Oktober 2014: Es ist eine Nacht, wie sie auch das Matterhorn wohl noch nicht erlebt hat. Dünne Wolkenbänder ziehen um das Schweizer Wahrzeichen herum, verfangen sich an den Graten, lösen sich auf, bilden sich erneut. Zwischendurch sind von dort oben immer wieder die Lichter von Zermatt zu erkennen, gelegentlich blitzen auch Sterne über dem 4478 Meter hohen Gipfel auf. So weit eigentlich nichts Besonderes dort oben.
Am Normalweg des Matterhorns aber, dem 1200 Meter hohen Hörnligrat, sitzen über 50 Bergführer, Profialpinisten und Mitarbeiter von Mammut auf ihren Rucksäcken und halten rote Stirnlampen in der Hand. Warm in Daunenjacken eingepackt warten sie auf die Leuchtrakete von der gegenüber liegenden Talseite – das Zeichen, die Lampen mit voller Leuchtstärke einzuschalten.
Auf der anderen Seite nämlich wartet der Fotograf Robert Bösch auf eine Lücke in den Wolken. Als es irgendwann in der Nacht doch noch mal richtig aufreißt, zeichnen die roten Lichter auf seinen Fotos den Weg der Erstbegeher nach. Wenige Stunden später gehen erste Aufnahmen schon durch die Medien und sozialen Netzwerke. Ein Jahr später, zum 150-jährigen Jubiläum der Erstbesteigung des Matterhorns, wird das Motiv auch die offizielle Werbeanzeige von Mammut.
Mit Dackel zum Everest
Diese Art, bergsportliche Werbemotive mit einer gewissen Ästhetik zu verbinden, ist typisch Mammut. Seit 2008 hat Mammut 14 solcher Key Visuals, wie es in der Marketing sprache heißt, produziert und anschließend für Werbeanzeigen genutzt. Wer erinnert sich nicht an das Motiv mit den roten Schlafsäcken, die sich in eine Schneemulde am Piz Corvatsch schmiegen? Oder die Menschenkette in roter Funktionsunterwäsche, die sich am Eigergletscher durch den Schnee schlängelt? »Hinter allen unseren Projekten steckt eine Grundidee«, sagt Christian Gisi, Marketingchef bei Mammut. »Wir versuchen Geschichten zu erzählen, die im Kopf bleiben und das Potenzial haben, in die breite Öffentlichkeit zu kommen. Das Matterhorn zuletzt war praktisch ein Home Run.«
Wer neue Wege geht, eckt auch mal an. 2006 etwa tauchte eine ältere Dame mit dem Namen Mary Woodbridge auf. Die Engländerin verkündete, dass sie mit ihrem Dackel Daisy für den Mount Everest trainieren würde. Es gab eine Internetseite – angeblich vom Enkel gestaltet – mit Videos und Trainingsplan.
Freie Projekte, wie sie sonst kein anderer Hersteller in der Branche angeht.
Mehr als 200 Medien berichteten über die 85-Jährige mit HimalajaAmbitionen. Viele hielten die Dame für verrückt, aber kaum jemand ahnte, dass Mammut dahinter steckte. Als Mammut die Aktion als Scherz offenbarte, erschien ein Hinweis auf der Website »Warnung – mit so guter Ausrüstung kann man sich leicht zu sicher fühlen«. Ein Coup. »Die Kampagne hat auch bei uns im Unternehmen extrem polarisiert, war aber sehr erfolgreich«, sagt Christian Gisi. Inzwischen gilt »Mary Woodbridge« in Fachkreisen als Vorbild für modernes virales Marketing.
150 Seilschaften auf Tour
Neben ihren kreativen Ansätzen in der Werbung kreieren die Schweizer regelmäßig freie Projekte, wie sie sonst kein anderer Hersteller in der Branche angeht. Zum 150. Geburtstag der Marke etwa schickte man 150 Seilschaften auf 150 Touren weltweit. Angefangen mit einer Hochtour auf die Jungfrau im Berner Oberland bis zur Winterbesteigung an den windumtosten Granitnadeln in Patagonien. Aktuell läuft das »#project360«. Dafür werden Bergtouren mit einer 360-Grad-Kamera aufgenommen, um sie als eine Art Google Street View nacherleben zu können. Zum Auftakt stiegen die Mammut Athleten Dani Arnold und Stephan Siegrist 2014 mit der Spezialkamera durch die Eigernordwand. Sie brachten spektakuläre Aufnahmen zurück, wie man sie sonst nur als Extrembergsteiger zu sehen bekommt. Inzwischen sind sechs weitere Touren auf der Mammut-Website veröffentlicht, weitere 30 warten schon im Archiv. Es ist eines der aufwendigsten Medienprojekte der Outdoorbranche in den letzten Jahren.
Parallel gibt es noch ein Projekt mit dem Namen »Reclimbing the Classics«. Dabei handelt es sich um eine multimediale Enzyklopädie der Sportklettergeschichte, die man ebenfalls über die Mammut-Website findet. Die Idee: Mammut-Athleten versuchen sich an Routen, die einst Meilensteine für den Sport gesetzt haben, und sprechen anschließend mit den Erstbegehern – sofern die noch leben. So wiederholte der deutsche Kletterer Jan Hojer beispielsweise im Frankenjura die »Action Directe«.
1991 von Wolfgang Güllich erstbegangen, war sie damals die erste Route im Schwierigkeitsgrad 9a. Im Video erlebt man, wie sich Hojer an den berühmtbe rüchtigten Fingerlöchern durch den Überhang hangelt. Aber auch vergleichsweise unbekannte Routen werden vorgestellt. »Wir sehen das Projekt als Dienst an der Szene. Denn da kommen wir her. Kletterer sind immer noch eine unsere Kernzielgruppen«, sagt Marketingchef Christian Gisi. Weil das Projekt gut angekommen ist, wird es 2016 um legendäre Mehrseillängenrouten erweitert.
Echte Motive
Zurück zu den Key Visuals. Was kann nach dem beleuchteten Matterhorn noch kommen? »Ideen haben wir genug«, sagt Verena Lambrecht, die für die Kampagnenbilder verantwortlich ist. Wichtig sei immer, dass die Bilder echt sind. »Mit Photoshop werden nur Farben angepasst und kleine Schönheitskorrekturen gemacht.« Für das 2016er-Motiv wanderten im September 100 Backpacker in Form einer Herzschlaglinie vor dem EigerPanorama. Wieder stand Robi Bösch an der Kamera, aber dieses Mal dauerte es nicht die ganze Nacht.