Globetrotter Geschäftsführer Andreas Bartmann erzählt »Grandiose, fast unberührte Landschaft und angenehme Menschen, deren Türen für Besucher immer offen stehen – so habe ich Tadschikistan erlebt«. Zusammen mit seinen Freunden Kay Rittmeister, Holger Moths und Thomas Lipke ist er im Sommer durch das zentralasiatische Gebirgsland gereist. Die vier haben meist beruflich miteinander zu tun: Kay hat Globetrotter viele Jahre als Anwalt begleitet, Holger als Architekt, Thomas war bis vor Kurzem ebenfalls Geschäftsführer. Alle paar Jahre planen die alten Kumpels eine ganz besondere Tour, und nach einem Kanutrip in Kanada und einer Hundeschlitten-Expedition auf Spitzbergen sollte es diesmal eine »Reise ins Unbekannte« werden. Die gewohnte Komfortzone verlassen, Neues entdecken, den eigenen Horizont erweitern.
An dieser Stelle kam Matthias Poeschel als »Reiseleiter« ins Spiel. Er lebt in Tadschikistan und berät im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Aga-Khan-Stiftung. Sein Ziel: den Tourismus in der verarmten ehemaligen Sowjetrepublik ankurbeln, denn Tourismus schafft Jobs vor Ort. Viele junge Tadschiken haben keine Perspektive im eigenen Land und gehen als Arbeitsmigranten nach Russland. Eine Tour mit den weit gereisten Globetrottern, so versprach sich Matthias, würde auch wertvollen Input für die Tourismusentwicklung liefern. »Denn so wenig wir Westler über Tadschikistan wissen, so wenig wissen die Tadschiken über die Wünsche und Erwartungen westlicher Traveller«, sagt Matthias. Eine Win-win-Reise sozusagen.
LEGENDÄRER RÜTTELKURS: DER PAMIR HIGHWAY
»Tadschikistan ist eines der letzten Abenteuer, ein fast weißer Fleck auf der touristischen Landkarte. Ideal für alle, die fernab von Massentourismus als neugierige Entdecker unterwegs sein wollen«, erzählt Matthias im Gespräch mit dem Globetrotter Magazin. Und auch Andreas Bartmann, sonst eher hanseatisch zurückhaltend, gerät ins Schwärmen: »Ich bin selten so positiv von einem Land überrascht worden. Meine Erwartungen wurden weit übertroffen.« Aber der Reihe nach: Startpunkt ist die Hauptstadt Duschanbe, mit 780 000 Einwohnern das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Tadschikistans. Hier beginnt der legendäre Pamir Highway, der entlang einer Route der alten Seidenstraße ins Hochgebirge führt. Der Begriff Highway erweist sich als missverständlich, denn die Straße ist eher Piste als Autobahn, in der löchrigen Teerdecke lauern Schlaglöcher zuhauf. Die Globetrotter werden ordentlich durchgeschüttelt. Der Pamir Highway führt durch weite Wüstenlandschaften und grüne Hochtäler in eine wilde Gebirgswelt. Mit bis zu 7500 Meter hohen Gipfeln ist der Pamir eines der mächtigsten und zugleich trockensten Gebirge der Welt. Fantastische Ausblicke entschädigen für die Schlaglöcher, und abends lockert ein Bad in heißen Naturquellen die Muskeln wieder.
Begeisterung und Nachdenklichkeit gehören auf dieser Reise zusammen. »Tadschikistan ist noch ein sehr ursprüngliches Land. Wie viel davon geht kaputt, wenn mehr Gäste kommen?«, fragt sich Andreas Bartmann. Gleichzeitig eröffnet ein nachhaltiger Tourismus viele Chancen, und die Globetrotter nehmen ihre Rolle als touristische Entwicklungshelfer ernst. Den drei einheimischen Guides sollen sie vermitteln, wie westliche Outdoor-Touristen ticken.
Dass Wandern im Pamir, wo schon die Täler auf 3000 Metern liegen, Wissen über Akklimatisierung und Höhenkrankheit erfordert, ist den Gästen aus dem platten Hamburg bewusst. Das Globetrotter-Team fühlt sich fit genug für die geplanten Ein- und Mehrtagestouren in den Bergen. »Einige hatten zur Vorbereitung sogar ein richtiges Höhentraining absolviert«, erzählt Thomas Lipke.
»Fast unberührte Landschaft und angenehme Menschen, deren Türen für Besucher immer offen stehen.«
Ein Ziel ist die knapp 4000 Meter hoch gelegene Engelswiese, wo man ein Basislager errichten und Tagestouren unternehmen will. Die Engelswiese verdankt ihren Namen jedoch nicht ihrer engelsgleichen Schönheit, sondern dem 6510 Meter hohen Pik Friedrich Engels, an dessen Südflanke die Wiese malerisch liegt – vielleicht doch ein bisschen engelsgleich. Einen Pik Karl Marx (6723 m) gibt es auch. »Die skurrilen Namen stammen noch aus der Sowjetzeit«, erklärt Matthias, »damals wurden im Pamir ›Alpinaden‹ abgehalten, das waren internationale Wettbewerbe für Bergsteiger.«
Beim Aufstieg zeigt sich der Pamir von seiner wilden Seite, es graupelt, regnet und stürmt. Bald ist der schmale Weg vereist. Auf dem spiegel- glatten Untergrund verweigern selbst die Esel den nächsten Tritt. Die Gruppe muss abbrechen und auf andere Reviere ausweichen. Für die Schulung der Guides gleich eine gute Übung, denn solche Planänderungen müssen schnell entschieden und den Gästen gut erklärt werden. Auch das Marschtempo ist ein Thema: »Anfangs wollten die Jungs jede Strecke möglichst schnell bewältigen, wie sie das eben gewohnt sind. Wir erklär- ten ihnen dann, dass wir ja nur einmal hier sind und die Wanderungen und Ausblicke genießen möchten«, erzählt Thomas Lipke.
BASISARBEIT IN DER KUNST DES CAMPENS
Dass erfahrene Outdoorer statt – nett gemeinter – Beschwichtigungen lieber seriöse Infos erhalten, ist ein weiterer Diskussionspunkt. »Wenn es heißt: noch zwei Kilometer, und es dann aber fünf Stunden bis zum Ziel dauert, ist niemandem geholfen«, sagt Thomas. Ein andermal sollen die Zelte in einem holperigen Kiesbett aufgestellt werden, während die Pferde auf der Wiese nebenan grasen. »Da haben wir schon etwas Basisarbeit geleistet und erklärt, warum auch Wanderer auf gute Campplätze Wert legen, mit schöner Aussicht, Morgensonne, weichem Untergrund und Wasserstelle in der Nähe«, lacht Andreas. »Auch wenn solche Feinheiten den Guides doch eher fremd waren, haben sie unsere Anregungen wissbegierig aufgesogen, verstanden und schnell umgesetzt.«
Umgekehrt dürfen sich die Guides über die Schrullen der altgedienten Globetrotter amüsieren. Neben der ewigen Suche nach dem allerbesten Zeltplatz gehört dazu auch das Mitführen einer gut sortierten Camping-Bar. »Zum Sonnenuntergang wurden Beutel und Hightech-Trinkschläuche mit flüssigen Köstlichkeiten ausgepackt«, staunt Matthias. Rotwein wird stilecht in Lexan-Gläsern kredenzt. Guter Whisky darf auch nicht fehlen. »Die waren wirklich perfekt ausgerüstet.«
Dabei wird nicht nur Know-how weitergegeben, sondern auch Ware aus dem Sortiment: Als die Globetrotter die eher einfache Ausrüstung der Guides inspiziert haben, beschließen sie spontan, ein paar Zelte, Schlafsäcke und anderes Equipment zu sponsern.
»So ist das im Pamir. Alles klappt, nur nicht immer wie geplant.«
Übernachtet wird unterwegs nicht nur im Zelt, sondern auch bei einheimischen Familien, »Homestays« heißt dieses auch in anderen Ländern bewährte Konzept. Man schläft oft gemeinsam in einem Raum, jeder auf einer Matte. Die Homestays sind nicht nur eine Einnahmequelle für die Einheimischen. Hier begegnen sich auch die Kulturen und können sich austauschen. »Die vier sind Reiseprofis, das merkt man auch daran, dass sie Gastgeschenke, Postkarten und Fotos von zu Hause mitgebracht haben. So bekommen die Gastgeber auch Einblick in die Welt der Gäste«, erzählt Matthias. Die Gastgeber sprechen manchmal Englisch, meist aber Tadschikisch, Russisch, Wakhi oder Bartangi. Die Guides oder Matthias übersetzen.
PROJEKT PAMIR-TOILETTE
Für die deutschen Gäste sind das intensive Einblicke. »Das Leben der Pamiri ist hart und entbehrungsreich. Die Armut ist groß, Ackerbau und Viehzucht auf über 3000 Meter Höhe werfen nicht viel ab. Durch das Land laufen Transportrouten für Opium und Heroin, korrupte Behördenvertreter verdienen dabei. Trotzdem versprühen die Menschen eine ansteckende Lebensfreude, das ist schon sehr besonders. Einfachheit und Reduktion spielen eine große Rolle und färben wohltuend auf uns Besucher ab«, sagt Andreas Bartmann. Touristische Problemzonen wie die Sauberkeit der Betten oder die Beschaffenheit der Toiletten – das kennt man auch von Hiker-Hostels in Nepal – gibt es in Tadschikistan ebenfalls. Matthias und seine Kollegen von der Organisation PECTA (Pamir Eco-Cultural Tourism Association) sind dabei, in den Homestays entsprechende Standards einzuführen: einfache, aber saubere Lager, Haken an der Wand, um Kleider aufzuhängen, und frische Bettwäsche für jeden Gast. Auch die einfachen Plumpsklos sind nicht jedermanns Sache, doch Architekt Holger hat bereits das Projekt »Pamir-Toilette« aufgegleist. Bis er eine probate Lösung entwickelt hat, gilt Matthias’ Grundsatz: »In Tadschikistan muss man halt in die Hocke gehen.«
Für Thomas Lipke, den passionierten Fotografen, ist Tadschikistan ein großartiges Reiseland: »Als Tourist bist du hier hier Exot, aber die Leute sind total offen und interessiert, auf eine positive Art neugierig. Sie freuen sich einfach, dass wir in ihrem Land sind. Da ge- lingen nach netten Gesprächen tolle Portraits.«
»Als Tourist bist du hier Exot, aber die Leute sind auf eine positive Art neugierig.«
Fotomotive finden sich auf der Reise an jeder Ecke: schroffe Berge mit mächtigen Gletschern, grasende Yaks, türkisfarbene Gebirgsbäche mit weißen Sandbänken, uralte Festungen und Jurten kirgisischer Nomaden. Quirlige Basare, wo knallgelbe Zitronen, rote Granatäpfel oder grüne Korianderbündel aus den Ständen leuchten. Dazwischen, beim Metzger, ein stolz ausgestellter Kuhkopf.
DEM SCHNEELEOPARDEN AUF DER SPUR
Für ein echtes Highlight der Reise sorgt der gut vernetzte Matthias, als die Gruppe die amerikanische Forscherin Tanya Rosen trifft. Tanya arbeitet für Panthera, eine Organisation, die sich weltweit für den Schutz von Großkatzen einsetzt. In Tadschikistan leben noch einige Schneeleoparden. Tanya und ihr Team versuchen mehr über den scheuen, noch sehr unbekannten »mountain ghost« in Erfahrung zu bringen. Gleichzeitig wollen sie dem illegalen Handel mit Schneeleoparden-Fellen Einhalt bieten. Das soll gelingen, indem man aus Wilderern Naturschützer macht und die Bevölkerung für die gefährdeten Schneeleoparden sensibilisiert. Schließlich ist es der Mensch, durch den der Lebensraum der Schneeleoparden schrumpft.
Mit Tanya ziehen die Globetrotter los und stoßen auf seltene Marco-Polo-Schafe. Die Riesenwildschafe erreichen eine Schulterhöhe von bis zu 1,30 Meter, ihre gewaltigen Hörner winden sich zu einem Kreis. »Sie sind wunderschön«, sagt Tanya, »und auch Beute für die Schneeleoparden.« Die Raubtiere lassen sich zwar nicht blicken, aber das wäre wohl zu viel des Glücks gewesen. »Wir haben den Schneeleoparden nicht gesehen, aber dieselbe Luft geatmet. Das allein ist doch schon magisch«, freut sich Tanya.
Gar nicht magisch, sondern trocken realistisch gestaltet sich das Ende der Reise: Die Straße nach Duschanbe ist nach starken Regenfällen teilweise weggerissen, kein Durchkommen, auch nicht zum Flughafen. Also muss ein Plan B her.
Solche Situationen ist Matthias gewohnt: »In Tadschikistan passiert ständig etwas Unvorhergesehenes. Man muss immer auf eine Planänderung gefasst sein.« Er telefoniert und organisiert und bringt die Globetrotter schließlich ans andere Ende des Pamir Highways, nach Osh in Kirgisistan. 600 Kilometer Umweg. Aber von Osh geht ein Flieger Richtung Westen.
»So ist das im Pamir«, lacht Matthias, »es klappt alles, nur nicht immer wie geplant.«