Jedes Jahr schickt Globetrotter eigene Mitarbeiter nach Schweden, damit sie im Fjäll alles Wichtige für Wintertouren lernen. Globetrotter Magazin Redakteur Moritz Schäfer war 2014 dabei, und sein Fazit ist klar: Zelten bei minus 20 Grad macht Spaß – wenn man weiß, wie es geht, und die richtige Ausrüstung dabei hat.
Das ganze Innenzelt ist mit einer funkelnden Schicht aus Eiskristallen überzogen – die Wintertour startet. Ich stecke noch so tief in meinem Schlafsack, dass nur die Nase herausschaut. Bevor ich die Situation im Halbschlaf richtig begreifen kann, wird auch mein Zeltpartner wach: Voller Elan richtet er sich auf, berührt das Innenzelt – und unsere gefrorenen Ausdünstungen schneien auf uns runter. Na, lecker!
»Klassischer Anfängerfehler!«, bekommen wir später zu hören. Denn außer bei Schneesturm oder sehr heftigem Wind lässt man die Zeltlüftungen offen, damit das Kondenswasser entweichen kann. Okay, Lektion gelernt.
Es ist Mitte März. Wir sind auf Wintertour im Fjäll in der schwedischen Provinz Jämtland unterwegs, gut eine Autostunde östlich von Östersund. Wir – das sind acht Globetrotter-Mitarbeiter aus verschiedenen Filialen in ganz Deutschland, acht Kundenberater vom Schweizer Outdoorausrüster Transa und ich, der Redakteur vom Kundenmagazin.
In den nächsten Tagen geht es 70 Kilometer quer durchs Naturreservat Vålådalen. Geführt und organisiert wird unsere Ausbildungstour von schwedischen Outdoorherstellern, vertreten durch René Guba (Hilleberg), Stephan Krupke (Trangia) und Eva Arnlund (Woolpower). Alle Teilnehmer müssen ihre gesamte Ausrüstung in Rucksack und Pulka selbst mitführen, eigenständig navigieren und jeden Abend das Lager aufschlagen – eine echte Wintertour eben. Der Trip ist zudem gespickt mit Schulungen, in denen die Guides etwa den korrekten und sicheren Zeltaufbau, das Kochen bei Minusgraden und die Wahl der richtigen Ausrüstung erklären. Obendrauf gibt’s Infos zum Thema Routenplanung und eine Einführung in das schwedische Jedermannsrecht.
Petrus spielt mit
Bei Temperaturen um die minus 20 Grad haben alle die erste Zeltnacht vor dem Start der Wintertour überstanden und sitzen beim Frühstück in der Morgensonne. Unser Lager liegt an einem halb gefrorenen Fluss, der Wasser für Kaffee und Müsli liefert. Langsam macht sich aufgeregte Vorfreude breit: Habe ich auch wirklich nichts vergessen? Hätte ich das schwere Multitool doch besser zu Hause gelassen? Wie anstrengend wird der erste Tag? Und – am wichtigsten – habe ich genug zu essen dabei?
Für die meisten ist es die erste Wintertour, für einige sogar die erste Tour mit großem Gepäck überhaupt. Alle mussten sich im Vorfeld selbst um die Verpflegung und einen Großteil der Ausrüstung kümmern. Einzig die Hilleberg-Zelte, ein Satz Merinowäsche von Woolpower, ein Trangia-Kochset und ein Rucksack von Bach wurden gestellt. Schlafsack, Winterschuhe, Schneeschuhe, passende Bekleidung und alles Weitere mussten die Teilnehmer selbst besorgen, durften dabei allerdings auf den Fundus ihrer Filialen zurückgreifen.
Nachdem die Zelte abgebaut sind, werden noch die Brennstoffkanister und das Feuerholz auf die Pulkas verteilt. Die Sonne scheint, und keine Wolke ist am Himmel zu sehen. René, der jedes Jahr mehrere solcher Wintertouren leitet und in Östersund lebt, macht klar: So gutes Wetter hatte er fast noch nie.
Nach einem Navigations-Crashkurs haben alle die Marschrichtung auf ihrem Kompass eingestellt und kennen das Tagesziel: Wir wollen – nach einem Abstecher zu einem schönen Wasserfall – zu einem See und dort unser zweites Lager aufschlagen.
Was muss mit auf Wintertour?
In Zweierteams mit je einem Pulka machen wir uns gut gelaunt auf den Weg. Noch ahnt niemand, dass die eine Hälfte der Gruppe gleich am ersten Tag einen ziemlichen Dämpfer bekommen wird – doch dazu später mehr.
»Gar nicht so anstrengend«, freue ich mich nach dem ersten Anstieg. Meine Schweißausbrüche sind mehr der Sonne als der körperlichen Anstrengung geschuldet. Viele haben ihre Jacken und Mützen ausgezogen und marschieren im Merino-Longsleeve. Bald erreichen wir einen Wald, wo das Handling des Pulkas schwieriger wird. Trotzdem könnte die Stimmung kaum besser sein: Schokoriegel werden geteilt, bei Steigungen werden die Pulkas von hinten geschoben, und jeder quatscht mit jedem. Das Thema, um das sich viele Gespräche drehen, ist natürlich die optimale Ausrüstung für diese Wintertour.
Klar: Ein warmer Schlafsack ist bei einer Wintertour das A und O. Wer nachts friert, verliert wertvolle Energie für den Tag, zudem leidet die Moral. Das Zelt muss wintertauglich sein, mit einem Außenzelt bis zum Boden und verschließbaren Lüftungsöffnungen. Doch auch die Wahl der richtigen Schuhe ist entscheidend: Ich bin in echten Wintertrekkingstiefeln mit Filz-Innenschuh und Gore-Tex-Membran unterwegs. Während der gesamten Tour habe ich kein einziges Mal kalte oder nasse Füße. Jede Nacht nehme ich die Innenschuhe mit in den Schlafsack, so sind sie morgens trocken und vorgewärmt. Einige Teilnehmer haben jedoch klassische Wanderstiefel ohne Membran – nasskalte Füße und halb gefrorene Schuhe sind da beinahe programmiert.
Mein größter Fehler: Ich habe nicht genug Nüsse, Rosinen und Schokoriegel dabei. Schon am dritten Tag sind meine Vorräte aufgebraucht, und mir fehlt etwas zu essen für zwischendurch. Auf so einer Tour könnte man praktisch im Minutentakt einen Riegel oder eine Handvoll Studentenfutter einwerfen. Zum Glück machen die Kollegen meinen Planungsfehler großzügig mit Schokolade, Trekkingkeksen und anderen Leckereien wett.
Das Geröllfeld des Grauens im Fjäll
Als wir abends am Lagerplatz ankommen, ist die Sonne schon fast untergegangen – Navigationsfehler haben uns etwas Zeit gekostet. Nach der Mittagspause am Wasserfall hatte sich die Gruppe aufgeteilt, so dass nun nur die Hälfte der Teilnehmer ihre Zelte aufbaut und mit der Zubereitung des Abendessens im großen Gruppenzelt beginnt. Aber wo sind die anderen? Erst Stunden später tauchen wankende Lichter aus der Dunkelheit auf. Im Schein ihrer Stirnlampen trudelt die Nachhut am Lagerplatz ein. Sie haben eine falsche Route gewählt und sind dadurch in einem weiten Geröllfeld gelandet, das mit den Pulkas nur unter größten Anstrengungen und durch gegenseitige Hilfe zu passieren war. Doch trotz Verspätung und knurrender Mägen ist die Stimmung gut. Schnell bauen die Nachzügler die Zelte auf und kochen. Nach dem Abendessen geht’s sofort in die Zelte.
Die Etappe am nächsten Tag ist kurz. Schon am Nachmittag erreichen wir unser Lager am Fuße eines Berges. Dort stehen Schulungen auf dem Programm: Stephan erklärt den richtigen Umgang mit den Trangia-Kochsets, Eva gibt Pflegetipps für Merinowäsche. Danach bekommen wir einen Sonnenuntergang geboten, wie ich ihn noch nicht erlebt habe: Während die Sonne langsam hinter einem Hügel verschwindet, taucht sie ein heranziehendes Wolkenband in atemberaubende Gelb- und Orangetöne.
Gebannt beobachten wir die Szene, und nur zögernd gehen die Ersten Richtung Gruppenzelt, wo die allabendliche Küchenschlacht wartet: Tütennudeln kochen, Gemüse braten, Saucen anrühren. Lustig: Während die Deutschen zumeist einfache Gerichte am Start haben, scheinen die Schweizer bei der Menüplanung in erster Linie auf Qualität geachtet zu haben und kaum auf Gewicht und Packmaß. Von frischen Bratwürsten über Käsefondue bis hin zum Steinpilzrisotto kommen bei den Eidgenossen nur feinste Gerichte auf den Tisch.
»Polarlichter!«
Am vierten Tag der Wintertour überqueren wir mehrere zugefrorene Seen und schlagen abends unser Lager auf einem Hochplateau auf. Zeltprofi René zeigt uns, wie man auch bei heftigem Sturm den besten Standplatz findet, sein Zelt sicher aufbaut und so abspannt, dass ihm auch ein Orkan nichts anhaben kann. Danach sind wir dran: Emsig bauen wir die Zelte auf und wenden dabei die erlernten Tricks an. Danach ist es Zeit fürs Abendessen, und die ganze Gruppe pilgert hungrig zum Gruppenzelt.
Plötzlich hören wir René von draußen rufen: »Polarlichter!« Die Töpfe werden stehen gelassen, alle stürmen ins Freie. Und tatsächlich: Grüne Lichtbänder wabern langsam am Himmel umher. Dass das Phänomen an diesem Abend relativ schwach ausfällt, tut unserer Begeisterung keinen Abbruch. Mit unseren Köpfen im Nacken stehen wir im Schnee, bis der Hunger größer wird als das Staunen.
Der letzte Tag ist angebrochen. Schon seit gestern drehen sich alle Gespräche um das, was uns in der Fjällstation Vålådalen, dem Endpunkt unserer Tour, erwartet. Alle sehnen sich nach Sauna, Bier und einem richtigen Bett. Voller Vorfreude bauen wir also unser Lager ab, packen ein letztes Mal die Rucksäcke und marschieren los. Als wir am frühen Nachmittag am Ziel ankommen, fallen wir uns glücklich in die Arme. Der Freudentaumel wird abgelöst von der Sehnsucht nach Sauberkeit – nach sechs Tagen ohne fließendes Wasser oder eine richtige Toilette wollen alle schnell auf die Zimmer und sich frisch machen.
Zur Nachahmung empfohlen
Abends werden Elch-Frikadellen und das ersehnte Bier aufgetischt. Dass eine kleine Flasche stolze fünf Euro kostet, stört die wenigsten. Nach dem Essen sitzen wir lange zusammen, schauen uns auf einer Leinwand Schnappschüsse von der Tour an und unterhalten uns über die letzten Tage. Doch auch das weiche Bett lockt – langsam verschwinden alle auf den Zimmern.
»Ganz schön stickig«, stöhne ich am nächsten Morgen. Die Nacht war gar nicht so erholsam wie erhofft: Ein Zimmernachbar hat unentwegt geschnarcht, und in dem winzigen Fünfbettzimmer steht die Luft. Ich hätte es nicht geglaubt, aber bereits nach wenigen Stunden in der Zivilisation sehne ich mich zurück – nach den eiskalten Nächten im Fjäll. Mit offener Zeltlüftung, versteht sich.