Hiking statt Banking

Archiv Gregor Sieböck
Gregor Sieböck standen alle Tore einer großen Bankerkarriere offen. Top-Abschlüsse an Top-Unis, ein Hochleistungshirn und internationale Erfahrung. Und er entschied sich: fürs Wandern. 

Gregor, du bist quasi Profiwanderer, läufst fast immer zu Fuß. Warum?
Weil das für mich die natürlichste und einfachste Art der Fortbewegung ist. Übrigens sowohl auf meinen Reisen als auch im Alltag. Die Langsamkeit eröffnet mir dabei einen ganz anderen Blickwinkel, als wenn ich schnell – was ja die gesellschaftliche Norm ist – und motorisiert unterwegs wäre. Ich sehe dadurch die Welt mit anderen Augen, und weil ich sie mit anderen Augen sehe, ist sie für mich auch anders.

Wie definierst du Abenteuer und worin liegt für dich ihr Sinn?
Bildlich gesprochen stelle ich mir einen wundervollen Garten vor, in dem ich lebe. Der ist groß und üppig, doch er hat eine Mauer. Ein Abenteuer ist für mich, auf diese Mauer zu klettern und auf der anderen Seite hinunterzuspringen, um zu schauen, was sich dahinter verbirgt. Dabei kannst du mit den eigenen Grenzen spielen, deinen Horizont erweitern – und vielleicht der werden, der du immer schon sein wolltest.

Muss ein Abenteuer immer extrem sein?
Nein. Für mich steht die Freude im Zentrum. Natürlich gerate ich bei meinen Abenteuern auch in gefährliche Situationen. Aber ich habe gelernt, mich schnell auf völlig ungewohnte Situationen einzustellen. Das hat mir in vielen brenzligen Momenten geholfen. Ich habe dem Tod schon in die Augen geblickt, doch jedes Mal hat mich diese Erfahrung näher zum Leben gebracht.

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»Abenteuer sind zum Konsumartikel geworden. Das ist schade, denn es bringt die Menschen um die Erfahrung.«

Welches war dein bisher größtes Abenteuer?
Als ich im Sommer 2003 aus meiner Haustüre in Oberösterreich gegangen bin, um zu Fuß das Tausende Kilo­meter entfernte Japan zu erreichen. Ich hatte einen riesigen Rucksack, einen Wanderstock und im Herzen viele Träume. Ist es nicht meistens so im Leben, dass wir jene Herausforderungen bekommen, denen wir auch gewachsen sind? Das ist ein schöner Gedanke, denn er gibt Vertrauen.

Was findest du positiv und was negativ an Abenteuerreisen?
Ich habe beim Reisen aufgehört, zwischen positiv und negativ zu unterscheiden. Ich denke, die Trennung bringt uns alle nicht weiter. Es geht immer um Erfahrungen – diese gehen über bloße Worte und unser Verstandesdenken weit hinaus. Wichtig ist es, aus den Erfahrungen Erkenntnisse zu ziehen und diese dann in mein Leben zu integrieren.

Wie haben sich Outdoorabenteuer in den vergangenen 15 bis 20 Jahren verändert?
Das ist für mich nicht unbedingt generalisierbar. Aber wenn ich von der Mikro- auf die Makroebene gehe, sehe ich eine große Veränderung durch die Digitalisierung. Abenteuer sind zum Konsumartikel geworden. Viele Menschen erleben sie nicht mehr real, sondern digital vor dem Handy oder Bildschirm, indem sie sich Videos oder Berichte anschauen. Das ist schade, denn es bringt die Menschen um die eigene Erfahrung.

Was sollten die Leute anders machen?
Wenn ich die Menschen beobachte, sehe ich, dass die meisten in ihrem Alltag und in ihrem Denken gefangen sind. Durch den Wunsch, zur Gesellschaft dazuzugehören und kein Außenseiter zu sein, passen sich die meisten an und gehen nicht wirklich ihren eigenen Weg, der vielleicht nicht der gesellschaftlichen Erwartungshaltung entspricht. Vor allem die Angst vor Veränderung mit ungewissem Ausgang ist bei vielen zu groß. Es gibt höchstens Pseudoabenteuer, die nach Abenteuer klingen, aber den Status quo unverändert lassen. Diese haben aber keinen Einfluss auf den Alltag, der wird weiterhin brav und gesellschaftskonform geführt. Das finde ich sehr schade.

Welches Abenteuer schwebt dir als Nächstes vor?
Bisher bin ich immer nach Süden, Norden oder in den Westen gegangen. Nun kommt der Osten. Die Ureinwohner Amerikas maßen jeder Himmelsrichtung eine andere Bedeutung bei. Der Weg nach Osten – der Adlerpfad – ist der Überlieferung nach der schwierigste, weil es darum geht, die gewonnenen Erkenntnisse in das tägliche Leben zu integrieren. Ich bin gespannt und voller Vorfreude.

GREGOR SIEBÖCK

Alter: 43 // Heimat: Nußbach bei Linz, Österreich // Ausbildung: Studium Wirtschafts- und Umweltwissenschaften // Beruf: Weltenwanderer, Buchautor, Vortragsredner // Web: www.globalchange.at

Gregor Sieböck studierte zunächst Wirtschaftswissenschaften in Wien, um das Wesen der Marktwirtschaft zu verstehen. Aus Frust unterbrach er das Studium und ging für ein Straßenkinderprojekt nach Quito, Ecuador. Das motivierte ihn, für die Weltbank arbeiten zu wollen. Er kehrte zurück, schloss das Wirtschaftsstudium mit Auszeichnung ab, legte ein Postgraduate-Studium der Umweltwissenschaften nach, um schließlich in Washington DC bei der Weltbank seinen ersten richtigen Job mit hervorragenden Karriereaussichten anzutreten. Diesen tauschte er nach kurzer Zeit gegen seine Berufung ein: Weltenwanderer.


Einer von 50: In der Sonderausgabe »50 Menschen, 50 Abenteuer« zeigen wir Menschen und ihre ganz persönlichen Geschichten – von skurillen Episoden über kleine und große Expeditionen bis hin zu ganzen Lebensgeschichten.

Text: Moritz Becher
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