Mittsommer und Strom durch Island

Geht das überhaupt? Ein 1500-Kilometer-Roadtrip allein mit regenerativer Energie? Und ob. Zumindest auf Island. Die Probe aufs Exempel mit Elektroauto, Elektrobikes und Mink Camper.

Michael Neumann

Und wie Sie hören, hören Sie nichts. Es ist jedes Mal eine Show, wenn unser Gespann aus voll­elektrische­­­­­m Mercedes-Benz EQC und 500 Kilo leichtem Mink Camper vom Campingplatz rollt. Denn weder beim Druck auf den Startknopf noch beim Anrollen ist ein Ton zu höre­n. Erst die einfedernden Dämpfer beim Überfahren einer Bodenwelle signalisieren den Campingnachbarn, dass sich hier was bewegt.

Einmal rum um Island in 3 Minuten 30 …

Es ist erst der zweite Tag unseres Trips und wir sind bereits voll überzeugt von unserer Idee: einmal mit dem Auto rund um Island, nichts hinterlassend als enttäuschte Tankstellenbesitzer, die von uns keine Krone sehen. Unsere Meilen­steine sind die bunten Schnellladestationen eines lokalen Energieanbieters, die in regelmäßigen Abständen entlang der Ringstraße stehen. 

Michael Neumann

»Islands Strom ist komplett aus erneuerbarer Energie
– da kann man nix Falsches tanken.«

Als Reichweitenverlängerer haben wir zwei E-Bikes dabe­i, um auch das Hochland jenseits der befestigten Straße­­n erkunden zu können.

Und egal ob E-Bike oder E-Auto, »getankt« wird in Islan­­d stets sortenrein. Denn hier ist der Strom aus jeder Steckdose zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien. Aktuel­­l stellt sich der Strommix wie folgt dar: 25 Prozent Thermalenergie und 75 Prozent Wasserkraft. An zwei Stelle­­n kommen wir selbst mit der isländischen Thermal­energie in Berührung: direkt neben dem Flughafen auf der Reykjanes-Halbinsel und im hohen Norden rund um den Myvatn-See. Bis auf wenige Meter kann man sich hier den Turbinen nähern, die aus Dampf Megawatt machen. Die Vibrationen des Bodens künden dabei von der enormen Kraft aus den über 2000 Meter tiefen Bohrlöchern, hinzu kommt das infernalische Fauchen der Schornsteine. 

Unserem erklärten Ziel einer möglichst nachhaltigen Reise­form kommen wir so – zusammen mit dem bei Atmos­fair kompensierten Anreiseflug – schon ziemlich nahe. Doch was ist mit dem Eyjafjallajökull-Effekt? Die Eru­ption dieses Vulkans mit dem unaussprechlichen Name­­n legte 2010 europaweit den Flugverkehr lahm und brachte Island weltweit in die Schlagzeilen. In Kombination mit dem Finanz­crash von 2008, der die Krone zuvor in den Keller geschickt hatte, registrierten die Seismo­grafen fortan einen bis heute nicht versiegenden Strom an Touristen aus aller Welt. Über 2,3 Millionen etwa haben 2017 das »Gran Canaria am Polarkreis« besucht. Bei 340 000 Einwohnern wohl­gemerkt.

Aber deshalb das wunderbare Island von der Bucketlist streiche­n? Bitte nicht. Vielmehr braucht es nur ein paar einfach­­e Tricks, und schon kommt einem Island wieder vor wie ein Land vor unserer Zeit, in dem allein die Natur das Sagen hat.

Nachts reisen, tagsüber schlafen

Zunächst einmal verhalte man sich komplett antizyklisch. 80 Prozent aller Touristen folgen ausgetretenen Pfaden und haben für den Abend eine Unterkunft gebucht, so dass sie spätestens um 22 Uhr von der Straße sind. Unser Plan laute­t daher wie folgt: Nachts reisen und tagsüber schlafen. Am besten funktioniert dieser Plan Mitte Juni, wenn die Sonne nahezu ununterbrochen scheint und auf den Untergang um ein Uhr bereits um zwei Uhr der Aufgang folgt. 

Als Untersatz dient uns der nigelnagelneue Mercedes-Benz EQC. Er ist Mercedes’ Antwort auf Tesla und Co., Vorreiter einer ganzen Generation kommender Elektro­autos aus Stuttgart und verspricht mit seiner 80-KWh-Hochvoltbatterie eine Reichweite von etwas über 400 Kilometern.

Die finale Kirsche unseres Plans ist der Mink Camper. Erdacht haben ihn die Isländer Kolbeinn Bjornsson und Ólafur Gunnar Sverrisson. Ihre Idee war es, einen klassischen Teardrop-Trailer auf ein Minimum zu reduzieren. Herausgekommen ist ein Doppelbett auf Rädern, zwei Meter lang und 1,40 Meter breit, dicker Latexkern, herrlich weich. Links und rechts erinnern die runden Eingänge ein bisschen an eine Waschmaschine, dazu ist das halbe Dach plexiverglast, so dass nichts den Blick auf Sterne, Polarlichter oder eben die Mittsommernachtssonne verstellt. Außen unter der Heckklappe versteckt sich eine praktische Kochzeile. 

»Links und rechts der Ring­straße entdecken wir Landschaften zum Niederknien.«

Derart perfekt ausgerüstet, starten wir in zehn aufregende Tage, in denen wir unser Konzept in die Tat umsetzen. Unser erstes Ziel zur Vermeidung von Touristenmassen ist ein Abstecher in die Westfjorde. Dieser Zipfel profitiert davo­n, dass er von den meisten Reisenden auf der Ringstraße links oder rechts – je nach Fahrtrichtung – liegen gelassen wird. Hier wollen wir eine der schönsten heißen Quellen Islands be­suchen. Ihre Koordinaten: hinterm Flughafen Gjögu­­r bei N65 59.931 W21 19.021. Und dort bitte die Auge­n aufsperren. Voraus ein schmaler Felsriegel, dahinter das Meer, links und rechts ein schmaler Streifen Schafweide und im Rücken der Tower des einmal in der Woche angeflogenen Miniflug­hafens. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass eine der drei vermeintlichen Regenpfützen auf dem Felsriegel leicht dampft. Wie um Himmels Willen kommt dort, auf drei Seiten vom Salzwasser umspült, bloß heißes Wasser her? Egal, darüber können wir auch noch die nächsten zwei Stunden im heißen Wasser philosophieren, während wir langsam »durchgekocht« werden.

Final zurück auf der Ringstraße, schwenken wir die Nase weiter nordwärts. Die nächsten Ziele: Trollhalbinsel mit der hübsch rausgeputzten und vom Heringsfang reich ge­wordene­­­­­­n Stadt Siglufjördur und der Aldeyarfoss, vielleicht Islands schönster Wasserfall.

Hier am Aldeyarfoss kommt dann auch unser toller Plan, die Tage am besten zu verschlafen, etwas ins Straucheln. Denn schon seit Beginn der Reise begleitet uns ein stabiles Schönwetterhoch mit Temperaturen bis 23 Grad. So krabbeln wir zwar nach dem Frühstück, das unser Abendessen ist, in die Kiste, doch drei Stunden später ist die »Nacht« schon wieder zu Ende. Kein Schatten weit und breit und so nähert sich die Innentemperatur im Mink langsam der 40-Grad-Marke. Uff! 

Aber egal, denn wir brauchen weit weniger Schlaf als gedach­­t. Das führen wir auf zwei Faktoren zurück. Zum einen sorgt die ständig scheinende Sonne für einen erhöhten Melatonin­spiegel und die damit verbundene Schlaflosigkeit, zum anderen ist der Schlaf im Miniwohnwagen derart er­hol­­sam, dass auch fünf, sechs Stunden reichen, um die Batterie­­n aufzuladen. Aber ab und an wünschen wir uns schon schlechtes Wetter herbei, um den Mink mal so richtig abwohne­­n zu können.

Nächste Station ist der Mývatnsee. Der Name ist Programm: »mý« = Mücken, »vatn« = Wasser. Zum Glück sind die Mücken eher Sumpffliegen, die nicht stechen, aber beim Biken mit offenem Mund doch für die ein oder andere unfrei­willige Proteinzufuhr sorgen. 

In Jon Snows Lustgrotte

In der Region ist der Vulkanismus noch allerorten in Form von Fumarolen, schmatzenden Schlammlöchern und wasser­gefüllten Kratern allgegenwärtig. Und wo Vulkanismus ist, da sind heiße Quellen meist nicht weit. Die wohl bekannteste ist das Mývatn Nature Bath, auch Jardbodin genannt. Hier wurde eine natürliche Thermalquelle zu einem großen Freibad umfunktioniert. Das tut dem Flair keinen Abbruch und im Vergleich zur berühmt-berüchtigten Touristenfalle Blaue Lagune nahe Reykjavik stimmen im Jardbodin Preis und Leistung. Ein paar Meter weiter sollte man sich auch die Grjótagjá nicht entgehen lassen – ein Drehort aus »Game of Thrones«. Dort wurde der Jon Snow von der rothaarigen Ygritte beim Bade zum Mann gemacht. 

Wir dagegen finden unser Glück ein paar Kilometer weite­­r. 39 Grad warmes Wasser in einem zehn Meter tiefen Felsspalt. So schön und perfekt, dass man glaubt, Gott hätt­e am siebten Tag doch nicht geruht, sondern sein perfektes Spa erschaffen. Ein Ort, dessen exakte Lage jedoch geheim bleiben muss. Wie sagte einst ein Freund darüber, der uns den Tipp gab: »Diesen Ort kann man nicht finden, dieser Ort findet einen.«

»Mit Erdwärme kann man nicht nur E-Auto fahren, auch der körper­eigene Akku kommt nicht zu kurz.«

Bei allem Verdruss über das Vorenthalten dieser Info nur so viel, liebe Leser: Island ist, wenn man sich die Mühe macht, mal einen Schritt weiter als die Massen zu gehen, voll von solch schier unglaublichen Orten. Besser also, ihr entdeckt schnell den Entdecker in euch.

Nach zwei weiteren Tagen in der Region sind wir langsam bereit für die Südküste, Islands populärste Region. Statt auf der N1 zu bleiben, kürzen wir auf unserem Weg gen Süden zwei Mal spektakulär ab. Einmal durch die Mondlandschaft des Mödrudalur mit seinem Weitblicken ins Hochland und dann über den Öxipass hinunter ans Meer. Mit unserem antizyklischen Reiseverhalten hebeln wir natürlich auch jedes Verbotsschild aus, das »Übernachten verboten« meldet. Diese Verbote sind aufgrund der Touristenschwemme in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen und unbedingt zu beachten. Allein im Hochland, wo weit und breit einfach kein Campingplatz ist, kann man getreu der Devise »Leave nothing but footprints« verfahren. Im Geröll wohlgemerkt, auf Moos sind auch Fußspuren tabu.

Berauscht von der Natur und motiviert vom fantastischen Wetter, sind wir mittlerweile bis zu 18 Stunden auf den Beinen. Erst nach einer Woche tauchen erste dunkle ­Wolken am Horizont auf und der Wetterbericht verheißt typisch isländisches Wetter: windig, Temperaturen im einstelligen Bereich und gelegentliche Regenschauer.

Plan B – wie Bike

Ob sich trotzdem noch ein Outdoor-Highlight ausgeht? Wir wollen ins Landmannalaugar, ein Thermalgebiet im Südwesten. Nur eine Hochlandpiste führt dorthin. Und die ist jetzt, Mitte Juni, meist noch gesperrt. Landmannalaugar bedeutet »die warmen Quellen der Leute aus der Region Landsveit«. Inmitten der in vielen Erdfarben schimmernden Rhyolithberge liegt an einem heißen Bach ein wunder­schöner Campingplatz, von dem aus man tolle Tageswanderungen und fantastische Biketouren unternehmen kann. Und jeden Abend wartet ein großer Naturpool auf uns, in dem eine heiße Quelle auf einen eiskalten Bach trifft. Je nachdem, wo man sich im Becken hinbewegt, kann man sich so die gewünschte Wassertemperatur von eiskalt bis unerträglich heiß »einstellen«.

Am Abzweig von der F26 auf die F208 ist unsere Reise zunächst zu Ende. Schranke geschlossen. Die Straße dahinter scheint jedoch frisch gemacht. Jetzt sticht Plan B – B wie Bike. So packen wir kurzerhand Zelt und Schlafsäcke in die Rucksäcke und rollern die 27 Kilometer bis Landmannalaugar einfach mit dem E-Bike. Als wir am Abend nahezu allein in der heißen Quelle sitzen, lassen wir einmal mehr die imaginären Sektkorken knallen. Unse­­r Plan, Island antizyklisch und emissionsfrei zu bereise­­n, ist absolut aufgegangen. Optimierungsbedarf besteht einzig bei der Reiselänge. Zehn Wochen statt zehn Tage, das wäre der Plan fürs nächste Mal.

Alles für deinen nächsten Island-Roadtrip