Im Juli ist es so weit. Nach fast einem Jahr geht es für mich erstmals wieder in die Berge. Seit ich vor 20 Monaten von meiner zweijährigen Auszeit zurückgekommen bin und mit meinem Freund eine eigene Firma gegründet habe, war einfach keine Zeit. Jetzt ist Urlaub!
Und Urlaub bedeutet für mich in diesem Fall Laufen und Berge. Dabei darf man Laufen wörtlich nehmen mit möglichst wenig Gepäck habe ich im Leben vor der Firmengründung zahlreiche Weitwanderwege, wie den Pacific Crest Trail oder Neuseeland von Nord nach Süd im Eiltempo belaufen.
Die Vorfreude ist also riesig, als ich jetzt endlich im Flieger nach Pamplona sitze. Mein Plan ist, ostwärts vom französischen Hendaye am Atlantik nach Banyuls-sur-Mer am Mittelmeer zu wandern. Man könnte auch in die andere Richtung laufen, da das Wetter aber meistens vom Atlantik kommt, hoffte ich gerade im Falle von Regen und Sturm auf die angenehmere Variante: Rückenwind statt Frontalgebläse mit peitschendem Regen im Gesicht.
Drei Namen – unzählige Varianten der »HRP«
Die Haute Randonnée Pyrénéenne, Pyreneen Haute Route oder auch Pyreneen High Route wird meistens nur »HRP« abgekürzt. Es gibt allerdings noch viel mehr Wegvarianten als sie Namen hat. Das liegt vor allem daran, dass der HRP kein durchgängig markierter Trail ist, sondern viel mehr eine Idee, die Pyrenäen auf den höchstmöglichen Pässen und Graten entlang der spanisch-französischen Grenze zu überqueren. Im Hochgebirge ist man meistens auf nicht markierten Wegen unterwegs oder es gibt nur vereinzelte Steinmännchen die man zur Orientierung nutzen kann. Anders als bei den großen Querungen GR10 und GR11, die jeweils am Rande der Pyrenäen auf der französischen, beziehungsweise spanischen Seite als gut markierte Wege parallel zum Hauptkamm verlaufen, ist Orientierung und Wegfindung beim HRP eine tägliche Herausforderung.
In Hendaye angekommen laufe ich als erstes an den Strand und genieße das kühle Nass des Atlantiks. Danach gehe ich in den nächsten Supermarkt und statte mich mit Gaskartusche und Lebensmitteln für die ersten Tage aus: Salami, Käse, Schokolade, Thunfisch und ein frisches Baguette für den ersten Abend. Die Erfahrungen aus meinen früheren Touren haben mich eins gelehrt, beim Essen gibt es nur eine Devise: Kalorien, Kalorien, Kalorien. Da ich leider in etwas mehr als drei Wochen schon wieder einen wichtigen Termin in Deutschland habe, bleiben mir nur 24 Tage Zeit für die Überquerung.
Normalerweise werden für die ungefähr 840 Kilometer lange und fast 100 000 Höhenmeter starke Tour zwischen 40 und 45 Tagen eingeplant. Für mich gibt es aber leider nur zwei Optionen – entweder ich schaffe es in 24 Tagen zum Mittelmeer oder ich muss vorher aussteigen und kann die Tour nicht fertig laufen. Alle Berichte klingen aber viel zu spannend, als dass ich etwas auslassen möchte. Wenn man die Tour in den empfohlenen Etappen geht, kann man jede Nacht in einem Refugio oder einer Schutzhütte übernachten. Die Refugios sind im Sommer bewirtschaftete Hütten und servieren meistens auch ein Abendessen und Frühstück.
Das Wetter auf dem Haute Randonnée Pyrénéenne
Das Wetter auf dem HRP kann alles! Ich starte in einer Hitzewelle von über 40 Grad am Atlantik und am »Lac de Caillauas« (2160m) kurz bevor ich den »Col Inférieur de Literole« überschreite, sind es morgens nur noch 4 Grad. Zwischendurch gibt es alles – tagelangen Sonnenschein ohne Wolken, heftige Gewitter mit Hagel, dichten Nebel, so dass man seine Hand fast nicht mehr vor den Augen erkennen kann und eisigen Wind. Am Beständigsten ist der ständige und plötzliche Umschwung.
Der Trail führt mich am Anfang durch das sanft ansteigende Baskenland mit seinen grünen Hügeln und seinen unzähligen versteckten Wehr- und Bunkeranlagen aus vergangenen Zeiten. Einen alpinen Vorgeschmack auf die Tour bekomme ich, als ich mich bei immer schlechter werdendem Wetter auf den ersten Gipfel der Tour – den »Pic d’Orhy« mit seinen knapp mehr als 2000 Metern – vorkämpfe. Eine halbe Stunde vom Gipfel entfernt, kann ich keine 20 Meter mehr weit sehen. Die Wolken sind so dicht und der Wind mittlerweile so stark, dass es einfach zu gefährlich ist, im hüfthohen Gras und auf den nassen Steinen weiterzugehen. Ich steige querfeldein auf der geschützten Seite ab, bis ich wieder auf einen befestigten Pfad treffe. Ich arbeite mich um den Gipfel herum und als ich auf der Rückseite ankomme, lösen sich die Wolken auf und der Gipfel scheint in der wunderschönen Abendsonne. Die einzige Wetterkonstante bleibt der beständige Wechsel!
Das erste Mal in der Pyrenäen – wie wunderschön!
Ich bin das erste Mal in den Pyrenäen und hatte keine Ahnung wie wunderschön es hier ist. Ich liebe die Berge und vor allem den Teil oberhalb der Baumgrenze. Dort wo die Vegetation immer dünner und niedriger wird. Man den verbleibenden Pflanzen den täglichen Kampf mit den Elementen ansieht und immer mehr der harschen und martialischen Felsformationen hervortritt, fühle ich mich heimisch.
Was ich liebe ist dieses unbeschreibliche Gefühl der unendlichen Weite, wenn man von einem Gipfel oder Pass auf den Horizont schaut. Was mich antreibt ist die Vorfreude auf den nächsten Ausblick, die sich bei einem stundenlangen Aufstieg in mir aufbaut. Und genau das sind die Pyrenäen! Der hellgraue, in der Sonne fast weiß funkelnde Granit, ist ein toller Kontrast zum blauen Himmel und den tausenden von Seen, die in von einem gletschergetränkten helltürkis bis zu einem tiefschwarz strahlen. Es erinnert mich sofort daran, wie ich vor ein paar Jahren von Mexiko auf dem Pacific Crest Trail bis nach Kanada gelaufen bin. Die Sierra Nevada könnte die amerikanische Kopie der Pyrenäen sein.
Die hochalpinen Regionen der Pyrenäen
Von Lescun aus geht es bei über 35 Grad stundenlang nur steil nach oben in die hochalpine Region mit ihren kargen und selbst im Hochsommer noch schneebedeckten Pässe und Gletscher. Oft laufe ich 1000 bis 1300 Höhenmeter am Stück bergauf und auf der anderen Seite wieder hinab. Nur, um auf der gegenüberliegenden Seite das gleiche Spiel von vorne zu beginnen. Genau mein Terrain. Ich habe Spaß an den langen Anstiegen und so renne ich fast jeden Tag zwischen 12 und 14 Stunden hoch und runter und kann das Grinsen fast nicht mehr abstellen.
Mein Rucksack ist mittlerweile so leicht und klein, so dass er ohne Essen und Getränke mit der gesamten Ausrüstung samt Zelt, Schlafsack, Isomatte, Klamotten, Regenschutz, Kocher, Wasserfilter, Elektronik, Navigationsausrüstung, Hygieneartikel und Reparatur- und Notfallausrüstung nur noch 4,7 Kilogram wiegt. Als ich einen anderen Wanderer auf halbem Weg zu einem der unzähligen Pässe überhole und er mir erzählt, dass sein Rucksack 22 Kilo wiegt, tut er mir echt leid. Bei aller Gewichtsoptimierung darf man aber nie die eigene Sicherheit vernachlässigen und an Kälte- und Nässeschutz sparen. Aber jedes Kilo macht bei diesen Anstiegen einen erheblichen Unterschied und reduziert auch das Verletzungsrisiko.
Um das Tageslicht voll ausnutzen und Strecke machen zu können, schlafe ich im Zelt und kann mir so meine Etappen frei einplanen. Außerdem möchte ich mal wieder Zeit mit mir alleine verbringen. Jede Nacht schlage ich mein Lager an einem See oder auf einem Plateau mit Aussicht auf und bin bis auf wenige Ausnahmen ganz alleine. Am achten Tag arbeite ich mich zur »Passage d´Orteig« hoch und der Trail wird immer anspruchsvoller. Als ich in die Wand einsteige, verwandelt sich der Weg in einen Klettersteig. Die Aussicht ist atemberaubend.
Nach einer kurzen Pause im »Refuge d’Arrémoulit« geht es weiter zur ersten Schlüsselstelle, dem »Port du Lavédan« auf 2615m. Über ein steiles Geröllfeld steige ich in eine Wand auf. Laut Beschreibung gibt es eine Scharte, welche die Überschreitung auf die andere Seite ermöglicht. Ich entscheide mich für die falsche Öffnung und brauche über zwei Stunden, um mich an teilweise senkrechten Wänden zum eigentlichen Übergang vorzuarbeiten. Glück gehabt, dass die Sonne scheint und die Steine trocken sind. Eine gute Warnung zur rechten Zeit, den Trail nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Der »Pic Carlit« – das letzte Highlight des »HRP«
Und so arbeite ich mich in den nächsten Tagen vorsichtig von Pass zu Pass. Es ist wunderschön anstrengend. Nach der Überschreitung des »Tuc de Mulleres« mit seinen 3010 Metern steige ich wieder hinauf auf ein Plateau mit hunderten Seen. Leider bilden sich Wolken als ich oben ankomme und ich sehe so gut wie nichts davon. Als ich gegen acht Uhr plötzlich auf festem Sand stehe, stelle mein Zelt auf. Am nächsten Morgen wache ich auf und kann ich meinen Augen kaum glauben. Der »Sand« ist der Strand des »Lac de Mar«. Mein Zelt steht keine 10 Meter vom Wasser weg und im Osten geht gerade die Sonne zwischen zwei Gipfeln auf und taucht den See in ein warmes Gelb-Orange. Und weit und breit niemand sonst. Genau deswegen bin ich hier!
Als ich mich dann aus den hohen Bergen verabschiede, hält der HRP noch mal ein absolutes Highlight für mich parat. Die Überschreitung des »Pic Carlit« ist steil, aber absolut lohnenswert. Da er nicht mehr Teil des Zentralmassivs der Pyrenäen ist, steht er freier und wirkt viel imposanter. Auf dem Gipfel blicke ich zurück und sehe die unzählbaren Gipfel mit ihren Schneefeldern und als ich mich umdrehe, wird mir unweigerlich klar – das Mittelmeer kann nicht mehr weit sein. Alles sieht karger und trockener aus und ich bilde mir ein, schon das Salz in der Luft schmecken zu können.
Nach 23 Tagen und 3 Stunden erreiche ich am Abend überglücklich Banyuls-sur-Mer. Im Schnitt bin ich 37 Kilometer und über 4.000 Höhenmeter pro Tag gelaufen. Fertig und ausgehungert springe ich ins Mittelmeer und wasche mir den Schweiß und Staub der letzten Wochen ab. Eine Dusche habe ich auf der Tour nicht gesehen. Es fühlt sich großartig an.
Mehr Informationen zu Florian und dem Trip
Wer noch mehr über den Trip erfahren möchte, Packlisten, Wegbeschreibungen oder auch Berichte vom West Coast Trail in Kanada, dem Te Araroa in Neuseeland, oder dem Pacific Crest Trail in den USA erfahren möchte, kann sich auf Florians Blog dowhatmakegood.de informieren.