Erzählt man Bekannten, dass man an die Nordsee reisen möchte, sagen sie: »Oh, wie schön!« Ergänzt man »im Winter«, ist die Reaktion erst mal Schweigen. »Äh, ja – und was ist mit der Kälte und den Stürmen?« Du erwiderst: »Genau deshalb fahren wir hin, da passiert aber noch so viel mehr. Der Winter ist immer für eine Überraschung gut. Sonne, Stille, Sturm, es ist so abwechslungsreich.« Und dann sind da ja noch die kleinen Fischerstädtchen, Museen und warmen Teestuben.
Aber zunächst den Reißverschluss der Jacke bis oben hin zuzippen und die Kapuze über den Kopf. Dann raus ins Winterzwielicht. Im Wind stapfst du bis an die Wasserkante. Ist das Wasser da? Kommt es? Weicht es zurück? Ebbe, Flut, Ebbe, Flut. Das Herz der Nordsee schlägt irgendwo weit draußen und es schlägt in einem gleichmäßigen Takt. Die Gezeiten sind genauso faszinierend wie das Watt. Jener Landstrich im Zwischenraum, der sich nicht entscheiden kann, ob er Meer oder Land sein möchte.
Der eisige Wind zerrt an der Kapuze. Doch die Jacke wehrt selbst die Böen ab, wohlig warm fühlt es sich so schön eingepackt an. Du schlingerst durch den Matsch, wirst dennoch mutiger. Noch ein Stück raus in die menschenleere Landschaft. Sie gleicht einem Wintergemälde. Das silbrige Watt geht in der Ferne nahtlos in den blaugrauen Himmel über. Wellen. Wind. Weite. Wann hast du dich das letzte Mal so frei gefühlt?
#1 Sylt – noch eine Düne!
Dass ein Drittel von Sylt unter Naturschutz steht, schert die Nordsee herzlich wenig. Immerzu nagt sie an der Westflanke von Deutschlands beliebtester Ferieninsel. Urlauber lieben die Verformung der Dünen und Strände. Im Winter, wenn es die Zugvögel in südlichere Gefilde verschlagen hat, ist das Spiel der Naturkräfte am intensivsten.
Rein in die Stiefel, dicke Jacke überstreifen und raus in den Wind. Wer anfangs noch mit einem klaren Ziel herumstreift, verwirft nach einer Weile alle Pläne. Einfach treiben lassen, wie Strandgut in den Wellen. Man federt über Salzwiesen, schlängelt sich auf kleinen Wegen zwischen Heideflächen durch, läuft bei Ebbe ein Stück auf das Weltnaturerbe Wattenmeer hinaus.
Die Strände entlang und die Uwe-Düne rauf. Sie bringt es auf stolze 52 Meter. Der Wind drückt die Gräser platt, das offene Panorama lockt weiter. Schauen, was hinter der nächsten Düne kommt. Dort fluten erneut Glücksgefühle durch den Körper. Sie zaubern ein Lächeln auf die eiskalten Wangen. Nur noch ein paar Meter. Dann drehe ich aber um! Ganz sicher. Bestimmt. Mal sehen.
Mehr: www.sylt.de
#2 Föhr – über den Meeresboden stiefeln
Wenn das Wasser sich zurückzieht, hat das Watt seinen großen Auftritt. Endlose Weite – das Auge kann sich gar nicht sattsehen. Dick eingepackt läufst du beschwingt am Ufer entlang. Das Städtchen Wyk auf Föhr schmiegt sich im Südosten der Insel an den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Am südöstlichsten Zipfel der Insel sind die Lichtkegel von gleich drei Leuchttürmen zu sehen: Am Horizont blinkt der Leuchtturm Nordmarsch auf der Hallig Langeneß, Richtung Südwesten verrät das Licht die Amrumer Dünen und hinter dir sendet der Leuchtturm Olhörn seine Signale zum Meer.
Der Sandboden ist fest und es läuft sich angenehm. Nur ab und zu wird es glitschig. Ringsum ein Glucksen. Zieht sich das Wasser zurück? Kommt es? Die Wattführer haben die Gezeiten im Blick. Mit ihnen kannst du dich weit hinaus auf den freigelegten Meeresgrund wagen. Ach herrlich, diese Weite! Du fühlst dich winzig und frei. Ob es den Wattwürmern wohl genauso geht? War da einer? Und was schimmert da, golden und halb vom Sand verdeckt? Mit etwas Glück ist es ein funkelnder Bernstein. Oder ein anderes kurioses Stück Strandgut. Spätestens, wenn das Wasser wieder näher kommt, ist es Zeit für den Rückweg.
Jetzt ein dampfendes Insel-Getränk mit Schuss! Eine »Tote Tante« vielleicht? Oder doch lieber einen »Pharisäer«? Der ist verdient, schon alleine zum Aufwärmen!
Info: www.foehr.de
#3 Amrum – ultraentspannt im Sand
Und auf einmal bist du oben, stehst 40 Meter hoch auf der Spitze des Amrumer Leuchtturms und nimmt erst mal einen kräftigen Fisherman’s-Friend-artigen Atemzug, während sich der Horizont zu schier unglaublichen Weiten ausdehnt. Ganz Amrum liegt dir zu Füßen. Andernorts holt sich die See das Land zurück, nicht so von Amrum, der Kniepsand ist ein gar einzigartiges Geschenk dieser Urgewalt. Fast so, als wolle sie die Schöne umgarnen, liebkosen, ihr zeigen, dass sie auch schöpferische Kraft besitzt. Wie ein aus den Fugen geratener Sichelmond breitet sich die Insel aus, die dem Meer zugewandte Seite eine Dünenlandschaft, die es mit der Sahara aufnehmen könnte.
Was von oben überschaubar wirkte, ist bei näherer Begehung zwischen Dünen, die 30 Meter hoch sein können, doch recht weitläufig: Da ist Sand in unheimlich vielen Gestalten und Formen, so weit das Auge reicht, ein Hauch von Nebel umspielt die Dünengräser. Wären nicht die Bohlenwege, auf denen du über dieses empfindliche Ökosystem federnden Schrittes tagtraumwandelst, so wäre wohl alsbald die Orientierung verloren. Und während du so in winterlicher Stille kontemplativ versinkst, liegt auf einmal das silberne Meer dort vorne und dehnt und streckt sich bis zur Unendlichkeit aus.
Info: www.amrum.de
#4 Husum – zu Besuch bei Theodor Storm
An Husum kommt keiner vorbei, schon gar nicht im Winter. Wenn der kalte Nordseewind über die Gestade Schleswig-Holsteins fegt, brauchen Urlauber eine günstig gelegene Basis für Ausflüge. Diese bietet das gemütliche Nordsee-Metropölchen. Amrum, Föhr, Helgoland, Pellworm, Sylt – alle liegen in Reichweite. Jeden Tag eine andere Insel besuchen, das Festland samt südlichem Dänemark erkunden oder in der Stadt bleiben?
Rund um den Binnenhafen kuscheln sich bunte Häuschen aneinander, wie um sich gegenseitig zu wärmen. Bei Schietwetter locken das Nationalparkhaus, das Schiffahrtsmuseum und das Nordfriesland Museum. Dabei wächst deine Vorfreude auf die Natur. Sie wartet direkt vor der Hafenstadt im Nationalpark Wattenmeer. In der Husumer Bucht fühlt man sich wie der Deichgraf Hauke Haien aus Theodor Storms Novelle »Der Schimmelreiter«. Der Blick wandert von der aufgewühlten See zum Deich.
Hält das Bollwerk? Lässt das Wetter keine Wattwanderung zu, dann bestimmt eine Vogelbeobachtung. »Bird Watcher« zieht es zum Beltringharder Koog. In diesem Wasserparadies liegt feuchtes Grünland neben Gebieten mit Salzwasser und welchen mit Brack- und Süßwasser. Du richtest es dir in der Beobachtungshütte bei Kaffee oder Tee gemütlich ein und spähst hinaus. Gänse, Enten, Schnepfen, Reiher, Möwen – irgendeine Winteraufführung findet immer statt.
Info: www.husum-tourismus.de
#5 Helgoland – rotes Wunderland
Helgoland macht es Besuchern nicht gerade leicht. Die Lage? Weit draußen in der Deutschen Bucht. 54°10’57” Nord 7°53’01” Ost. Während die Fähre stundenlang über die aufgewühlte Nordsee schippert, fragst du dich, ob sich der Zeitaufwand lohnt. Einmal den Fuß an Land gesetzt, ist da nur noch Euphorie. Denn Helgoland setzt für den Touristenfang besondere Köder ein. Die Hauptinsel bringt es auf einen Quadratkilometer und sieht aus der Vogelperspektive aus wie ein Fisch. Das Oberland bildet das Filetstück. Der Hafen im Unterland gleicht der Schwanzflosse. Und auf der viel zu groß geratenen Rückenflosse haben es sich die Einheimischen gemütlich eingerichtet.
Wohin zuerst? Bei frischem Winterwetter bieten sich Besuche des Helgoland-Museums oder der Bunker an. Doch die schmackhaftesten Köder verstecken sich alle in der Natur. Im Osten die vorgelagerte Insel Düne mit ihren Sandstränden und der Kegelrobben-Kolonie. Dort geht es jetzt hoch her: Die Weibchen gebären ihre Jungen, gleichzeitig ist Paarungszeit. Vom Panoramaweg aus lässt sich manchmal sogar ein Kampf der bis zu 300 Kilogramm schweren Bullen um die Weibchen miterleben – ein oft geräusch- und kraftvolles Schauspiel.
Auf der Hauptinsel stemmen sich die Buntsandsteinfelsen krabbenrot in den Nordseewind. Während die Sonne ihre letzten Strahlen an Land schickt, reift in dir der Plan, länger zu bleiben. Ein, zwei oder drei Nächte.
Info: www.helgoland.de
#6 Büsum – Fahrt herausnehmen
Im Lauf der Jahrhunderte hat sich die Nordsee immer wieder große Stücke Land geholt. Oft ließen die Fluten nur eine Insel übrig. Mit Büsum ist es genau andersherum gelaufen. Bis 1585 war es eine vor der Küste Dithmarschens gelegene Insel und ist seitdem durch Deiche mit dem Festland verbunden.
Wie in einem Sonnensystem dreht sich in Büsum alles ums Zentrum, und das war seit jeher der Hafen. Im Winter nehmen die Einheimischen Fahrt heraus und schalten einen Gang herunter. Als Urlauber lässt man sich von der Gemütlichkeit um die Piers anstecken. Draußen drückt der morgendliche Seenebel schwer auf die Meldorfer Bucht. Wind streicht von Westen her über die vertäuten Kutter, Frachter und Fähren. Sie schwappen mit den Wellen auf und ab. Dazwischen Eisbrocken. Stundenlang kann man entlang der vier Hafenbecken spazieren – ständig locken andere Eindrücke. Wie am rot-weißen Leuchtturm, der seit über 100 Jahren den Schiffen ihren Weg ausleuchtet, im Seglerhafen oder um die größte Krabbenkutterflotte Deutschlands.
Alle paar Schritte wechseln die Gerüche. Von Diesel zu Kaffee zu Fisch zu Backwaren. Passanten wie Möwen zieht es ab 10 Uhr zum Hafenbecken 2, dort ankert der Krabbenkutter »Andrea«. Die Crew gibt die Krabben quasi auf die Hand. Einfach ein, zwei Brötchen mitbringen und ordentlich beladen lassen. Fangfrischer geht’s nicht!
Info: www.buesum.de