Mit dem Wissen um die Wurzeln der Marke und dem Mut des Visionärs hat der Südtiroler Heiner Oberrauch der Traditionsmarke Salewa neues Leben eingehaucht – avantgardistischer Firmensitz an der Brennerautobahn als Landmarke inklusive.
Für Italienreisende auf dem Weg zu Gardasee, Adria oder Riviera ist das ikonische Headquarter der Bergsportmarke Salewa kaum zu übersehen. Zwischen dem Stadtrand von Bozen und den angrenzenden Obstplantagen im Süden, direkt an der Autostrada 22, ragt der expressive Firmenkomplex wie ein gigantischer schwarzer Turmalinkristall in die Höhe. Der architektonisch aufsehenerregende Bau neben der wichtigsten alpenüberschreitenden Verkehrsachse zwischen Deutschland und Italien ist ein starker Blickfang für gut 22 Millionen Durchreisende pro Jahr. Die Anmutung dieses Kristalls, so wie man ihn in den umliegenden Bergen der Dolomiten finden kann, ist natürlich kein Zufall. Der Firmenhauptsitz von einem der europäischen Marktführer für Bergsportausrüstung wurde von den Mailänder Stararchitekten Cino Zucchi und Filippo Pagliani 2006 als sichtbares Zeichen für die Marke Salewa entworfen. Das wie ein Bergmassiv geschnittene Gebäude sollte mit seinem ästhetischen Konzept die umliegende Landschaft, Kultur und Technologie der Marke Salewa harmonisch miteinander verbinden. Das Gebäude ist ein klares Statement von Salewa: Der Berg wurde zur Unternehmenszentrale.
»Ohne Liebe zu den Bergen ist es schwer, Produkte mit hoher Funktionalität und cleveren Details zu entwickeln.«
Thomas Aichner, Marketing Salewa
280 Mitarbeitende aus 15 Nationen
»Pure Mountain, die Liebe zu den Bergen, zeichnet Salewa und seine Mitarbeitende aus«, erklärt Thomas Aichner, seit Oktober 2018 Marketingdirektor des Bozener Bergsportausrüsters. Es klingt wie eine klassische Marketing-Worthülse, aber blickt man auf Thomas Aichners Vita, so füllt sich der Slogan mit echtem Leben. Der 51-jährige Südtiroler verkörpert perfekt Salewas Anspruch, das sportliche und kulturelle Erbe der Dolomiten mit technologischen Innovationen in ihrem hypermodernen Headquarter unter einem Dach zu vereinen. Aichner wohnt weit oberhalb von Meran in den Bergen, zusammen mit seiner Frau und seinen zwei jungen Söhnen in einem modern gestalteten Holzhaus direkt am Rande des Skigebiets Meran 2000. Nur eine kleine Straße führt zu dem einsamen Haus, die letzten drei Kilometer sind Schotterstraße. Im Winter ist Aichner froh um seinen geländegängigen Panda 4×4. Es gibt dort oben kein Handynetz, dafür eine eigene Quelle und ein Glasfaserkabel mit Highspeed-Datenrate, perfekt fürs Homeoffice.
Auch Thomas Aichner stand von Kindesbeinen auf Ski. Später, in den 1980ern, zählte er zu den ersten Snowboard-Pionieren in den Dolomiten, wurde Profisportler und gehörte zu den besten Snowboard-Freeridern Europas. Seine Leidenschaft für den Bergsport – vom Klettern bis zu anspruchsvollen Skitouren – hat er sich bis heute erhalten. Seine Erfahrung kann er nun auch beruflich voll einbringen. »Ohne echte Liebe zu den Bergen ist es schwer, Produkte mit hoher Funktionalität und cleveren Details zu entwickeln«, sagt Aichner und zieht einen Kletterhelm aus einem Regal in der Designabteilung. Im Headquarter arbeiten derzeit über 280 Mitarbeitende aus 15 Nationen.
Praktisch alle Beschäftigten aus der Design- und Entwicklungsabteilung seien selbst passionierte Kletterer, Bergsteiger oder Skifahrer, erklärt Aichner. »Drei Jahre Entwicklungszeit stecken in dem neuen Helm. Er wurde von unseren Athleten, von Bergführern und unseren Mitarbeitern getestet und entwickelt. Nur wenn du starke Produkte baust, erhältst du das Vertrauen der Kunden.«
Ab und Auf
Den Grundstein für die Marke Salewa legte Bergsportpionier Hermann Huber bereits in den frühen 1950er-Jahren. Allerdings nicht in Bozen, sondern im Münchner Süden, in der Thalkirchner Straße. Hermann Huber zählte zu den ersten Extremkletterern und begann beim Sattler- und Lederwarenunternehmen (kurz Salewa) – damals noch vorwiegend eine Werkzeugfirma – eine Lehre als Industriekaufmann. Für eine Peru-Expedition entwarf Huber einen Kletterrucksack, den er in der betriebseigenen Näherei fertigen ließ. Nach Erstbesteigungen in der Cordillera Blanca übernahm Salewa den Rucksack ins Programm. Das Modell »Anden« entwickelte sich schnell zum Verkaufsschlager. Huber zeigte als Bergsteiger großen sportlichen Ehrgeiz, aber noch mehr Einfallsreichtum beim Entwerfen von Alpinausrüstung. Fortan verbrachte er kaum noch Zeit am Schreibtisch, sondern war meist in der Werkstatt der neu gegründeten Abteilung Salewa Bergsport zu finden.
1955 begann der Bergsteiger Hermann Huber für seinen Arbeitgeber Sattler- und Lederwaren (Salewa) Bergsportausrüstung zu entwickeln.
Hubers innovative Produkte gaben dem Bergsport neue Impulse. In den 1960er-Jahren entwickelte Huber die erste Rohr-Eisschraube und eines der ersten Kuppelzelte. Auch das erste Zwölf-Punkt-Steigeisen mit Frontalzacken geht auf sein Konto. Eines dieser ersten voll verstellbaren Leichtsteigeisen befindet sich in Aichners Büro. »Hermann Huber entwickelte seine Produkte zunächst für sich selbst, dann für seine Freunde und schließlich für den Weltmarkt.« Das gestanzte Universal-Steigeisen verkaufte sich über 350 000-mal und ist bis heute eines der erfolgreichsten Produkte im Sortiment. Für seine außergewöhnlichen Verdienste um die bayerische Wirtschaft und den Alpinsport erhielt Hermann Huber vergangenes Jahr im Alter von 90 Jahren das Bundesverdienstkreuz.
In den 1990er-Jahren geriet die florierende Firma ins Trudeln, Salewa wurde von vielen anderen Marken überholt. »Salewa hatte an Profil verloren«, erklärt Marken- und Kommunikationsexperte Aichner die Turbulenzen und den Umsatzeinbruch. »Salewa war ins Snowboarden eingestiegen, baute Gleitschirme, hatte Bekleidung für Outdoor, Freizeit und Safari. Salewa war keine Qualitätsmarke mehr.« Daraufhin wurde Salewa von Heiner Oberrauch und seiner Oberalpgruppe übernommen, der Hauptsitz nach Bozen verlegt. Hier wagte die Firma in den 2000er-Jahren einen kompletten Neuanfang. Die Kernbotschaft der Marke, die visuelle Identität, das Sortiment wurden komplett umgekrempelt und wieder auf die ursprünglichen Füße gestellt. »Salewa besann sich auf seine Kernkompetenz, auf den Bergsport«, erinnert sich Aichner. »Die Bekleidungslinie wurde von 450 auf heute 150 Teile reduziert.« So bleibt Spielraum für Liebe zum Detail und den Einsatz von Naturprodukten wie Wolle und Hanf. »Wir wollen Kultur und Tradition der Dolomiten weiterführen. Dazu gehört auch, dass wir regionale Rohstoffe verwenden, dass wir unsere Bauern und Schafhirten unterstützen.«
Wohlfühl-Arbeitsplatz
Das vorerst letzte Puzzlestück bei der Wiedergeburt der Marke Salewa war 2011 die Eröffnung des Hauptsitzes an der A22. Schon bei der Planung des Gebäudes erwies sich Salewa-Chef Heiner Oberrauch als sehr vorausschauend. Der auffällige Bürokomplex wurde schon vor einem Jahrzehnt mit einem ausgeklügelten Energiekonzept realisiert. Eine Fotovoltaikanlage in der Größe zweier Fußballfelder sorgt für Energieautonomität, das mikroklimatisch geschickt geplante Gebäude kommt ohne Heizkörper und Klimaanlage aus. »Wir sind CO2 frei und es ist ein gutes Gefühl, in so einem Gebäude zu arbeiten«, findet auch Thomas Aichner. Gewiss, das Salewa Headquarter soll mit seiner Strahlkraft in erster Linie das Firmenimage repräsentieren, aber das Konstrukt ist mehr als Fassade aus Beton, Stahl und Glas. Im Hauptsitz herrscht in jeder Hinsicht ein gutes Klima. Das knapp 50 Meter hohe Firmengebäude dient mit seinen Büros und Lagerräumen natürlich in erster Linie wirtschaftlichen Zwecken, es beherbergt aber auch eine Cafeteria, eine Kindertagesstätte, einen Fitnessraum und Wohnungen für Mitarbeitende. Und auch Reisende sollten das Gebäude nicht nur von der Brennerautobahn aus bewundern. Im Gebäude integriert ist der frei zugängliche Cube, eine der schönsten Kletterhallen Italiens. Zusammen mit dem Bistro Salewa Bivac, das Bio-Gemüse aus dem eigenen Garten verarbeitet, ist hier am Stadtrand eine kleine Wohlfühloase entstanden. Ein Stopp lohnt sich!