Hersteller: Petzl

Die französische Outdoorschmiede Petzl fasziniert durch Hightech – und pflegt eine Bodenständigkeit, die ihresgleichen sucht.

/Petzl/Jocelyn Chavy

Ein Industrieroboter zersägt und biegt Aluminiumstäbe in Karabiner-Rohlinge. Nur fünf Sekunden braucht er pro Stück. Rund 1,5 Millionen Karabiner verlassen jedes Jahr die Fabrik. Rund um die Uhr wird dort in drei Schichten gearbeitet. Wohlgemerkt nicht von Billigkräften in asiatischen Vertragswerkstätten, sondern von einheimischen Fachkräften im Petzl-Werk bei Grenoble. Fachkräfte wie Michel. Er sitzt nur wenige Meter von den computergesteuerten Maschinen entfernt und schärft die Hauen und Schaufeln von Eispickel-Köpfen – und das nun schon seit 25 Jahren! Industrielles Hightech und traditionelles Handwerk liegen bei Petzl direkt nebeneinander.

»Lange Zeit war Petzl ein handwerklicher Betrieb«, sagt der 68-jährige Firmenchef Paul Petzl beim Mittagessen. Sein Vater Fernand Petzl – der Nachname Petzl stammt von österreichischen Vorfahren – hatte die Firma Anfang der 1970er-Jahre gegründet. Die ersten Produkte waren Stirnlampen und Seilklemmen, denn Fernand war leidenschaftlicher Höhlenforscher. Bedächtig und beständig wuchs das Unternehmen auf drei Säulen: erstens Schutzausrüstung für Industriekletterer, Baumpfleger oder Feuerwehrleute, zweitens Alpinsport-Ausrüstung und drittens Stirnlampen. Dabei entstanden einige legendäre Produkte wie das Sicherungsgerät GriGri, das seit 1991 mit einigen Detailverbesserungen auf dem Markt ist – die LED-Stirnlampen Petzl Tikka Stirnlampe und ihre kleinere Schwester-Stirnlampe Petzl Bindi, die Petzl Reactik und die Petzl Actik Core.

Archiv Petzl Zu Besuch in der Entwicklungsabteilung bei Petzl: So entsteht eine neue Stirnlampe.

Heute hat Petzl 800 Mitarbeiter weltweit, unvergleichliches Know-how angesammelt und bedient fast alle Outdoor-Aktivitäten. Die Fertigung geschieht großteils in den drei Werken nahe Grenoble. In der Petzl-Fabrik in Malaysia entstehen textile Komponenten. Die Seile entwickelt Petzl selbst und lässt sie bei Edelrid in Deutschland spinnen.

Ein Unfall und die Lehren

Von der Speläologen-Werkstatt zum Weltunternehmen Petzl – den vielleicht größten Impuls zur Industrialisierung gab 2011 ein Unfall wegen eines fehlerhaften Petzl-Klettersteigsets, bei dem ein junger Franzose schwer verletzt wurde. »Da wurde mir klar, dass wir die Qualität noch strenger kontrollieren müssen«, sagt Paul. »Wir stellen pro Tag 30000 sicherheitsrelevante Petzl Produkte her – das ist eine enorme Verantwortung. Also haben wir die Prozesse grundlegend geändert und verbessert.« Was das bedeutet, wird in der Qualitätskontrolle deutlich: Sie beginnt beim Wareneingang mit den Rohmaterialien. Weitere Stichproben erfolgen während der Produktion. »Drei bis vier Prozent der Produkte werden in Testläufen kaputtgemacht«, erklärt der Technische Leiter, Ludovic Archer.

Am Ende der Qualitätssicherungskette steht ein Mitarbeiter, der jedes Produkt in Augenschein nimmt und auf seine Funktionalität prüft. Außerdem gleicht ein Computer die Produkte mit einem Soll-Foto ab. Schon bei geringsten Abweichungen schlägt dieses optische Kontrollgerät Alarm und unterbricht die Produktion – so lange, bis eine Lichtschranke signalisiert: Das fehlerhafte Produkt wurde aussortiert und in den Ausschussbehälter geworfen. »Die meisten Beanstandungen sind ästhetischer Art wie etwa Kratzer«, erklärt Ludovic. Und die Fehlerquote ist gering. So zeigt eine Schautafel an einer Produktionsstraße: In der vergangenen Woche wurden 2111 Petzl GriGris produziert – nur eines musste aussortiert werden. Ein derart hohes Qualitätsniveau ist für den Hersteller natürlich ein Kostenfaktor. Aber für die Petzl-Kunden macht sich das bezahlt. Petzl hat im Handel eine extrem geringe Rücklaufquote.

Die Marke Petzl

bei Globetrotter

      »Gewinn ist nicht das Ziel!«

      Echt faszinierend: eine Anlage, in der drei Roboter Stirnlampen zusammensetzen. Bis zu 3200 Stück pro Tag! Der Geschäftsbereich Stirnlampen wird von Sébastien Petzl, Pauls zweitjüngstem Sohn, geleitet. Knapp 20 Angestellte arbeiten alleine an der Entwicklung neuer Lampen. Im Optiklabor steht ein Dutzend Dunkelkammern mit Luxmetern. Die Batterien und Lithium-Ionen-Akkus werden wegen der Explosionsgefahr in einem externen Container gefrostet, erhitzt und auf alle nur erdenklichen Weisen gequält und geprüft. Der Container ist das Reich zweier Elektroingenieure, die auf eigens gebauten Schaltplatten die Elektronik der Lampen testen.

      Neben Lampen-Chef Sébastien arbeiten auch Pauls Frau Catherine (Kundenservice), der Sohn Olivier (Vertriebsleiter) und Pauls Bruder Pierre (Entwicklung) bei Petzl. Paul erklärt seine Philosophie als Familienunternehmer: »Für uns ist es sehr wichtig, hier verwurzelt zu bleiben«, sagt Paul, der in seiner Freizeit gerne läuft, klettert und Skitouren geht. »Der Gewinn ist nicht das Unternehmensziel, sondern nur ein Mittel, um die Unternehmensziele zu erreichen. Mein Lebensziel ist es, ein guter Unternehmer zu sein – für die Kunden, für die Mitarbeiter und für die Familie.«

      »Mein Lebensziel ist es, ein guter Unternehmer zu sein – für Kunden, Mitarbeiter und die Familie.« 

      Paul Petzl, CEO

      Petzl verkauft seine Ausrüstung weltweit, hat unter anderem eine große Niederlassung in den USA. Aber die Kernmärkte sieht Paul in Frankreich und den umliegenden Ländern. Seiner Verantwortung kommt Petzl auch durch umfangreiche Ausbildung nach. Seit einigen Jahren entsteht ein internationales Netzwerk von Schulungszentren. Kernstück ist Vaxess, ein 20 Meter hoher Bau am Firmensitz. Dort können Händler, Bergführer oder Rettungskräfte Produkte praxisnah testen und unterschiedliche Szenarien trainieren, von Klettern über Abseilen bis hin zur Personenbergung aus mehrstöckigen brennenden Gebäuden.

      Das neue Logistikzentrum

      Ein weiteres Glanzstück der Marke Petzl ist das vor sechs Jahren errichtete voll automatisierte Logistikzentrum M3. Dessen Herz schlägt in einer 100 Meter langen, 20 Meter breiten und 20 Meter hohen fensterlosen Halle, in der vier computergesteuerte Stapler auf und ab sausen. Sie jonglieren 80000 Kisten mit Komponenten und fertigen Produkten und schicken sie über Förderbänder in die Produktion oder zur Versandstelle. »Früher haben Mitarbeiter die Händlerbestellungen per Hand zusammengestellt. Durch die Automatisierung mit M3 haben wir die Kapazität verdoppelt«, erklärt Dominic Carrasco von der Petzl-Logistik. 35 000 Pakete verlassen das Werk pro Monat.

      Petzl/ Laurent Lafouche Ob Klettersteigset oder Sicherungsgerät – sie alle werden bei Petzl streng geprüft.

      Stürzen im Testturm

      Letzte Station des Besuchs: die Petzl Forschungs- und Entwicklungsabteilung. In einem Testturm simulieren die Entwickler gerade, was bei Fehlanwendungen passieren würde. Genauer: wenn jemand die Rastschlinge seines Klettersteigsets in eine Materialschlaufe des Klettergurts einhängen würde. Krachend fällt der 80-Kilo-Dummy ins Seil. Der Computerbildschirm zeigt eine Maximalbelastung von 13,6 Kilonewton. Diagnose: schwere Verletzungen der Wirbelsäule.

      Die Petzl Entwickler arbeiten auch mit menschlichen Testern. Nicht im Fallturm natürlich, aber ihre Datei umfasst 600 Intensivanwender wie etwa Bergführer. Sie enthält sogar Infos darüber, in welcher Felsart sich ein Kletterer hauptsächlich bewegt – um Prototypen unter möglichst verschiedenen Bedingungen testen zu lassen.

      Den Wert der aufwendigen Kontrollen und Tests belegt die folgende Zahl: 27 Jahre nach seiner Erfindung sind weit über eine Million GriGris im Umlauf. Keines wurde wegen Funktionsuntauglichkeit zurückgeschickt. Lediglich ein paar ermüdete Federn hat Petzl kostenlos ersetzt.

      Archiv Petzl