Muliwa­i-Trail: ein Ort zum Altwerden

Marcus Wendt
Der 30. Geburtstag ist ein spezielles Datum – die Jugend offiziell vorbei, aber muss man deshalb langweilig Urlau­b machen? Den besten Ort für die Geburtstagssause fanden Marcus und seine Freundin Corinna auf Hawaii.

Jetzt schon 30? Das Alter für große Entschei­dungen und wichtige Fragen der Familienplanung und Zukunfts­gestaltung. Da ich noch keine Antworten habe, kommt mir der Fluchtgedanke. Aber wohin im Nordwinter?

Unsere Blicke fallen auf Hawaii. Auf Big Islan­­d waren wir noch nicht. Nur was dort machen, wenn der große Tag da ist? Auf den Mauna Kea fahren? Zu einfach, zu kitschig. Mit Walen schwimmen? Zu unnatürlich. Corinn­­a stolpert in einem Blog über den Muliwa­i-Trail. Die Beschreibung: »Nur für erfahrene Trekker […], steile Traversen, rutschige­­r und tückischer Untergrund […], brutale An- und Abstiege, aber sehr schön.« Oh ja, das klingt sehr gut!

Ausgangspunkt ist das Waipi’o Valley im Norden der Insel. Vom gleichnamigen Aussichtspunkt führt Amerikas steilste Straße ins Tal. Im Rucksack nur das Nötigste für drei bis vier Tage mit Zelt. Für die ersten kniebeißenden Meter halten wir auf gut Glück den Daumen raus. Ein Pickup hält an. Am Steuer niemand Geringeres als Mike  Stewar­­t. Eine lebende Legende, quasi der Kelly Slater der Bodyboarder und Surfpionier. Only on Hawaii …

Ins Tal der Könige

Nach einem kräftigen Handschlag beginnt unser Weg gleich mit einer Flussquerung. Zwar wärmer als in Patagonien oder Nepal, aber auch nicht ohne. Die starke Strömung spült einem praktisch den Sand unter den Füßen weg. Danach am menschenleeren Strand ist die Versuchung groß, einfach hier das Zelt aufzustellen, denn Herz, was willst du mehr? Umrandet von steilen, grünen Klippen liegt das Tal der Könige mit einem leeren, schwarzen Sandstrand, surfbaren Welle­n, Palmen und einem Frischwasserfluss. Wir lassen uns Zeit, tauschen Crocs gegen Wanderschuhe und suchen den Pfad.

Marcus Wendt

Der Einstieg liegt am Ende des Strandes im Dickicht, markiert mit handgemalten Warnungen vor lebensbedrohlichen Abgründen und Springfluten. Steile Spitzkehren führen durch brusthohes Gras über Steinstufen. Hier und da spendet ein Bäumchen genug Schatten für uns zwei. Die Tropensonne rächt sich unbarmherzig an uns Genuss­wanderern, der Flüssigkeitsverlust ist entsprechend hoch und die Rucksackträger fressen sich in die nackten Schultern. Es sind nur 360 Höhenmeter zu überwinden, doch Hitz­e, Gepäck und Unwegsamkeit fordern mehr Tribut als die ein oder andere Tages­tour in den Alpen.

Oben wird die Vegetation dichter, der Weg breiter und zunächst flacher. Wir befinden uns auf einem Plateau, das von elf Bach­läufen durchbrochen wird. Sechs Stunden laufen wir auf und ab, durchqueren ein Flüss­chen nach dem anderen. Vorbei geht es an Wasserfällen, beeindruckenden Papertrees, Guavenbäumen und zunehmend in der Hoffnung, die nächste Spitzkehre könnte den Abstieg in das Waimanu Valley einleiten.

Fruchtbares Tal

Es ist surreal, wie der Wald vom Ozean unter uns immer wieder mit türkisem Licht geflutet wird. Das Leuchten wird stärker und vor uns sehen wir nun zum ersten Mal unser Ziel: ein in fruchtbares Grün eingefasstes, schmales Tal. Wasserfälle säumen den Ort, an dem ich beschlossen habe, offiziell alt zu werden. Der steile Abstieg ist gespickt mit feuchten Palmblättern auf lehmigem Grund. Von hinten schiebt der Rucksack und wir sind froh, beide einen großen Stock vom Wegrand mitgenommen zu haben.

Nach einer Stunde des Rutschens, Fluchens und Fallens erreichen wir ebenen Boden und vor uns tut sich der freie Blick auf den Ozean auf. Nur noch einen Fluss gilt es zu queren, der sich aber definitiv als schwierigster herausstellt. Nicht Sand, sondern medizinballgroße Steine lauern unter der Ober­fläche. An der Mündung konkurrieren die Wellen des Meeres mit der Strömung. Das Kamera­equipment wohlwissend im Drybag, möchte ich trotzdem nicht auf den letzten Metern stolpern. Aber dank unseres Fundstockes erreichen wir trocken das andere Ufer.

Vor Ort finden wir neun durchnummerierte Zeltplätze. Wir wählen die Acht – es ist aber niemand sonst da. In den folgenden Tagen erkunden wir die Umgebung mit mehr­stündigen Teils-auf-allen-Vieren-Spaziergängen unter Bäumen, durch Spinnweben und vorbei an Ruinen ehemaliger Talbewohner zum größten Wasserfall des Tals, der zu eine­m kühlen Süßwasserbad einlädt.

Abends sitzen wir bei Lagerfeuer und selbst gefangenen Flusskrebsen am Strand, schauen Walen bei ihrer abendlichen Show zu und warten, dass die Sterne ihre funkelnde Decke über uns ziehen. Handy: aus. Social Media: ganz weit weg. 30 werden: gar nicht so übel.

Marcus Wendt

MARCUS WENDT & CORINNA SCHLICHT

Alter: 31/30 // Heimat: Berlin // Ausbildung:Verkehrsfliegerschule/Business School // Beruf: Langstreckenpilot/InFarmSales Team Instagram: @out_and_above und @riacori

Das Pärchen-Abenteuer begann auf einem Festival in Miami, überlebte eineinhalb Jahre Fern­beziehung zwischen Deutschland und New York, und aktuell wird mit Basislager in Berlin die Welt erkundet. Ob beim Surfen in Kanada oder auf Dschungeltour in Myanmar — meist findet man die beiden in den entlegeneren Ecken der Erde. Und wenn sie nicht unterwegs sind, erfreuen sie sich an Fotografie, Sport und Zeit mit Freunden.


Eine von 50: In der Sonderausgabe »50 Menschen, 50 Abenteuer« zeigen wir Menschen und ihre ganz persönlichen Geschichten – von skurillen Episoden über kleine und große Expeditionen bis hin zu ganzen Lebensgeschichten.

Text: Marcus Wendt
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