Weltenbummlerin: Sina Böye

Bummeln will gelernt sein. Nur wer beim Reisen zur Ruhe kommt, kann mit allen Sinnen genießen. Genügend Zeit spielt dabei für Fernreise-Expertin Sina Böye eine entscheidende Rolle.
Manuel Arnu

Sonne, Strand und Palmen – das ist die Vorstellung vieler Menschen von einem perfekten Urlaub. Dazu eine luxuriöse Unterkunft, viel Ruhe und romantisch­­e Sonnenuntergänge. Sina Böye hat ganz andere Glücksfantasien. Die Visio­­n ihres Traumurlaubs ist deutlich anspruchsloser und rustikaler. Und vermutlich nicht mehrheitsfähig. Fragt man sie nach ihren schönsten Urlaubserinnerungen, lautet die Antwort: »Ich sitze inmitten des Himalaja in einer nepalesischen Steinhütte auf dem Lehmboden, umgeben von gackernden Hühnern, und koche mit Einheimischen auf einer Feuer­kuhle eine Mahlzeit.« Ferien auf Wolke sieben – dafür benötigt Sina keine Postkarten­motive, selbst wenn dazu Flöhe, Bettwanzen und Durchfall gehören. Neugierde, Aufgeschlossenheit und der Mut, neue Wege zu gehen, sind ihr wichtiger, als auf ausgetretenen Pfaden den Kulissen einer Illusion zu folgen. »Ich brauche im Urlaub kein Wiener Schnitzel. Ich will etwas Neues erleben«, erklärt sie hanseatisch trocken.

Sina Böye, 41 Jahre alt, ist Meeresbiologin, weit gereist und Mitarbeiterin in der Globetrotter Filiale Hamburg-City. In einem Punkt geht sie mit der Mehrzahl an Urlaubern konform: Zeit ist der größte Luxus und fast jeder träumt am Ende seiner Ferien von ein paar Tagen mehr. Daher gönnte sie sich bei ihrer Nepalreise von vornherein ein dickes Zeitpolster von vier Monaten. 16 Wochen Zeit, um von Alltag, Sorgen und Routinen Abstand zu gewinnen und gleichzeitig Neuland zu entdecken.

Höhenkrank in Nepal

Trotz Zeit im Überfluss stolperte Sina während ihres ersten Treks, beim Aufstieg zum Annapurna-Basecamp, in eine klassische Anfängerfalle: »Mein Gepäck war zu schwer, ich bin zu schnell gelaufen und hatte zu wenig getrunken«, erinnert sie sich. Prompt traf sie die Höhenkrankheit mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und Atemnot. Dabei hatte Sina noch nicht mal die 3000-Meter-Marke gepackt. »Jeder Himalajatourist kennt die Gefahren der Höhe, aber ich hätte nie damit gerechnet, dass es mich so schnell erwischt.« Sie schaltete einen Gang zurück und investierte ihre Zeit, um wenig erschlossene und unbekanntere Landesteile zu erkunden.

Von Sinas Erfahrungen profitieren auch ihre Kunden – das Land am Dach der Welt ist Sehnsuchtsziel vieler Trekkingtouristen. Ihr erster Rat an Neulinge: »Ausrüstung optimieren und Gewicht reduzieren. Das Resultat spürst du bei jedem Schritt!« Nach dem gescheiterten Aufstieg vertraute sie sich einem nepalesischen Guide an. Eine Maßnahme, die sie auch jedem ihrer Kunden empfiehlt: »Es gibt keine bessere Möglichkeit-, Land und Kultur kennenzulernen, als mit eine–m Einheimischen.« Der Guide zeigte ihr eine andere Seite von Nepal, abseits der touristischen Hotspots. Sie erwanderte abgelegene Täler der Ganesh-Himal-Region, wohnte in Lehmhütten, lernte das Heimatdorf und die Familie ihres Guides kennen und kochte auf dem offenen Feuer ihr Essen, vor allem Knoblauchsuppe. »Den Tipp bekam ich von meinem Guide, um der Höhenkrankheit vorzubeugen. Ich musste auf sämtlichen Treks Knoblauchsuppe löffeln«, erklärt Sina. Dank Knoblauchsuppe erreichte sie ohne Beschwerden den Gosainkundsee auf 4800 Metern. »Vielleicht war es auch die Kombination von Suppe, langsamem Laufen und besserer Akklimatisierung«, lächelt sie.

Manuel Arnu

Wie Nepal, nur flacher: 2018 ist Sina beim Fjällräven Classic mitgelaufen.

Auch wenn Sina inzwischen versucht, ihr Gepäck auf ein Minimum zu beschränken, gibt es eine Handvoll Dinge, die ihrer Meinung nach unbedingt auf eine Reise nach Nepal in den Rucksack gehören: eine Schicht Merinowolle als Baselayer, ein guter Daunenschlafsack und warme Daunenbekleidung. »Merinounterwäsche ist temperaturregulierend, atmungsaktiv und geruchsneutral. Perfekt für lange Wanderungen. Und Daune bietet ein ideales Verhältnis von Gewicht zu Wärmeleistung.« Dazu noch gut eingelaufene Wanderstiefel, Filter oder Tabletten für eine keimfreie Wasseraufbereitung und bei Höhenwanderungen eine Sonnenbrille der Kategorie vier als UV-Schutz für die Augen. Seit zwei Jahren betreut und berät Sina ihre Kundschaft in der Globetrotter Filiale Hamburg-City, eine Arbeit, die der Diplom-Biologin sichtlich Spaß macht. Sie ist im Erdgeschoss für Bekleidung, Daypacks, Technik und Kasse zuständig, arbeitet 25 Stunden die Woche in Teilzeit. »Drei Tage die Woche flitze ich durch den Laden, den Rest der Woche arbeite ich in einem Labor und analysiere Umwelt- und Bodenproben.«

Ein Jahr Neuseeland

Im hessischen Marburg aufgewachsen, studierte Sina Böye in Göttingen Biologie und schloss 2003 ihr Hauptstudium in Meeres-biologie an der Universität Rostock ab. Gleich nach dem Diplom verwirklichte sie sich einen großen Traum vieler Backpacker: ein Jahr Neuseeland. In diesem Auslandsjahr lernte sie, wie gut es sich anfühlt, wenn man sich einfach treiben lassen kann. Ohne großen Plan, nur mit Rucksack und einem Reise-führer, landete Sina in Down Under. In Auckland kaufte sie einen 19 Jahre alten Ford, erkundete Nord- und Südinsel und jobbte bei der Weinlese, pflückte Äpfel oder arbeitete in der Gastronomie, um ihre Reisekasse aufzufüllen. Auch bei Globetrotter trifft sie oft Kunden, die den Wunsch äußern, nach Neuseeland zu fliegen. Ihr ultimativer Reisetipp: »Nehmt euch Zeit. Lasst euch den Raum, um spontan Pläne ändern zu können. Und packt gute Regenbekleidung ein«, lacht Sina. 

Zurück in Deutschland, zog Sina nach Hamburg, ein Jahr Neuseeland hatte sie geprägt: »Ich suchte die Nähe zum Wasser, wollte den Wind spüren.« Auch im beruflichen Alltag ergreift sie Chancen und lässt Freiräume zu.Sina arbeitete in einem Catering-Unternehmen, als Tourguide in Neuseeland, aber auch als Biologin im Labor. Kurze Auszeiten nutzte sie für Reisen und Wanderungen in Europa. 

Karibisches Praktikum

Ihre längste Reise führte Sina jedoch 2014 auf die Karibikinsel Grenada. Die kleine Vulkaninsel mit traumhaften Stränden, türkis-blauem Meer und jeder Menge unberührter Natur wirkt wie das Abziehbild eines tropischen Paradieses.

Archiv Sina Böye

Sie lernte die Gewürzinsel durch ein Praktikum bei einer Entwicklungshilfeorganisation aus einem anderen Blickwinkel kennen. Aus dem viermonatigen Praktikum entwickelte sich ein zweieinhalbjähriger Aufenthalt. »Ich hatte mich völlig in die Insel und das Leben dort verliebt. Ich hatte das Gefühl, ich laufe durch den schönsten botanischen Garten, den ich mir vorstellen konnte.« Sina schwärmt noch immer von dem Eiland: »Natürlich gibt es wunderschöne Strände und Riffe, an denen du schnorcheln kannst, das Herz der Insel sind aber die Berge, in denen du stundenlang durch den Dschungel wanderst. Ständig blühen Blumen, an Bäumen wachsen Mangos, Ananas, Bananen und an Palmen Kokosnüsse.« Ihren Lebensunterhalt verdiente Sina als Kajakguide, Touristenführerin, mit House-Sitting und als Bedienung in einer Kneipe, aber die Arbeit reichte nicht zum Leben, Grenada ist ein teures Land. 2017 entschloss sich Sina, aus dem karibischen Inselstaat ins kalte Hamburg zurückzukehren.

Ausrüstung für Karibiktrips gibt es auch in Sinas Filialabteilung, naturgemäß deutlich weniger als für eine Trekkingreise in den Himalaja. »Für Inselhopping in der Karibik reichen ein Paar Sandalen, ein Sarong, der als Strand- und Handtuch oder Kleidungsstück verwendet werden kann – gibt es von Craghoppers sogar mit Mückenschutz –, dazu leichte Wanderbekleidung, Schnorchelausrüstung und schicke Kleidung zum Ausgehen. Mehr braucht’s nicht!« Ihrer Liebe Grenada trauert Sina nicht mehr hinterher. Vielleicht ist es ja auch ein Fehler, im Paradies wohnen zu wollen. Das ist schließlich noch nie wirklich gut gegangen.