Italien: Zug um Zug ins Dolce Vita

Stressfrei angebahnt, viel gesehen, süß gelebt – eine Reise auf Schienen durch Norditalien eröffnet ungeahnte Blickwinkel.

Christian Burri/Unsplash

Es hatte fast schon was von der Nadel im Heuhaufen, die Suche nach dem kleinen Fenster mit Blick auf das alte Kanalsystem Bolognas. Erzählt hat es mir der Besitzer des charmanten Gästehauses »Casa Bertagni«. Vor fast tausend Jahren mühevoll erschaffen von unzähligen Händen als Wasserwege zum Warentransport und Energie­quelle für die Seidenwebereien. In späteren Jahren dann der Blick verstellt durch hohe Mauern und darübergebaute Straßen. Doch ein Fensterchen gebe es, in der Via Pelli. Durch das könne man aufs Wasser sehen. Und nun, nach einer knappen halben Stunde Navigieren und Herumfragen, schaue ich auf den Canale delle Moline. Alte Fensterbögen und kleine Balkone säumen den Wasserweg. Ein schmaler Blick, das kleine Glück. Bologna, amore mio.

Eine Reise mit der Bahn nach Norditalien, dem Frühling entgegen. Eine Woche lang das gute Leben genießen. Gleich südlich der Alpen punkten die Regionen Lombar­dei, Venetien und Emilia-Romagna mit spannenden Städten. Und diese sind bestens mit dem Zug erreichbar. Heute morgen bin ich in Zürich gestartet. Gerade mal vier Stunden dauert die Reise durch den Gotthard nach Mailand. Wer in München losfährt, den bringt der Nachtzug im Schlaf ans Ziel.

Milano Centrale. Im Sog der aussteigenden Passagiere durchquere ich die imposante Bahnhofshalle. Zwei Stunden bleiben mir bis zur Weiterfahrt Richtung Bologna. Den Rucksack im Schließfach, nehme ich die Metro zur Via Monte Napoleone. Von hier aus lassen sich die Sehenswürdigkeiten der zweitgrößten Stadt Italiens auch mit kleinem Zeitbudget fußläufig erkunden. Gegen Mittag steige ich in die »Frecciarossa«, den roten Pfeil. Der Hochgeschwindigkeitszug verbindet Mailand via Bologna und Rimini mit Bari an der Stiefelspitze. Der Waggon ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Für die gut 200 Kilometer nach Bologna benötigt die Frecciarossa lediglich eine Stunde – eine unschlagbare Zeit. Die temporeiche Reis­e lässt die Landschaft vorm Fenster rasen, umhüllt den Blick mit dichter Dösigkeit, leitet über in leises Schlummern. Tief entspannt, die Erinnerungen an die vorbeihuschende Po-Ebene unscharf fragmentiert, rolle ich Bologna entgegen.

Perfekt ist die Anreise per Nachtzug: ab in München um 20:10 Uhr, an in Mailand um 8:10 Uhr.

Als ich den Zug verlasse, empfängt mich zunächst mal der Untergrund. Der 2013 eröffnete, in die Tiefe verlegte Durchgangsbahnhof ist einer der größten Europas. Umso erstaunlicher, dass der Vorplatz mit dem historischen Bahnhofsgebäude äußerst bescheiden wirkt. Die Hauptstadt der Emilia-Romagna ist ein idealer Ausgangspunkt, um die Region auf Schienen zu erkunden. Die umliegenden Städte Modena und Ferrara sind weniger als eine Stunde Bahnfahrt entfernt. Doch jetzt erst mal Bologna! Nicht nur Kunsthistoriker und Architekten stehen gebannt vor den »Portici«. Die Arkaden – erbaut mit dem Ziel, Wohnraum zu schaffen, ohne dem Gewusel der darunterliegenden Straßen Platz zu nehmen – erstrecken sich über eine Länge von 38 Kilometern. Wer den Bogengängen mit aufmerksamem Blick folgt, entdeckt wunderschöne alte Türen und schrille Vintage Shops. Nicht weit davon entfernt befindet sich die Osteria dell’Orsa. Hier wird ein Klassiker serviert, der bei den zugereisten Ausländern leicht für Missverständnisse sorgt. Spaghetti Bolognese kennt in Deutschland jedes Kind, die Originalversion nennt sich hier jedoch Tagliatelle al Ragù.

Die schiefen Türme von Bologna

Marco Poderi

Nur bei Pasta sollte man es freilich nicht belassen. Nebst einfachen Trattorias findet sich im Umkreis von Bologna auch echte Gourmetküche. Die feinste Adresse ist die mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnete Osteria Francescana in der Nachbarstadt Modena. Küchenchef Massimo Bottura gilt als einer der Besten der Welt und kreiert mit lokalen Produkten ausgefallene Gerichte. Wer sein legendäres Dessert »Oops, I dropped the lemon tart« probieren möchte, tut gut daran, sich schon viele Monate vorab einen Tisch zu sichern.

Zurück in Bologna will ich mir noch das Stadtwahrzeichen – die Geschlechtertürme Garisenda und Asinelli – anschauen. Wie der ungleich bekanntere Turm von Pisa ragen die fast tausend Jahre alten Bauten alles andere als lotrecht gen Himmel. Eine schmale Holztreppe führt auf die Aussichtsplattform des fast 100 Meter hohen Torre degli Asinelli und bietet einen fantastischen Panoramablick über die rot gedeckten Ziegeldächer der Altstadt.

40 Bahnminuten nordöstlich von Bologna erwartet mich mein nächster Stopp. Der Stadtkern von Ferrara steht als Weltkulturerbe auf der Unesco-Liste. Und tatsächlich, in der »Via delle Volte« scheint die Zeit im Mittelalter stehen geblieben zu sein. Aber auch sonst geht es hier deutlich gemächlicher zu als in Bologna. Im vegetarischen Restaurant Zazie gibt mir der Besitzer mit Blick auf meine Kamera noch einen Tipp auf den Weg: »Schau dir den Innenhof vom Teatro Communale di Ferrar­a an!« Er hat nicht zu viel versprochen – ein toller Fotospot back into times!

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      Die Städte der Po-Ebene atmen Architektur, Kunst und Geschichte geradezu im Übermaß. Neben touristisch wenig entdeckten Tipps stehen auch große Namen auf der Liste, die man aus guten Gründen nicht auslassen sollte. Bekannt als Schauplatz von William Shakespeares »Romeo und Julia« und unweit des Gardasees gelegen, ist Verona ein echter Besuchermagnet. Kaum habe ich den Torbogen zur Piazza Bra direkt neben dem gut erhaltenen Amphitheater durchschritten, stehe ich inmitten geschäftigen Treibens. Wie viele der Touristen, die zur »Casa di Giulietta« pilgern, um dort ein Foto vom Balkon zu knipsen, wohl wissen, dass die romantisch-tragische Geschicht­e gänzlich Shakespeares Fantasie entsprungen ist? Die Suche nach Ruhe drängt mich in die Seitengassen. Schlussendlich lande ich auf der Schlossterrasse des Castel San Pietr­o und genieße ganz für mich den Blick über die pittoreske Altstadt.

      Zwei Stationen stehen noch auf dem Fahrplan meiner Italienreise. Mit einem Regional­zug, der zumindest optisch schon bessere Zeiten gesehen hat, verlasse ich Verona in Richtung Süden. Auf die Minute pünktlich erreiche ich Mantua. Das verschlafene Städtchen mit knapp 50 000 Einwohnern ist von vier Seen umgeben, die der Fiume Mincio durchfließt. Auch Mantuas Stadtkern ist Unesco-Erbe. Für Freunde des Authentischen ist das Städtchen dennoch ein echter Geheimtipp. Hier kann man auf der Piazza Sordello zwischen wild gestikulierenden Einheimischen einen Aperitivo genießen. Oder einsam im romanischen Dom stehen und die beeindruckende­­n Deckenmalereien bewundern.

      In der Heimat Stradivaris

      Anita Brechnbühl

      Wie Mantua hat auch das Städtchen Cremona im Herzen der Po-Ebene Flair. Bei Cremona denken viele an Antonio Stradivari, der hier von 1680 bis 1737 legendär­e Geigen schuf, die heute noch gespielt und für Millionen gehandelt werden. Nebst dem Museo del Violino, das die 500-jährige Geigenba­u-Geschichte in Cremona erlebbar macht, führen in den engen Gassen um den Dom zahlreiche Ateliers die traditionsreiche Kunst weiter. Nach einem Werkstattbesuch bei Edgar Russ, der als gebürtiger Österreicher nach dem Studium in der Geigenbauschule in Cremona hängen geblieben ist, nehme ich die 487 Stufen auf den 112 Meter hohen Torrazzo in Angriff. Immerhin der dritthöchste Glockenturm der Welt. Ich genieße die Weitsicht, und nehme mir vor, weiter in Bewegung zu bleiben. Mit einem Leihrad geht es ins Grüne. Knappe zwanzig Minuten Pedalieren über Feldwege bringt mich zur auf einem gepflegten Gehöft gelegenen Locanda Al Carrobbio, wo Familie Torrisi mit ihrer durch und durch lokalen Küche zu begeistern weiß.

      Meine Reisewoche neigt sich dem Ende zu, der Zug läuft ein in Milano Central­e. Eine Woche zu Gast in Kulturmetropolen und Perlen italienischer Städtekunst. Espress­o Macchiato vis-à-vis grandioser Renaissancepaläste, feine Sterne-Restaurants, leckere Küche à la Mamma in der Trattoria nebenan. Keinen Meter im Auto oder Flieger – nur die Bahn lässt einen so direkt im Zentrum der Stadt landen. Neben all den schöne­n Erinnerungen und Bildern auf der mentalen Speicher­karte bleibt die Erkenntnis, dass eine Woche einfach zu kurz ist, um alle Highlights Norditaliens von der Bucket List zu streichen. Somit – alla prossima volta!

      Anita Brechbühl
      schreibt seit 2012 auf dem Reiseblog www.travelita.ch von Wochenendausflügen, Städtetrips und Fernreisen.

      Text: Anita Brechbühl