Gipfelstürmer: Die Geschichte von La Sportiva

Vom kleinen Schuhladen im Trentino zum Weltmarktführer für hochwertige Kletterschuhe und Bergstiefel. Dank Innovation und Leidenschaft führt der Weg von La Sportiva steil bergauf.

© Claudia Ziegler

Am 3. September 2017 schockte ein junger Sportler aus dem tschechischen Brünn die weltweite Kletterszene. Adam Ondra, 24 Jahre alt, schrieb mit der Erstbegehung der Route »Silence« in der Hansehellaren-Höhle in Norwegen Klettergeschichte. Mit diesem Kunststück war La-Sportiva-Athlet Adam Ondra der erste Mensch, dem eine Route im Schwierigkeitsgrad 9c gelang. Zwei Jahre lang trainierte Ondra nur für dieses eine Projekt. Am Ende meisterte er die 45 Meter lange, extrem überhängende Route in knapp 20 Minuten.

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Für die Erstbegehung überließ der Kletterprofi nichts dem Zufall. Bei der Wahl des Schuhwerks vertraute Ondra auf Schuhe von La Sportiva, einem der renommiertesten und beliebtesten Hersteller von Kletterschuhen. Die Auswahl des richtigen Schuhwerks war das Resultat einer akribischen Analyse der Route. Bei der Begehung von »Silence« verwendete Ondra zwei verschiedene Modelle. Am linken Fuß trug er einen La Sportiva Miura, einen steifen, präzisen Kletterschuh für harte, technische Routen mit Mikrotritten. Für den rechten Fuß wählte Ondra den Solution. Ein Schuh wie eine zweite Haut, für extreme Präzision beim Setzen von Hooks und kleinsten Tritten. Die Auswahl war erfolgreich: Ondra kletterte, als gäbe es keine Schwerkraft und »Silence« ist bis heute die schwerste Kletterroute der Welt!

Von der Rennstrecke an den Fels

Der italienische Hersteller La Sportiva war vor etwa 40 Jahren entscheidend an der Transformation von steifen Bergstiefeln zu modernen Kletterschuhen mit flexiblen Gummisohlen beteiligt. Der Einstieg von La Sportiva – Ende der 70er Jahre bereits ein Big Player im Bergsportschuhmarkt – hatte für die Sportkletterwelt nachhaltige Folgen. Alles begann auf der Teststrecke von Alfa Romeo in Balocco im Piemont mit einer zündenden Idee. Lorenzo Delladio, Firmenchef und Enkel des Gründers Narciso Delladio, schwärmte für Motorsport und Rallyes. Als er hörte, dass Alfa Romeo alte Rennreifen an der Teststrecke lagerte, setzte er sich in seinen blauen Fiat 242 und fuhr los.

Delladio hatte eine Vision: Er wollte die glatten, abgefahrenen Slicks als Sohlen für Kletterschuhe verwenden. Delladio belud seinen Kleintransporter, fuhr nach Hause und nach langem Schneiden, Kleben, Nähen und Ausprobieren entstanden völlig neuartige Kletterschuhe mit profilloser Sohle und außergewöhnlichem Grip. Heinz Mariacher, Sportkletteridol der Achtzigerjahre und legendärer Kletterschuhdesigner bei La Sportiva, übernahm die Ideen seines Chef und führte sie zur Perfektion. Sein Schuh »Mariacher« – heute würde man ihn wohl als Signature-Modell bezeichnen – war eine Weltneuheit, auf die eine ganze Sportart gewartet hatte. Die ikonischen, violetten Schuhe mit dem Gefühl einer zweiten Haut hatten eine extrem flexible Gummisohle, die auch kleinste Reibungstritte möglich machten. Seitdem ist La Sportiva untrennbar mit der Kletter- und Bouldergeschichte verbunden.

Von den Dolomiten in die weite Welt

Die Zentrale von La Sportiva, seit drei Generationen erfolgreich von der Familie Delladio geführt, befindet sich seit jeher am Fuße der imposanten Dolomiten. Hier begann der Schuhmacher Narciso Delladio 1928 mit der Herstellung von Holzschuhen und Lederstiefeln. Narciso zeigte früh handwerkliches Geschick, ein gutes Gespür für Innovationen, neue Technologien und zukunftsfähige Marken. Seine Kunden waren Bauern, Holzfäller und Landarbeiter aus dem Tal. Dazu noch gelegentliche Touristen auf der Durchreise, welche die Dolomiten und die kräftigen ledernen Arbeitsschuhe schätzten, die Narcisco herstellte und die auch für Ausflüge und alpine Besteigungen geeignet waren.

Alpinismus war in Mode. Narciso erkannte die Möglichkeit, sich von der Konkurrenz abzuheben, indem er leichte Bergschuhe statt Arbeitsschuhe herstellte. Die verkaufte er an Urlauber und Alpinisten aus der Ferne, die in der Regel bereit waren, mehr zu bezahlen als die Einheimischen. Es war der Beginn einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte. Heute ist aus dem kleinen Schuhladen der Weltmarktführer für Kletter- und Höhenbergschuhe geworden.

Von Südtirol in die Welt

Vom Südtiroler Fleimstal auf die Gipfel und in die Kletterwände der Welt, das war der Weg in der 90-jährigen Geschichte der Traditionsschusterei. La Sportiva entwickelte sich vom handwerklich geprägten Bergschuhhersteller zu einem international agierenden Unternehmen. Die Produktpalette umfasst mittlerweile praktisch alles, was Outdoor-Fans für ihre Leidenschaft benötigen. Von Trekking- und Berglaufschuhen über innovative Skitourenstiefel bis hin zu Funktionstextilien für jede Art von Outdoor-Aktivität.

Schuhe bleiben aber nach wie vor das Aushängeschild des Unternehmens. La Sportiva produziert mehr als 220.000 Schuhe im Jahr. Gut die Hälfte der technisch anspruchsvollen Produkte werden in Italien am 15.000 m² großen Firmensitz in Ziano di Fiemme gefertigt, viele davon noch komplett von Hand. Leidenschaft und Innovation zählen zu den ständigen Triebfedern bei La Sportiva. Vier bis fünf Prozent des Umsatzes werden traditionell in die Forschung und Entwicklung gesteckt. Das Ergebnis sind außergewöhnliche Produkte wie zum Beispiel der Race-Performance-Skitourenstiefel Stratos V. Mit weniger als 480 Gramm Gewicht ist er vermutlich der leichteste Skischuh auf dem Markt.

Ein Mythos feiert Geburtstag

Historischer Kletterschuh Mythos von La Sportiva

Die Eigentümerfamilie Delladio ist tief verwurzelt mit dem Unternehmen, aber auch mit ihrer Südtiroler Heimat und der Berglandschaft der Dolomiten. Respekt vor der Natur, aber auch soziale und ökologische Verantwortung sind Grundlagen ihrer unternehmerischen Entscheidungen geworden. Ein Paradebeispiel für diese verantwortungsbewusste Philosophie der Südtiroler ist das aktuelle Kletterschuh-Modell Mythos Eco. Damit ist La Sportiva, ähnlich wie Adam Ondra mit der Erstbegehung von Silcene, das (nahezu) Unmögliche gelungen. Die Verbesserung eines Mythos!

Seit seiner Markteinführung 1991 hat der Mythos den Sport maßgebend geprägt. Zum Beispiel war der Schuh essentieller Begleiter bei vielen Erstbegehungen von Alexander Huber und Stefan Glowacz und dürfte einer der meistverkauften Kletterschuhe aller Zeiten sein. Der Mythos Eco besteht zu 95 Prozent aus recycelten Materialien. Hierzu zählt neben den aus alten Fischernetzen hergestellten Schnürsenkeln auch eine Sohle aus wiederverwertetem Gummi. Blickt man in wenigen Jahrzehnten auf die Kletterschuhgeschichte zurück, dürfte es vielleicht kein Wunder sein, dass La Sportiva mit dem Mythos Eco erneut ein zukunftsweisender Wurf gelungen ist.

Text: Manuel Arnu
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