Auf Fotosafari in Irland

Im Nordwesten von Irland gibt es hohe Klippen, klasse Surfwellen, famosen Fisch, echte Storyteller – und alles noch fast unentdeckt. Sechs Fotografen sind losgezogen, um das Wilde und Schöne entlang des »Wild Atlantic Ways« zu finden.

Stephan Wiesner

Hoch oben auf den Klippen stehen wir. 90 Meter unter uns schwappt der Atlantik gegen die Felsen des Erris Head. Wir schauen, wie das Meer gegen Irland prallt, hier auf der Belmullet Halbinsel im County Mayo. Der Wind verschluckt jedes Geräusch. Dann baut Stephan das Stativ auf, Andreas sucht seinen Graufilter und Eike packt die Drohne aus. »Nächster Halt ist Neufundland, 5000 Kilometer in diese Richtung«, ruft Barry Murphy, unser Wanderguide, und zeigt zum Horizont. Und hinter uns nur Moor.

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Das wilde, abgelegene Irland suchen wir, und dafür sind wir im Nordwesten der Insel genau richtig. Er ist touristisch erschlossen – sprich, wir schlafen in den schönsten Burgen und Hotels, essen großartige 3-Gänge-Menüs und tagessättigende Frühstücke – aber noch nicht touristisch überlaufen. Wir sind sechs Fotografen und wurden von Panasonic eingeladen, Irlands wilden Nordwesten mit der Lumix G9 einzufangen. Dafür folgen wir dem nördlichen Teil des Wild Atlantic Ways eine Woche lang durch die Counties Galway, Mayo, Sligo und Donegal.

»Können wir kurz anhalten?«, den Finger schon am Auslöser, die Augen an der Fensterscheibe. Diese Frage wird sich in der Woche unermüdlich wiederholen – typisch Fotosafari eben.

»Am fünften Tag werden wir meinen Onkel treffen«, erzählt Sam von Vagabond Tours, unser Busfahrer, Reiseführer und Geschichtenerzähler für diese Woche. Er lenkt den Bus vom Dubliner Flughafen auf den Highway, dem wir von der Irischen See zum Atlantik folgen, von der Ostküste zur Westküste. »Er ist Holzschnitzer und Storyteller. Er ist der Grund, wieso wir diesen Trip machen – der Grund, wieso ihr alle nach Irland gekommen seid.« Dann kichert er, ein bisschen wie ein Kobold.

Wie das so ist, wenn man durch eine neue Landschaft fährt und der Fahrer ein Geschichtenerzähler ist, vergessen wir Sams angeblichen Grund der Reise bald, vor allem, als hinter Galway die goldene Stunde und die dramatische Landschaft beginnt. Es dauert nicht lange, bis einer von uns fragt: »Können wir kurz anhalten?«, den Finger schon am Auslöser, die Augen an der Fensterscheibe. Diese Frage wird sich in der Woche unermüdlich wiederholen – sei es, wenn eine Schafherde gemütlich am Straßenrand grast, die Sonne über das Meer streift, oder sich plötzlich zwölf Bens, wie spitzförmigen Berge auf Gälisch heißen, vor uns auftauchen. Wir reißen die Bustür auf und stapfen in das unebene, braungelbe Gras, um die irische Sonne einzufangen. Sam wartet geduldig auf uns.

Nach vier Stunden Landdurchquerung taucht der Atlantik vor uns auf – der Protagonist des Wild Atlantic Ways, der uns die ganze Woche begleiten wird.

»Gleich kommt das große, blaue Wackelding«, sagt Sam, als wir wieder einsteigen, und lenkt den Bus von Clifden die Straße hinauf zum Sky Road Loop. Nach vier Stunden Landdurchquerung taucht der Atlantik vor uns auf – der Protagonist des Wild Atlantic Ways, der uns die ganze Woche begleiten wird. Die 2500 Kilometer lange Küstenstraße gilt als eine der längsten, zusammenhängendsten der Welt und wurde 2014 eröffnet. Sie ist eine Chance für die Menschen aus der Gegend. Auch Sam ließ sie nicht unversucht, und kehrte nach Jahren des Reisens in seine Heimatstadt Sligo zurück. »Davor gab es wenige Möglichkeiten, wir haben uns nur betrunken«, erzählt er lachend. »Jetzt hat sich eine Art Wild Atlantic Lifestyle entwickelt. Es geht ums Surfen, Draußensein, Essen und regionale Produkte.« Es ist eine Chance für Hotels, Restaurants, Reiseführer – und für Tourenanbieter, die uns ihr Land zeigen.

So führt uns beispielsweise Shane durch Irlands einzigen, 15 Kilometer langen Fjord, den Killary Fjord. Mir nehmen Platz in seinem Speedboot, halten uns gut fest, und schon jagt er mit uns über das Wasser. Zu beiden Seiten ragen braungrasige Berge empor, an denen schmale Wasserfälle wie Silberketten herunterfallen. Im Wasser liegen Fischerboote neben einer Reihe von Seilen, an denen sich Muscheln festbeißen. Das Wasser ist so kalt wie die Luft, 13 Grad. »Wir schwimmen hier zu Neujahr und zu Weihnachten«, grinst Shane und lenkt das Boot steil nach links. »Damit wir im folgenden Jahr nicht krank werden.« Mit einer Hand halten wir uns weiter fest, mit der anderen drücken wir den Auslöser der Lumix. Wir würden ja auch –aber die Kamera ist wasserabweisend, nicht wasserdicht. Glück gehabt.

Mit dem E-Bike durch den Sumpf

Bei Paul von Electric Escapes müssen wir am nächsten Tag selbst in die Pedale treten, unterstützt von E-Bike-Batterien. Seit 2012 organisiert der gebürtige Londoner Fahrradtouren entlang des Great Western Greenways, einen 42 Kilometer langen Radweg bei Newport. Auf Asphaltwegen sausen wir durch die goldgelbe Sumpflandschaft und testen die Serienbildaufnahme. Wir sind fast allein, nur Schafe glotzen uns vom Wegesrand an. Am westlichen Zipfel des Sees wartet unser Mittagessen, im Hintergrund der Lough Feeagh und ganz hinten die Nephin Berge. Es ist ein Bilderbuchfoto, so dass die Reihenfolge unausgesprochen klar ist: Erst fotografieren, dann essen. Sam spielt »The Sally Gardens« auf der Querflöte und lehnt dabei an einem großen Stein, auf dem Scones, Lachs, Käse, Nudelsalat und eine Schüssel Muscheln stehen. »Alle Produkte kommen aus der Region«, erklärt Paul stolz.

Die Klippen werden höher und die Gegenden verlassener, je weiter wir gen Norden fahren. Erris Head erreichen wir am vierten Tag, und wir fühlen uns schon ganz schön weit weg. Sam erzählt uns vom Moor und vom Moos. »Wenn Moore funktionieren, können sie doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder weltweit speichern!« Und so wird mittlerweile immer weniger Torf zum Heizen verwendet, denn sowohl Torf als auch stillgelegte Torfmoore stoßen Kohlenstoffdioxid aus. Sind die Moore jedoch intakt, tragen sie positiv zum Klimaschutz bei.

Wir kommen Sams Heimatstadt näher: Sligo, die Stadt der Muscheln. Mittlerweile besser bekannt als Surfstadt. Am Easky Beach werfen sich Surfer scheinbar kälteunempfindlich mit Neoprenanzügen in die Wellen. Den besten Blick haben wir oben von der Ruine. Eine geheime Treppe führt hinauf. Sam grämt sich, dass er sein Equipment nicht dabei hat. »Seit der riesigen Welle 2007 ist Surfen noch beliebter geworden in Sligo«, erzählt Sam. Im Rahmen der Dokumentation »Waveriders« wagten sich damals vier Weltklasse-Surfer in die 15 Meter hohen Wellen in Mullaghmore, die größten Wellen, die je in Irland, womöglich sogar in ganz Europa gesurft wurden.

Wir erinnern uns an Sams versprochenes Highlight, als wir am nächsten Morgen vor dem Hotel auf seinen Onkel Michael Quirke warten. In der kleinen, ehemaligen Metzgerei beginnt Sams Onkel sofort, in galanter Storyteller-Manier eine Figur hochzuheben und deren Geschichte zu erzählen. Er lässt sich nicht stören von unseren Kameras, die ihn wie einen Filmstar fotografieren. Er ist stolz auf seine Arbeit, sein Alter von 79 Jahren, sein Atelier voller Poster von irischen Schriftstellern, Atlantikentdeckern und Artikeln über ihn. »Früher ging ich immer nach der Schule zu ihm und ließ mir Geschichten erzählen«, erinnert sich Sam. Er möchte die Familientradition des Geschichtenerzählens und der Holzschnitzerei fortführen, zeigt uns seine eigenen Holzzeichnungen, Geschichten in einer Box. »Glaubt ihm nicht alle Geschichten«, sagt der Onkel noch lachend, als wir uns verabschieden. Erst als wir gehen, wird klar, dass Sam uns schon am ersten Tag verriet, was den Iren besonders wichtig ist: Familie, Tradition und Natur. Sein Onkel, das Schnitzen und das Naturelement Holz. Und natürlich das Geschichtenerzählen.

Wie Cliffs of Moher, nur besser

Wir wagen uns höher in den Norden, den Atlantik immer zu unserer linken Seite, wo sich Surfer weiterhin in die hohen Wellen stürzen, wo Fischerboote herausfahren und uns unser Mittagessen in Mullaghmore servieren, einen großen Probierteller mit Muscheln, Garnelen, Hummer und Lachs, wo das Classiebawn Castle zwischen Wolken und Atlantikgischt heraus lugt und wir Regentropfen von den Objektiven wischen. Wir fahren über buckelige Straßen in Täler hinein und durch Moorgebiete, folgen dem wellenförmigen doppelten W, dem Zeichen für den Wild Atlantic Way, und den zweisprachigen Straßenschildern, die obere Zeile gälisch, die untere englisch. In jedem Städtchen stehen Rad- und Wanderkarten auf dem Dorfplatz, hier gibt es viel zu entdecken, und doch scheinen wir nur einige der wenigen Touristen zu sein.

Auf letzteres scheint Paddy Clarke, Wanderguide und Inhaber des Ti Linn Cafés, ein bisschen stolz zu sein. Er führt uns zu den Slieve League-Klippen in der Grafschaft Donegal. Von Übertourismus keine Spur. »Zu den Cliffs of Moher gehen jährlich achtmal so viele Touristen. Dabei sind unsere dreimal so hoch!« Mit 600 Metern gehören sie zu Europas höchsten Meeresklippen. Alleine laufen wir die steinernen Treppenstufen vom Parkplatz hinauf. Freier Blick auf den dreieckig herabfallenden Klippenkamm, der sich in leichter Krümmung gen Horizont streckt. Todesmutige Schafe klettern an den herabfallenden Klippen entlang. Paddy zog vor 39 Jahren von Dublin in den Westen. »Ich bin Fischer. Von hier fuhr ich mit dem Boot nach Schottland und Norwegen«, erzählt er. »Mein Sohn ist auch Fischer, er fährt bis nach Grönland.« Wir laufen in eine Regenwolke, Wassertropfen perlen auf den Jacken ab, doch das stört keinen Iren. Das wechselnde Wetter macht nur flexibel, heißt es. Man passt sich an, was anderes bleibt einem nicht übrig.

Oder man übt sich in Geduld, wenn man Fotograf ist. Es schüttet aus Kübeln, als wir am letzten Tag beim Glenveagh National Park ankommen. Doch wenn wir eines in Irland gelernt haben, dann, dass sich das Wetter ändert. Immer. Als wir nach einer kleinen Schlossführung nach draußen treten, sind nur noch Wattewolken übrig. Es ist trocken. Wir laufen hoch zum Lookout. Vor uns erstreckt sich Loch Beagh, umgeben von den malerischen Derryveagh Bergen. Direkt am Ufer steht das Glenveagh Castle. Es wurde 1870 gebaut und wirkt wie ein Traum, mondän in der einsamen Wildnis zu wohnen. Wir warten auf die Sonne, die bald hinter den Wolken hervor spicken könnte. Stehen in Position. Blende, Verschlusszeit, Iso eingestellt. »Jetzt!«, ruft plötzlich einer aus, und wir bannen die Sekunde auf unsere Speicherkarte, als die Sonne die Landschaft zum Leuchten, den See zum Funkeln und das Schloss zum Strahlen bringt, als sie Irland im besten Licht zeichnet – so schön und wild zugleich.

Text: Cindy Ruch
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