Hersteller: Lowe Alpine

1967 gründet ein Brüder-Trio in Utah die Marke Lowe Alpine. Schon als Kinder stellen sie Rekorde am Berg auf. Kaum erwachsen, revolutionieren sie die Welt der Alpinausrüstung.

Ben Tibetts

Manche Eltern umkreisen ihre Kinder fürsorglich wie Helikopter, andere nehmen sie gleich ans Seil. So wie Ralph Lowe. Doch dem Vater aus Utah ging es nicht darum, den Nachwuchs in seinem Bewegungsdrang einzuschränken, sondern – ganz im Gegenteil – seinen Freiheitssinn maximal zu fördern. Seine Söhne Jeff und Greg sind sieben und neun Jahre alt, als Ralph 1958 mit ihnen über die Exum Ridge den 4199 Meter hohen Grand Teton erklimmt. An diesem Tag wird Jeff der jüngste Mensch, der jemals den höchsten Berg der Teton Range über den Südgrat besteigt. 

Ralph selbst hatte eine ähnliche Berger-ziehung erfahren. Als 16-Jähriger kletterte er mit seinem Onkel erstmals die Owen-Spalding-Route am Teton. Der Berg sollte ihn sein Leben lang nicht mehr loslassen – und seine Söhne Mike, Greg und Jeff ebenso wenig. Als sie 1967 mit der Entwicklung eigener Bergsteigerausrüstung beginnen, wählen sie als Logo ihrer Marke Lowe Alpine die Silhouette des Grand-Teton-Massivs.

Zu Hause in Ogden im Staate Utah, mit dem Great Salt Lake vor der Nase und den Wasatch Mountains im Rücken, ziehen Ralph und sein-e Frau Elgene vier Jungs und vier Mädchen groß, allesamt Outdoor-Kinder durch und durch. Jeff zeigt schon früh ein außergewöhnliches Klettertalent. Als 14-Jähriger will er alleine eine neue Route an seinem Hausberg, dem Mount Ogden, eröffnen. Für die Über-Nacht-Solo-Aktion näht seine Mutter ihm einen sogenannten Haul Bag, den man beim Klettern in der Wand hinter sich herzieht, und packt Proviant hinein. Elgene steht ihrem Ehemann in Sachen »natürlicher« Erziehungs-methoden in nichts nach.

Greg forscht

Die Gebrüder Lowe wachsen nicht nur nonkon-form und freiheitsliebend auf, sie werden auch in Zeiten des Auf- und Umbruchs erwachsen. In den 1960er-Jahren ziehen Hippies mit Blumen im Haar nach Kalifornien, die Lowes mit Seil in die Berge. Speziell Jeff verschreibt sich bald komplett der Kletterei. Über 1000 Routen wird er in seiner Alpinkarriere erstbegehen. Einige davon mit Greg, der ebenfalls exzellent klettert. Aber der ein Jahr ältere Bruder zeigt noch auf einem anderen Gebiet ein besonderes Talent. Greg ist der Tüftler im Hause Lowe. Er liebt seinen Chemiekasten und bastelt so eifrig, dass er mit 13 bei einem Utah-weiten Forschungswettbewerb den zweiten Platz gewinnt. Keine Auszeichnung erhält er dagegen für den Umbau einer Spielzeugpistole in eine funktionstüchtige Waffe – samt eigens hergestelltem Schießpulver. 

Es liegt also in Gregs Erfindernatur, dass er – unzufrieden mit dem erhältlichen Material – im Keller des Elternhauses an eigenem Bergsport-Equipment bastelt. Schließlich gründen Jeff und Greg mit finanzieller Unterstützung des älteren Bruders Mike ihre eigene Marke für Outdooraus-rüstung, Lowe Alpine Systems, – und revolutionieren prompt mit ihrem ersten Produkt, dem Expedition Pack, den Rucksack-Markt. 

Als frühe Verfechter des Alpinstils – des Bergsteigens ohne fremde Hilfe auf unpräparierten Routen – haben die Lowes stets viel Ausrüstung zu schleppen. Der »Expedition Pack« ist ihre Lösung, die Last mehr von der Schulter auf die Hüfte zu verlagern und sie dadurch komfortabler zu tragen. Am Ende präsentieren sie den weltweit ersten Rucksack mit integriertem Rückensystem, Kompressions und Lastverstellriemen sowie integriertem Brustgurt. 

Tests im zugefrorenen Pool

Greg und Jeff gehen die innovativen Ideen nicht aus – einfach, weil es ihnen überall an passender Ausrüstung mangelt. Liisa, die jüngste der vier Lowe-Schwestern, erinnert sich Jahrzehnte später, wie eines Tages im Jahr 1969 plötzlich ein Zelt an der elterlichen Hauswand baumelt: Gregs erster L.U.R.P.- Prototyp – Limited Use of Reasonable Placements nennt er sein Zelt für die Wand. Heute kennt man es als Portaledge. Es folgen das erste gebogene Eisgerät mit austauschbarer Haue, für Steileis konzipierte Steigeisen und die Rats-Eisschrauben. 

Getestet wird das Eisequipment erst im zugefrorenen Pool der Eltern und dann von Jeff 1974 an den Bridalveil Falls, einem 125 Meter hohen, überhängenden Eisfall in Colorado. Der bringt ihn 1978 auch auf das Cover der Sports Illustrated, als er ihn erneut klettert – allerdings ab der Hälfte free solo. Es ist nur eine von Jeffs zig legendären Errungenschaften am Berg: von der Erstbegehung der Moonlight-Buttress-Route im Zion National Park 1971 zur Solo-Durchsteigung der Ama-Dablam-Südwand 1979. Im Jahr zuvor scheitert er mit drei Bergsteigerfreunden am Nordgrat des 7145 Meter hohen Latok I kurz unterhalb des Gipfels – eine Besteigung, die (obwohl unvollendet) noch heute als einerder bedeutendsten Leistungen der Alpingeschichte gilt. 

Jeff Klettert, Greg designt

Auch Greg klettert weiterhin auf Toplevel, doch er leistet seine Pionierarbeit primär in der Produktentwicklung. In den 1980ern führt Lowe Alpine unter anderem die ersten Plastik-schnallen an Rucksäcken ein, genauso wie ein wegweisendes Sicherungsgerät und die erste Damenrucksack-Linie ND. Benannt ist sie nach Nanda Devi, dem zweithöchsten Berg Indiens, beziehungsweise nach Nanda Devi Unsoeld, einer Bergsportlerin, die 1976 tragischerweise an dem Berg ums Leben gekommen war, nach dem sie benannt wurde.

Greg entwickelt obendrein Produkte für eine seiner weiteren Leidenschaften: die Fotografie. Bereits 1972 hat er für seine Kamera eine gepolsterte Tasche entworfen. Jahrzehnte später soll sich daraus die Marke LowePro entwickeln. Fotografie und Film spielen eine immer bedeutendere Rolle in Gregs Leben und 1981 ist er mit »Fall Line«, einem frühen Freeride-Kurzfilm, sogar für den Oscar nominiert. Gedreht wurde natürlich im Grand- Teton-Nationalpark.

»Der prägende Geist – der ist noch immer der Grand Teton: der Drang zum Berg und das Bedürfni­­s, dafür die langlebigsten und durchdachtesten Rucksäcke zu bauen.«

Andreas Ried ist Country Manager DACH von Lowe Alpine.

Der wohl bedeutsamste seiner Filme erscheint jedoch im Jahr 2014: »Metanoia« ist eine Doku über das Leben seines Bruders Jeff, benannt nach einer seiner größten Leistungen: 1991 bezwingt Jeff im Alleingang die Eiger-Nordwand über die extrem schwere Route Metanoia. Erst im Jahr 2016 schafft das Trio Roger Schäli, Stephan Siegrist und Thomas Huber eine Wiederholung. 

Aber Metanoia ist mehr als ein Zeugnis einer bergsteigerischen Ausnahmeleistung. Es ist Gregs Hommage an einen der talentiertesten Kletterer seiner Generation – der inzwischen schwer erkrankt ist. 2000 wird bei Jeff eine sehr seltene, unheilbare Nervenkrankheit diagnostiziert, die der Amyotrophen Lateral-sklerose (ALS) ähnelt und ihn bald an den Rollstuhl fesselt. Am 24. August 2018 verstirbt er im Alter von 67 Jahren.  

Die geilste Rucksackmarke

Das Vermächtnis der Kletterikone ist immens. Die eröffneten Routen, die revolutionären Produktinnovationen und natürlich »die geilste und treueste Rucksackmarke der Welt«. So bezeichnet »auf gut Bayerisch« Country-Manager Andreas Ried Lowe Alpine. Die Brüder haben die Marke zwischenzeitlich verkauft, seit 2011 ist sie Teil der britischen Outdoor-Gruppe Equip, zu der auch die Bergsportmarke Rab gehört. »Aber der prägende Geist«, so Ried, »der ist noch immer der Grand Teton: der Drang zum Berg und das Bedürfnis, dafür die langlebigsten und durchdachtesten Rucksäcke zu bauen.«

Bedingungslose Leidenschaft

Elf Jahre arbeitet der Münchner für die US-Marke, aber seinen ersten Lowe-Alpine- Rucksack hat er 1986 »von meinem zweiten Lehrlingsgehalt gekauft. Und den habe ich immer noch.« So wie auch den Rucksack einer 88-jährigen Dame, die ihm eine maschinen-geschriebene Postkarte schickte: »Sie bedankte sich für ihren Lowe-Alpine-Rucksack, von dem sie sich nun nach 33 intensiven Jahren leider verabschieden muss. Sie hat mit ihm alle europäischen Fernwanderwege bestritten – bis auf einen. Für den letzten, den Jakobsweg von Spanien nach Portugal,  hat sie sich jetzt einen neuen Lowe Alpine gekauft.« Andi hat sie höflich um ihren alten Rucksack gebeten. Nun hängt er in seinem Büro.

So wie auch das Modell eines bayerischen Bergführers, der seit Jahrzehnten mit Lowe Alpine unterwegs ist. »Eines Tages kam er zu mir und bat mich, eine aufgeplatzte Naht an einem Modell reparieren zu lassen, das ihm besonders am Herzen liegt. Da bringt er mir tatsächlich einen Rucksack, den ihm die Gebrüder Lowe in den 1980ern bei einer gemeinsamen Kletterei im Yosemite geschenkt haben.« Er hat den Tölzer Bergführer sein Leben lang begleitet – vollgepackt mit Erinnerungen an ein besonderes Brüder-Trio und ihre bedingungslose Leidenschaft für die Berge.