Arc’teryx – die High End Company

Seit fast 30 Jahren revolutioniert Arc’teryx immer wieder die Outdoorbranche.

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Seit fast 30 Jahren revolutioniert Arc’teryx immer wieder die Outdoorbranche. Wie das geht? Mit verrückten Ideen, technischem Know-how, kompromisslosem Perfektionismus und Mitarbeitern, die am liebsten draußen sind.

Will man dem Wettbewerbsvorteil von Arc’teryx auf die Spur kommen, hilft ein Blick in die Wetterstatistik: Am Firmensitz im Norden von Vancouver fallen an 207 Regentagen über 1000 Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Wer in den Coast Mountains an der Pazifikküste unterwegs ist, muss sich auf sein Equipment verlassen können. Mit solch einem »Testlabor« direkt vor der Haustüre verwundert es nicht, dass Arc’teryx seit vielen Jahren Maßstäbe bei Funktionsbekleidung und Outdoorausrüstung setzt.

Die Geschichte der Firma beginnt wie bei vielen anderen in der Branche: Weil Dave Lane mit den bestehenden Produkten nicht zufrieden ist, beschließt er, es besser zu machen. Gemeinsam mit Jeremy Guard produziert er ab 1989 unter dem Namen »Rock Solid Manufacturing« Klettergurte. 1991 ändern sie den Firmennamen in Arc’teryx, inspiriert vom Urvogel Archaeopteryx, dessen Fossilskelett einst im bayerischen Altmühltal gefunden wurde. Eben jener Archaeopteryx hatte vor 150 Millionen Jahren als erstes Tier überhaupt Federn entwickelt und so die Evolution gewaltig vorangetrieben. Dave und Jeremy entleihen dem Knochensalat ein Logo und schreiben sich den Claim »Evolution in Action« auf die Fahne: Sie wollen Ausrüstung optisch und funktional perfektionieren, ohne modischen Schnickschnack.

Einer, der dieses Motto verkörpert wie kein Zweiter, ist Mike Blenkarn. Weil sein Bike in unfahrbaren Passagen so unbequem zu schultern ist, entwickelt er kurzerhand ein Tragepolster für den Rahmen. Was simpel klingt, artete in Mikes Werkstatt ziemlich aus: Irgendwie schaffte er es, Polsterschaum, tragende Materialien und Bezugsstoff in einer dreidimensionalen Form thermisch zu verbinden. Der verrückte Tüftler hatte mal eben das »Thermo-Molding« erfunden. Von Mikes »Shoulder Yoke« sind auch Jeremy und Dave begeistert, schnell stecken die drei ihre Köpfe zusammen und überlegen, wie sie diese neue Fertigungstechnik auch für Arc’teryx nutzen können. Mithilfe eines Pizzaofens und eines Ikea-Papierkorbs entwickeln sie einen ultrabequemen, laminierten Klettergurt. Zuvor wurden Gurte ausschließlich genäht – Druck- und Scheuerstellen gehörten für Alpinisten zum Alltag. Als nach unzähligen Prototypen, Rückschlägen und technischen Neujustierungen endlich alles passt, schlägt der »Vapor Harness« in der Szene ein wie eine Bombe.

Immer einen Schritt voraus

Dass Mike Blenkarn ein Glücksfall für Arc’teryx ist, zeigt sich auch in den folgenden Jahren. Als die Kanadier 1998 ins Bekleidungssegment einsteigen, krempeln sie die Branche ein zweites Mal um – diesmal mit wasserfesten Reißverschlüssen. Zuvor hatten W. L. Gore und YKK – zwei Weltmarktführer, der eine spezialisiert auf »wasserdicht«, der andere auf Reißverschlüsse – das Projekt »watertight zip« für unlösbar erklärt. Wieder ist es Mike Blenkarn, der es besser machen will. Er holt sich Hilfe bei Technikern und Werkstoffspezialisten und werkelt so lange mit Nudelmaschine, Bügeleisen und viel Polyurethan herum, bis er schließlich den Durchbruch schafft. Auf einen Schlag kann Arc’teryx sich die aufwendigen Abdeckleisten an Taschen und Front-Zippern sparen – mal wieder ist man den Mitbewerbern voraus und hat einen neuen Standard definiert. Bis heute werden Mikes Zipper von YKK hergestellt und weltweit von allen namhaften Outdoormarken eingesetzt.

»Die Marke Arc’teryx lebt von ihrem Ruf, perfekte Qualität zu liefern – daher betreiben wir einen solchen Aufwand.« 

Jon Hoerauf, General Manager Arc’teryx

Kein Wunder, dass auch andere Branchengrößen bald den Schulterschluss mit den Kreativköpfen aus Kanada suchen: Gemeinsam mit Polartec entwickelt man Ende der 90er-Jahre das erste Softshellmaterial, genauso hat Arc’teryx die Finger bei der Entwicklung von Gore-Tex XCR und dem nachfolgenden Pro Shell im Spiel. Der Vorteil: Man kann Materialeigenschaften beeinflussen, Anforderungen mitdefinieren, hat einen Vorsprung bei der Weiterverarbeitung, webt ein immer dichteres persönliches Netzwerk in der Outdoorbranche …

Perfektion & Professionalität

Arc’teryx wächst und wächst. Längst ist aus der jungen Freak-Marke ein professionelles Unternehmen geworden. 2002 wird Arc’teryx von Salomon gekauft (gehört inzwischen zur Unternehmensgruppe Amer Sports). »Das war’s mit der Innovationsfreude.« »Ab jetzt zählt nur noch Gewinnmaximierung.« Sogar der Begriff »Heuschrecke« macht die Runde. Verständlich, wäre es doch nicht das erste Mal, dass ein Konzern eine kleine Core-Company übernimmt und vor lauter Profitgier im Nu zugrunde richtet. Doch General Manager Jon Hoerauf winkt ab: »Amer setzt auf unabhängige und eigenständige Marken. Natürlich nutzt man sinnvolle Synergien, aber wir machen seit 2002 auch weiter unser eigenes Ding.« Dass ein weltweit agierendes Unternehmen dabei auch auf die Zahlen schauen muss, versteht sich ohnehin von selbst. Ein branchenfremder Unternehmensberater würde wohl dennoch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: »Würden wir – oder Amer – nur auf Gewinnoptimierung setzen, würden wir beispielsweise unsere Qualitätskontrolle auf Stichproben beschränken und gewisse Abweichungen hinnehmen, wie es bei fast allen Produzenten üblich ist. Aber die Marke Arc’teryx lebt von ihrem Ruf, kompromisslose Qualität und perfekte Verarbeitung zu liefern – deshalb betreiben wir einen solchen Aufwand«, erklärt Hoerauf.

Ein konkretes Beispiel: Das Alpha SV Jacket (SV steht für Severe Weather) wird, wie zehn Prozent der gesamten Kollektion, komplett am firmeneigenen Produktionsstandort Arc’One im Südosten von Vancouver produziert. Allein die Nähzeit beträgt 222 Minuten, 65 Mitarbeiter legen Hand an jede einzelne Jacke, die gesamte Produktionszeit dauert über viereinhalb Stunden. Doch damit nicht genug: Nach der Fertigstellung wird jede Nahtkreuzung, jedes Tape und jeder Zipper auf einwandfreie Funktion geprüft. Zusätzlich werden zehn Prozent der für den Versand verpackten Ware stichprobenartig geöffnet und erneut getestet.

Kurze Wege, grosser Erfolg

Um den Vorteil einer eigenen Produktionsstätte zu verstehen, muss man wissen, wie es normalerweise abläuft: Produktentwickler und Designer erarbeiten eine Skizze und ein Briefing. Beim Konfektionär (meist in Fernost) entstehen mithilfe von Schnittmachern und Prototypennähern die ersten Muster, die zurück in die Mutterfirma gehen. Dieser Prozess wird wenige Male wiederholt, dann muss das Produkt aufgrund straffer Zeitpläne und Ordertermine als marktreif freigegeben werden. Diesem Zeitdruck fällt nicht selten der letzte Schliff am finalen Produkt zum Opfer.

Das Arc’One hingegen liegt nur wenige Autominuten von der Designzentrale in Vancouver entfernt. »Unser lokales und fundiertes handwerkliches Wissen ist die Grundlage für das Design und den extrem hohen Qualitätsstandard«, erzählt Dan Green. Der neue Designchef ist seit 17 Jahren bei Arc’teryx und hat einen eher ungewöhnlichen Outdoor-Background: Als Höhlenforscher erkundet er unbekanntes Terrain, dabei sind Mut, Kreativität und Abenteuerlust gefragt. »Auch bei Arc’teryx treiben uns Neugierde und Experimentierfreude an. Wir nehmen uns die Zeit, Dinge auszuprobieren, zu scheitern und zu lernen. Denn wir sind davon überzeugt, dass es immer einen noch besseren Weg gibt.« Auf die Frage, warum es ihn ursprünglich in die Höhlen gezogen hat, antwortet Dan mit einem Lachen: »Ich liebe es, das Unbekannte zu erforschen. Als Erster echtes Neuland zu betreten, macht einfach riesigen Spaß!«