Jahre träumte Andreas Bartmann vom Kailash, dem heiligen Berg Tibets. An seinen 59. Geburtstag begann er die Umrundung.
Andreas, der Kailash ist als heiliger Berg ein berühmtes Pilgerziel für Buddhisten, Hindus und andere Gläubige. Für westliche Trekker gilt er als schwer erreichbar und sehr anspruchsvoll. Wie hat es dich nach Westtibet verschlagen?
Das hat tatsächlich mit meiner Arbeit als Geschäftsführer von Globetrotter zu tun. Vor Jahren gründeten wir gemeinsam mit anderen Outdoor-Händlern eine Marke namens Meru. Der Berg Meru ist in vielen östlichen Religionen der Sitz der Götter. Ich habe mich damals – erst nur wegen des Markennamens – in das Thema eingelesen. Als weltliches Symbol für den Berg Meru gilt im tibetischen Buddhismus der Kailash, ein wunderschöner, freistehender 6000er. Mich haben dessen Aussehen, aber auch die spirituellen Aspekte fasziniert.
Das war wie ein Saatkorn: Die Marke Meru führen wir bei Globetrotter schon lange nicht mehr, aber mein persönlicher Traum vom Kailash ist geblieben.
Und nun ist die Saat aufgegangen?
Richtig, aber es hat gedauert. Über die Jahre war ich mehrmals in Tibet, doch der Kailash liegt sehr abgelegen im äußersten Westen, da kommt man nicht einfach mal so vorbei. Früher war das Hinkommen selbst schon fast eine Expedition. Inzwischen gibt es in etwa 200 Kilometern Entfernung einen Flughafen, auch eine neue Straße erschließt die Region. Aber einerseits ist Tibet für mich kein Reiseziel, das man schnell mit dem Flieger abhakt; und andererseits bleibt da immer noch das Problem mit der Höhe.
Die Kora, wie tibetische Pilger die Umrundung des Kailash zu Fuß nennen, dauert drei Tage und ist 53 Kilometer lang. Klingt machbar, bis man auf die Karte schaut: Man bewegt sich da zwischen 4800 und 5700 Metern! Ganz schön heftig …
Das war der Grund, nun wirklich zu starten. Ich reise oft mit einer Gruppe von Freunden aus dem Globetrotter-Umfeld. Wir waren gemeinsam schon viel unterwegs – mit Hundeschlitten auf Spitzbergen, mit Kanus in Kanada und zuletzt in den Bergen von Tadschikistan.
Die Erfahrung lehrt einen, was man sich zutrauen kann, aber natürlich wird man nicht jünger. Inzwischen bewegen wir uns alle auf die 60 zu, und da tickt die Uhr in Bezug auf Fitness, Leidensfähigkeit und wohl auch Höhentauglichkeit. Daher hieß es dieses Jahr in Sachen Kailash: jetzt oder nie!
Und das hat geklappt?
Hat es. An meinem 59. Geburtstag starteten wir die Umrundung.
Und seid ihr mit der Höhe gut zurechtgekommen?
Bei einer früheren Tibet-Reise bin ich direkt nach Lhasa geflogen, das liegt »nur« auf 3650 Metern, und da hatten einige Begleiter schon richtige Probleme. Diesmal haben wir die Anreise entstresst und die Höhe langsam gesteigert. Also nach Peking geflogen, mit der Eisenbahn zwei Tage nach Lhasa gefahren, dann einige Zeit die tibetische Hauptstadt und später die Region um den Kailash erkundet.
So bekam unsere Reise auch eine schöne Dramaturgie, wir haben uns den endlosen Weiten Tibets sozusagen vorsichtig und respektvoll angenähert. Als die Wanderung losging, waren wir halbwegs gut akklimatisiert. Unterwegs hatte dann zum Glück auch keiner von uns fünfen Probleme. Aber sehr anstrengend bleibt das Wandern in dieser Höhe natürlich trotzdem.
»So bekam die Reise eine schöne Dramaturgie. Wir haben uns Tibet respektvoll angenähert.«
Wie finden es die Pilger, wenn sich westliche Touristen unter sie mischen?
Was mich mit am meisten an Tibet fasziniert, ist die Neugier, Offenheit und Gastfreundschaft der Menschen. Das ist auch am Kailash so. Es gibt keinerlei negativen Schwingungen, man lächelt sich an, grüßt und respektiert sich. Das setzt voraus, dass man sich als Tourist zurücknimmt, also nicht herumkrakeelt oder gleich mit der Kamera alles abknipst.
Die Sprachbarriere ist leider meist eine Hürde, aber sobald sich jemand zum Übersetzen findet, entstehen Gespräche, die für beide Seiten spannend sind. Und auch ohne direkte Kommunikation spüren es die Leute, wenn man sich für sie und ihre Kultur interessiert. Das sind positive Begegnungen – und auch motivierende: Wenn du gerade keuchend über deinen Trekkingstöcken hängst und dann zieht eine Gruppe älterer Damen singend vorbei, gibt das auch dir neue Energie.
Was macht den Kailash denn so besonders, dass er gleich für mehrere Religionen heilig und ein Pilgerziel ist?
Zum einen die Lage: Der Kailash dominiert eine Region im tibetischen Hochland, aus der sich Indus, Ganges und Brahmaputra speisen – diese Flüsse haben in den asiatischen Religionen eine enorme Bedeutung, ihre Quellregion also auch.
Zum anderen ist der Kailash auch optisch ein einmaliger Berg: Er ist ganzjährig schneebedeckt und erinnert in Form und Struktur an ein Kristall oder einen Edelstein. Sein tibetischer Name lautet auch sehr passend Gang Rinpoche, das bedeutet »kostbares Schneejuwel«. Wenn man die majestätische Pyramide zum ersten Mal mit eigenen Augen sieht, fällt es gar nicht schwer, den Sitz der Götter dort oben zu verorten.
Ist der Kailash, 6638 Meter hoch, auch für Bergsteiger interessant?
Interessant ganz sicher, aber der Berg wurde nie bestiegen, ebenfalls aus Respekt vor seiner spirituellen Bedeutung. Reinhold Messner hat bisher als Einziger eine Genehmigung zum Gipfelsturm erhalten – dann aber von sich aus verzichtet. Seither gilt es als ausgemacht, dass man den Kailash in Ruhe lässt. Auch deswegen ist das so ein spezieller Ort.
Wird man als Trekker auf dem Pilgerweg selbst auch zum Pilger?
Wir waren nicht aus religiösen Gründen gekommen, doch in der Seele unberührt lässt der Kailash niemanden. Schon die Umrundung selbst ist eine besondere Erfahrung. Es gibt ja kein konkretes Ziel wie einen Gipfel oder eine Hütte. Stattdessen brennt sich jeder einzelne Kilometer der Runde ins Bewusstsein ein. In der Höhe ist das Vorankommen keine Selbstverständlichkeit und jeder Schritt ist erst schwer, aber dann ein kleiner Erfolg. Dabei lernt man durchaus Demut und findet zu einer inneren Ruhe, die neue Gedanken ermöglicht. In unserer Freundesgruppe gibt es harte Realisten, aber selbst die sagten, diese Reise würde sie auf eine sehr spezielle Weise erden. Insofern wird man als Trekker tatsächlich ein Stück weit zum Pilger.
Auch die Erfahrung, so eine Tour mit guten Freunden zu machen, ist wunderbar. Der Schwächste bestimmt das Tempo, und ohne Toleranz, Rücksichtnahme und gegenseitige Hilfe käme keiner weit. Am Schluss lagen wir uns in den Armen und konnten es kaum glauben, dass wir es geschafft hatten.
»Menschen treffen, Kulturen erfahren – und eine tolle Outdoor-Tour. Das ist Abenteuer!«
Die Tibeter sagen, dass eine Umrundung des Kailash von Sünden befreit. Wer es 108-mal schafft, dem winkt sogar die unmittelbare Erleuchtung. Zieht ihr also noch mal los?
Eher nicht. Das war ein tolles Erlebnis, das kann man so stehen lassen in der eigenen Biografie. Und auch das Glück, das wir hinsichtlich Wetter, Gesundheit und Teamspirit hatten, muss man nicht ein zweites Mal herausfordern. Die Erleuchtung muss ich also woanders suchen. (lacht)
Was planst du zu deinem 60.?
Konkret ist noch nichts. Aber je älter ich werde, desto mehr wünsche ich mir, auf Reisen das Naturerlebnis mit Begegnungen zu verbinden. Menschen treffen, Kulturen erfahren – und eine tolle Outdoor-Tour. Das ist mein Abenteuer!
ANDREAS BARTMANN
Alter: 59 // Heimat: Hamburg // Ausbildung: Mess- und Regeltechniker, danach Wirtschaftsstudium // Beruf: Geschäftsführer bei Globetrotter
Andreas Bartmann stieß gemeinsam mit seinem Tourenkumpan (und späterem Schwager) Thomas Lipke in den 80ern zur Globetrotter-Gründungscrew. Später übernahmen beide die Geschäftsleitung und führten Globetrotter jahrzehntelang. Thomas ist inzwischen im Ruhestand (und Fotograf dieser Fotos), Andreas arbeitet weiter. Bis heute reisen sie gerne gemeinsam.
Einer von 50: In der Sonderausgabe »50 Menschen, 50 Abenteuer« zeigen wir Menschen und ihre ganz persönlichen Geschichten – von skurillen Episoden über kleine und große Expeditionen bis hin zu ganzen Lebensgeschichten.