäßig einrichten. Zwischen den einzelnen Haken darf es spannend sein. Im Fall eines Sturzes fliegt man gegebenenfalls auch weit. Ich setze Haken gerne auf Höhe des letzten guten Griffs vor einer schwierigen Stelle. Im leichteren Gelände haben wir auch größere Abstände zwischen den Haken gelassen. Wo ich noch sehr drauf achte ist, dass die Haken sich zwar nah an der Linie befinden, aber keinen möglichen Griff oder Tritt überdecken. Und natürlich verwenden wir hochwertigen Stahl, der nicht verwittert.
Was gehört für dich noch zum Clean Climbing?
Clean Climbing bedeutet für mich, dass man beim Klettern generell möglichst wenig Spuren hinterlässt. Das betrifft alles, was zu einem Klettertag gehört. Die Anreise möglichst mit Bus, Bahn oder Fahrrad. Wer trotzdem mit dem Auto fährt, parkt auf ausgewiesenen Parkplätzen und nicht irgendwo in der Wiese. Man bleibt auf den Wegen und trampelt keine Abschneider weiter aus. Ich lege mein Material nicht auf sensiblen Pflanzen oder an Rückzugsorten von Tieren ab. Wenn ich in der Natur aufs Klo muss, nehme ich eine Schaufel mit und vergrabe meine Hinterlassenschaften. Ich verwende Klopapier und keine Taschentücher, weil es sich schneller zersetzt. Und Müll nehme ich generell wieder mit.
Clean Climbing // Patagonia
In den frühen 70er Jahren stellte Chouinard Equipment (Vorgänger-Unternehmen von Patagonia) die Idee des »Clean Climbing« vor, die den Schutz des Felsen in den Fokus stellte. Routen sollten nicht mehr um jeden Preis und mit allen Mitteln geklettert werden. Stattdessen sollte es mehr um den Stil gehen. Das nannten sie »Clean Climbing«. In der Praxis verfolgte das Clean Climbing den Ansatz, Kletterhaken und andere Sicherungen zum Einschlagen durch Klemmkeile und Hexentrics zu ersetzen und somit auf Sicherungen zu setzen, die leicht zu entfernen sind und den Fels weniger beschädigen. Das übergeordnete Ziel des Clean Climbing bestand jedoch darin, eine Ethik zu fördern, bei der sich kletternde Menschen auf ihr Urteilsvermögen und ihre Fähigkeiten und nicht auf ihre Ausrüstung verlassen und beim Aufstieg keine Spuren zu hinterlassen.
Mehr Infos zur Clean Climbing Kampagne von Patagonia.