Die Bergwelt von Davos Klosters steckt voller Überraschungen. Vor allem, wenn man seine Wanderung im Winter beginnt und im Sommer beendet.
Premiere! Meine Begleiterin – ihres Zeichens Fotografin dieser kleinen Geschichte – war noch nie bergwandern. Regenwald, Wüste – alles schon gesehen –, aber die Berge sind ein rotes Tuch. Höhenangst, sagt sie. Zur Einstimmung begrüßt uns der Morgen in Davos mit spätsommerlichem Schneefall. Wir fahren mit dem Postbus den Flüelapass hoch bis zur Haltestelle Wägerhus. Rebhühner fliegen aufgescheucht davon, als wir kommen. Über nun gezuckerte Weiden und Geröll gehen wir durch dichten Nebel den Hang hinauf bis zur Winterlücke. Kein Scherz, der Durchgang heißt tatsächlich so. Jetzt, wo die Winterlücke ihrem Namen die Ehre erwiesen hat, gestattet sich das dichte Gewölk, sich einen Spalt breit zu öffnen.
Sogleich meldet sich der Sommer mit Kraft zurück und lässt die Schneekristalle auf den Grashalmen und Steinblöcken um die Wette glitzern. Für einen kurzen Moment öffnet sich die weiße Wand und wir erhaschen einen Blick auf die hellgrünen Seen inmitten der kargen Berglandschaft. Was für ein Schauspiel! Vor lauter Begeisterung bemerkt Fotografin Anja gar nicht, dass sie nun – ohne den alles verschleiernden Nebel – sehen kann, dass sie in einer Bergwand steht. Keine Zeit für Höhenangst! Es muss fotografiert werden.
Es ist, als lieferten sich Frühling, Sommer, Herbst und Winter ein heftiges Gefecht. Wir steigen hinab und wie aus dem Nichts taucht vor uns die milchig-grüne Oberfläche des großen Jörisees auf. Fast zeitgleich hat der Sommer endgültig die Oberhand behalten und die wärmenden Sonnenstrahlen vertreiben mit Macht den dichten Nebel. Was für eine Szene: Überall tropft es glitzernd. Ein dünner Schleier Schnee liegt über den Bergspitzen und ehe man sich’s versieht, ist alles trocken. War was?
In typischstem Bergsommerwetter wandern wir zum urigen Berghaus Vereina. Auf der Terrasse sitzend, bei Schümli und Bündner Nusstorte, feiern wir Anjas Erstbesteigung und schwören wiederzukommen.
Auf alten Pfaden
Am folgenden Tag sind wir mit Thomas Gadmer von der Bündner Walservereinigung verabredet. Er will uns ein kleines Stück Walserweg zeigen. »Die Dörfer der Walser, die ursprünglich aus dem Wallis kamen, waren Teil einer Binnenkolonisation im Mittelalter und führten zu einer intensiven Nutzung der höheren Lagen«, erzählt er. »Der Weitwanderweg führt zu Schauplätzen der Walser und geht entlang ihrer alten Pfade.« Durch harzig duftenden Wald wandern wir vom Bahnhof Filisur auf einem gemächlich ansteigenden Weg. Ein Plateau mit leuchtend grüner Wiese schiebt sich ins Blickfeld. Wie hingewürfelt stehen wettergegerbte Holzhäuser in der Sonne. Im winzigen Jenisberg lockt die kleine Kneipe Gässälibeiz mit Selbstgebackenem und tollem Panorama. Doch unser Ziel ist das Veltlinerstübli in Monstein. Seit dem 18. Jahrhundert werden dort Gäste bewirtet. Damals kamen die Bauern auf ein »Zweierli«, heute kommen wir, auf ein Monsteiner Bier.