Kärnten: der Sonne entgegen

Klopft der Herbst mal wieder zu früh an die Tür, kann man den Jahreszeitenwechsel in Kärnten noch ein paar Wochen austricksen.

Franz Gerdl

Blick aus dem Fenster. Es nieselt. Graue Wolken. Es herbstelt unangenehm und ein langes Wochenende steht bevor. Da fällt mir ein, dass meine Eltern zu dieser Jahreszeit immer mit uns nach Kärnten gefahren sind. Den Sommer verlängern. Also mal wieder auf die Alpensüdseite. Aber ohne Smartphone. Urlaub wie früher. Fünf Tage später stehe ich mit zwei anderen unerschrockenen Frühaufstehern auf dem Gipfel des Großglockner. Sabine, unsere Bergführerin, schaut auf die Uhr. Genau sieben. In wenigen Minuten wird die Sonne aufgehen. Während die anderen anfangen, an ihren Smartphones herumzufingern, stehe ich einfach nur da und schaue. Warte. Genieße.

Wie eine Herde Schäfchen liegen weiße Wolken im Tal unterhalb. Ich schaue auf das berühmte Kaiserkreuz. Plötzlich blinzelt mir der kleine, goldverzierte Jesus schelmenhaft zu. Eine Reflexion. Die Sonne geht auf und bringt das Kreuz zum Strahlen. Stück für Stück schiebt sie sich hinter den Bergketten der Tauern hervor in den Himmel. Lichtstrahlen schießen auf uns zu und lassen die umliegenden Gipfel silbrig glänzen. Gigantisch. Was die anderen nur auf dem Bildschirm ihres Smartphones erleben, genieße ich live. In aller Stille und ohne Filter.

Glantschnig/KW

Abstieg zur Erzherzog-Johann-Hütte, wo wir auch die Nacht verbracht hatten. Die Bretteljause ist die Wucht. Jetzt, nachdem der anstrengende und zugleich erhabenste Teil des Tages hinter mir liegt, ist alles nur noch wie im Paradies: der Blick in die erwachenden Alpentäler. Der Duft von frischem Brot und Speck. Wohlige Schwere in den Beinen. Das Beste: Ich kann nicht reflexartig nach dem Smartphone greifen. Ortswechsel. Nach der Großglockner-Pflicht kommt jetzt die Nockberge-Kür. Ich will das Restwochenende mit einfachen Wanderungen und möglichst zahlreichen Jausen in den Nockbergen verbringen. Ihren Namen verdanken die Berge ihren sanft geschwungenen, »nockigen«, runden Bergkuppen. Überhaupt erinnert mich die Gegend hier, auf der Südseite der Alpen, irgendwie an eine zu hoch geratene Toskana: Es ist für Mitte Oktober ausgesprochen warm. Das Licht kommt mir vor, als hätte jemand die Landschaft mit einem Instagram-Filter bearbeitet. Zack, da ist sie schon wieder: Die Smartphone-Welt drängt sich immer noch in mein Bewusstsein. Trotzdem. Das Licht ist einfach schön!

Auf die sanfte Tour

Wer hier zum Wandern herkommt, der will genießen. Und genau das mache ich jetzt. Station eins meines Kurztrips in die Nockberge-Kindheit: die Tiebelquellen. Aus bestimmt Hundert Quellen gluckert und sprudelt hier das Wasser aus dem Waldboden. Überall kleine und kleinste Bäche, die sich irgendwann zur Tiebel vereinen. Mini-Staudämme lassen kleine Seen entstehen. Die ehemalige Kulturlandschaft (auf ihrem Weg zwischen Quelle und Ossiacher See standen mehr als 100 Mühlen) ist mittlerweile ein gigantischer Wasser-Spielplatz. Mit reinstem Trinkwasser. Ich beuge mich zu einem der plätschernden Bäche hinunter und nehme einen Schluck. Swoooosh! Ich bin wieder zwölf. Geschmack der Kindheit. Hier habe ich zum ersten Mal Wasser einfach so aus der Natur gekostet. Once-in-a-lifetime experience.

Ich wandere noch ein Stück durch die hügelige Landschaft bis zur wahrscheinlich sonnenverwöhntesten Alpe Kärntens. Die Gerlitzen Alpe gilt als schönster Aussichtsberg der Region und ist unter anderem Zwischenetappe des Alpe-Adria-Trails. Der Blick auf den smaragdgrün schimmernden Ossiacher See ist einmalig.

Franz Gerdl/KW

Der nächste Tag. Ich bin in der Ebene Reichenau, schließe mich einer Reisegruppe samt Biosphärenreservatsranger an und begleite sie ein Stück auf ihrer Wandertour durch die nockigen Berge. Unser Ziel ist Österreichs ältestes Bauern-Heilbad. Vorbei an pfeifenden Murmeltieren und einsam vor sich hin knarzenden Zirben erreichen wir die Eisentalhöhe. Ein Panorama ohnegleichen. Genauso wie das Aroma des Zirbenschnapses, den Ranger Stefan zur Belohnung aus der Innentasche seiner Tarnkluft zaubert. Der Flachmann geht um und wir gehen weiter. Der Abstieg führt direkt nach Karlbad. Hier sitzen wir im dampfenden Wasser einer Holzwanne zwischen uralten Steinmauern und spüren die Tiefenentspannung durch das mit glühenden Steinen erhitzte Quellwasser.

Der hausgemachte Kärntener Nudelteller, der uns im Anschluss serviert wird, schmeckt so gut, wie er aussieht. Und ich bemerke – selig –, dass ich gar keinen Drang mehr verspüre, ihn zu fotografieren, bevor ich zur Gabel greife. Stattdessen schaue ich ihn einfach nur verliebt an und schwöre mir: Ab jetzt nur noch ohne Handy in den Urlaub. Wie früher eben.