Färöer: Immer den Schafen nach

Philip Ruopp
Einmal von West nach Ost über die Färöer-Inseln – das war der Plan von Tobi Woggon und seinem Kumpel Max Schumann. Blöd nur, dass es kein Wegenetz zum Planen gibt. Zum Glück aber Google Sheep-View 

Zum ersten Mal tauchten die Färöer-Inseln auf meinem Radar zur Sonnenfinsternis im Jahr 2015 auf. Nur Spitzbergen und eben diese kleine Inselgruppe im Nord­atlantik lagen in der totalen Zone. Damals war mein Freund Philip dort, um das Naturschauspiel zu fotografieren – und völlig begeistert von den Inseln.

Auch mich hat die atemberaubende, raue Landschaft der grünen Inseln im dunklen Meer sofort in ihren Bann gezogen. Doch schon bei der Planung stellten sich uns erste Hürden in den Weg: Weniger als 50 000 Menschen leben auf den Inseln, fast alle arbeiten hart für ihren Lohn auf hoher See oder als Bauern; Infrastruktur für Touristen, geschweige denn für Radfahrer, sucht man vergebens.

Philip Ruopp

»Sofort hat mich die atembraubende, raue Landschaft der grünen Inseln im dunklen Meer in ihren Bann gezogen.«

Normalerweise vertraue ich bei Mountainbiketrips auf Google Earth, um Trails und Wege auszumachen, doch dann stolpere ich bei der Recherche über »Sheep View«. Nein, das ist kein Tippfehler: 2017 schnallte Durita Dahl Andreassen, eine Bewohnerin der Färöer-Inseln, eine 360-Grad-Kamera auf den Rücken eines ihrer Schafe, welche durch das Land ziehen, und stellte die Aufnahmen anschließend ins Netz. Wo Schafe laufen, kommen wir auch mit unseren Gravel-Bikes durch, denken wir und buchen die Flüge.

1000 Tonnen Wasser über dem Kopf

Zur Begrüßung tobt ein heftiger Sturm über die Inseln, während wir im Bus Richtung Klaksvík sitzen, dem Startpunkt unserer Route. Den Abend verbringen wir damit, unsere Taschen am Rad so zu befestigen, dass sie so wasserdicht wie möglich sind. Am nächsten Morgen schnappen wir uns unsere Bikes und wagen uns raus in den Wind. Die Route führt uns in einer großen Schleife Richtung Norden bis zum westlichsten Ort der Inseln, nach Viðareiði. Immer wieder peitscht uns der Wind ins Gesicht und lässt Regentropfen wie kleine Wasserbomben schmerzhaft auf der Haut zerplatzen. Als wir aus einem Tunnel kurz vor dem Dörfchen Havannsund kommen, können wir uns kaum noch auf dem Rad halten, so stark weht uns der Wind entgegen. Selbst das Atmen fällt uns schwer.

Das nächste Tagesziel ist Eysturoy, die größte Insel der Färöer. Um die Eilande zu verbinden, haben die Färöer riesige Tunnelröhren in den Atlantik gegraben, durch die wir nun mit unseren Bikes rollen. Acht Kilometer Dunkelheit, hier und da kommt ein Auto vorbei, erhellt die schwarzen Wände für ein paar Augenblicke, bevor uns die Dunkelheit wieder umhüllt. Immer wieder tropft es von der Decke und die Tausenden Tonnen Wasser über unseren Köpfen lassen uns fester in die Pedale treten.
Und dann: Licht am Ende des Tunnels!

Eysturoy empfängt uns mit blauem Himmel und wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut. Das Gefühl plötzlich wiederkehrender Lebensgeister nimmt der langen Schiebepassage an der Steilküste von Elduvík den Schrecken. Als wir unseren Schlafplatz erreichen, können wir unseren Reiseproviant im Trockenen zubereiten, bevor wir uns vollkommen entkräftet in unsere Schlafsäcke verziehen.

Einmal auftanken, bitte

Flatsch. Max dreht sich in seinem Schlafsack murrend auf die andere Seite. Flatsch. Jetzt hat es mich getroffen. Und während ich mich noch halb im Tiefschlaf frage, was da gerade mein Gesicht abgeschlabbert hat, trifft mich die völlig durchnässte Zeltplane noch einmal. Sturmböen peitschen über uns hinweg und der Regen prasselt nicht mehr auf, sondern einfach durch das Zelt hindurch.

Wie der nächste Tag lief? Genau so, wie man sich einen Tag im Gegenwind nach einer schlaflosen Nacht vorstellt. Die Rettung? Tankstellen am Straßenrand, in die wir total entkräftet einfallen, um die leeren Tanks aufzufüllen: Selten hat ein einfacher Hotdog besser geschmeckt.

Philip Ruopp

Am letzten Tag krabbeln wir unter der warmen Sonne aus unserem Zelt, der Wind hat sich gelegt und die Wolken haben sich verzogen. So also schauen die wenigen Sommertage auf den Färöern aus. Wir rollen mit unseren Bikes durch grüne Täler, von deren steilen Hängen kleine Rinnsale bis ins Meer fließen, wir sehen die berühmten Papageientaucher, die wie kleine Raketen durch die Luft schießen, ins Wasser eintauchen und genauso schnell wieder mit einem Schnabel voller Fisch davonflattern.

Nach dem letzten Tunnel unserer Reise rollen wir mit den Bikes hinab Richtung Gásadalur, wo sich der wohl bekannteste Wasserfall der Inseln befindet. Da wir nicht wissen, wo wir unsere letzte Nacht verbringen sollen, fragen wir einen Dorfbewohner, wo es denn erlaubt wäre, zu zelten. Kurzerhand lädt er uns ein, bei ihm im Garten zu campieren. Wie selbstverständlich fragt er uns, ob wir am Morgen einen Kaffee wollen. Das sind die Färöer: Wind, Wetter und auch grenzenlose Gastfreundschaft.

TOBIAS WOGGON

Alter: 32 // Heimat: Lichtenfels // Ausbildung: Landschaftsgärtner // Beruf: Bike-Profi, Vortragsreisender // Instagram: @tobiaswoggon // Web: www.thespiritoftraveling.de

Als professioneller Mountainbiker ist Tobias jahrelang um die Welt gereist, um Rennen zu fahren. Dabei hat er herausgefunden, dass es viel spannender ist, Land und Leute kennenzulernen, als möglichst schnell Berge herunterzufahren. Seitdem ist er mit seinem Mountainbike auf der Suche nach versteckten Trail-Highlights. Wenn er nicht auf dem Rad sitzt, restauriert er sein unendliches Projekt Bauernhof oder steht in der Küche und kocht Rezepte nach, die er von seinen Reisen mitgebracht hat.


Einer von 50: In der Sonderausgabe »50 Menschen, 50 Abenteuer« zeigen wir Menschen und ihre ganz persönlichen Geschichten – von skurillen Episoden über kleine und große Expeditionen bis hin zu ganzen Lebensgeschichten.

Text: Tobias Woggon
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