Junge Entdecker

Jana und Jens Steingässer sind mit ihren vier Kindern viel unterwegs – und haben eine Botschaft: als »Familie auf den Spuren des Klimawandels«.

Jens Steingässer

Servus Jana und Jens – wie geht es eigentlich eurem Zwerghuhn Emma?
Jana: Die gute Emma hat leider der Fuchs geholt.

In eurem Buch »Die Welt von morgen – eine Familie auf den Spuren des Klimawandels« erzählt ihr, wie Emma euch auf das Thema gebracht hat …
Jana: Ja, unser Zwerghuhn war der Anstoß. Eines Tages im Dezember – es war sonnig und mild – fing sie an zu brüten. Verrücktes Huhn, es ist doch Winter!, dachte ich. Wir recherchierten und fanden heraus, dass der Klimawandel sogar Tiere im Verhalten beeinflusst.

Das war der Auftakt zu zahlreichen Recherche-Reisen, eurem Buch und den Vorträgen, die ihr inzwischen haltet. Seid ihr überrascht, dass euer Konzept bei Lesern und Zuschauern auf so viel Interesse stößt?
Jens: Der Klimawandel betrifft so viele Bereiche – Artenvielfalt, Ernährung, Landraub, Armut, Wasserressourcen. Darüber berichten die Medien, das Thema bleibt aber oft abstrakt. Wir möchten die Leute für die Zusammenhänge sensibilisieren. Also sammeln wir Geschichten von betroffenen Menschen, fernab der großen Berichterstattung. So wird das alles greifbarer. Das kommt offenbar gut an.

Für euer Buch habt ihr Grönland, Island, Lappland, Marokko, Australien, Südafrika, die Alpen und den Odenwald bereist. Warum gerade dorthin?
Jana: Wir hätten jedes Land der Erde wählen können, denn Symptome gibt es überall. Grönland, und überhaupt die Arktis, ist zum Sinnbild des Klimawandels geworden. Deshalb wollten wir unbedingt dorthin. Außerdem ist es mein Kindheitstraum.
Jens: Ich hatte erst ziemliche Bedenken bei Grönland im Winter. Frieda, unsere Jüngste, war damals erst zwei Jahre alt. Zum Glück half uns Robert Peroni. Der Südtiroler betreibt in Ostgrönland eine Lodge für Expeditionsteams und Reisegruppen. Nachdem Robert uns zugesichert hatte, dass das auch mit kleinen Kindern im Winter gut ginge, fühlte ich mich sicher.

Jens Steingässer

Jana Steingässer (39) ist Ethnologin und Journalistin, Jens Steingässer (38) Kommunikationsdesigner und Fotograf. Mit ihren Kindern Paula (17), Mio (10), Hannah (9) und Frieda (6) unternehmen sie Recherchereisen für ihre Projekte und erzählen davon in Büchern und auf Vorträgen. Wenn sie gerade nicht unterwegs ist, lebt die Familie Steingässer im Odenwald.

Empfindet ihr eure Reisen als Ferien oder als Arbeit?
Jens: Die Kunst besteht darin, es in Vorträgen und im Buch wie Urlaub aussehen zu lassen. Aber vor Ort haben wir volles Programm: Interviews, Recherche, Fotografieren. Auch die Vorab-Logistik mit vier Kindern ist immens. Beim Flug nach Grönland schickte man uns gleich zum Gruppen-Check-in.

Wie habt ihr eure Kinder im grönländischen Winter warm gehalten?
Jana: Mit mehreren Lagen Klamotten. Kein Problem, auch bei langen Hundeschlittentouren. Wir spannten die Fahrradanhänger unserer Kinder auf die Hundeschlitten, so hatten sie gleich ihr vertrautes Nest. Und bei Wanderungen haben wir sie samt Schlafsäcken in große, wasserdichte Taschen gesetzt und mit Pulkas hinter uns hergezogen.
Jens: Ansonsten waren sie immer in Bewegung. Wo immer andere Kinder spielten, fanden sie sofort Anschluss.

»Die Kunst besteht darin, es wie Urlaub aussehen zu lassen.«

Wie erging es euch als Vegetariern bei dentraditionell fleischhungrigen Grönländern?
Jana: Dazu eine kleine Anekdote: Für eine Hundeschlittentour hatte ich Falafel gebraten und bot sie den einheimischen Jägern an, die uns begleiteten. Sie haben sich total gefreut – bis zum ersten Bissen. Danach schauten sie betreten und warfen die Falafel heimlich ihren Hunden zu. Die haben sich auch freudig darauf gestürzt – und dann liegen gelassen. (lacht)
Jens: Was man wissen muss: Die Schlittenhunde in den Dörfern fressen alles, sämtliche Essensreste und so – aber unsere Falafel haben sie verweigert.

Zwei Wochen habt ihr in einer Hütte im 100-Seelen-Dorf Tiniteqilaaq gelebt. Das perfekte Ferienhaus?
Jana: Naja, die Hütte hatte 20 Quadratmeter. Tagsüber mussten wir die Matratzen stapeln. Ein Blecheimer diente als Toilette. In der Siedlung haben wir überall am Alltagsleben teilgenommen. Eisfischen, Jagen, die Beute zerlegen. Mio spielte mit den Inuitkindern Fußball auf einem zugefrorenen Fjord.

Welche Auswirkungen des Klimawandels konntet ihr auf Grönland beobachten?
Jens: In den kleinen Siedlungen ist die Armut groß. Ein Motorboot können sich nur wenige leisten. Die anderen brauchen eine stabile Eisdecke, um mit den Schlittenhunden auf die Jagd zu gehen. Die Alten haben uns berichtet, dass sie früher fünf Monate im Jahr zum Jagen unterwegs waren – heute sind es vielleicht noch zwei.

Also war das Leben der Grönländer früher besser?
Jens: So simpel ist es auch wieder nicht. Natürlich sind alle über Elektrizität im Haus froh.
Jana: Das Leben wird vom Winter bestimmt. Die Grönländer fiebern darauf hin, mit den Hundeschlitten jagen zu gehen, denn das bringt ihnen auch Anerkennung und soziale Bestätigung. Durch den Klimawandel wird die Jagdzeit immer kürzer. Im Sommer schnellt die Selbstmordrate in die Höhe.

»Kinder sind auf Reisen fröhliche Türöffner.«


Bringt der Klimawandel dort auch Vorteile?
Jana: Bergbaugesellschaften gelangen jetzt viel leichter an die Bodenschätze. Alles ist eine Frage der Perspektive.
Jens: Die Grönländer wollen Entwicklung – bessere Infrastruktur, ein besseres Bildungssystem. Sie möchten nicht am Tropf von Dänemark hängen. Die Bodenschätze sind für sie also durchaus eine Chance. Natürlich wissen alle um die globalen Probleme, aber die alltäglichen Sorgen sind andere. Das reine Überleben – wie bekomme ich meine Familie satt? – liegt näher.

Auch in Lappland hat sich die Familie Steingässer herumgetrieben, da wart ihr stilvoll in einem alten Feuerwehrbus unterwegs …
Jana: Das war eine pragmatische Lösung. Wir brauchten ein Auto, in dem wir alle samt Equipment Platz haben. Es gab sonst gar nichts Bezahlbares.
Jens: Der Bus kam in Lappland gut an, die Leute reagierten sehr positiv auf unser feuerrotes Spielmobil.

Ihr habt dort traditionelle Rentierhirten begleitet, das ist Touristen normalerweise nicht vergönnt. Wie habt ihr das Vertrauen der Samen gewonnen?
Jens: Mit Behutsamkeit und Geduld. Es dauert seine Zeit. Die Kinder hatten dabei einen enormen Anteil, wir wurden eher als Familie wahrgenommen, nicht als Journalisten. Kinder sind auf Reisen fröhliche Türöffner.

Lappland ist ja berüchtigt für sein wechselhaftes Wetter. Nimmt man den Klimawandel trotzdem wahr?
Jens: Allerdings. Die Jahreszeiten und die Vegetationszonen verschieben sich. Im Winter kommt der Schnee später. Immer häufiger gibt es Wärmeeinbrüche, danach wird es wieder kalt. Aber wenn es taut und wieder gefriert, entsteht eine Eisschicht, die die Nahrung der Tiere versiegelt. Dann müssen die Samen zufüttern.

Jana: Ein schlechter Sommer macht noch keinen Klimawandel. Die Samen mussten sich schon immer anpassen. Aber früher konnten sie ausweichen. Jetzt gibt es klar definierte Regionen, in denen sie sich aufhalten dürfen. Manchmal sind das schmale Korridore. Wenn dort nun die Seen nicht mehr zufrieren und damit unpassierbar bleiben, wohin sollen sie gehen?

Südafrika war dann als Reiseziel ein »heißer« Kontrast. Hattet ihr da auch mal Zeit für eine spannende Safari?
Jana: Na klar. Aber es ging nicht nur um Löwen oder Elefanten. Mio und Hannah konnten sich Stunden damit vergnügen, den Erdmännchen zuzuschauen.

Die Erderwärmung ist auch dort spürbar?
Jana: Das konnten wir an einem Beispiel gut beschreiben: Der Köcherbaum, Wahrzeichen des südlichen Afrikas, ist an Hitze und Trockenheit eigentlich gut angepasst. Aber die Grenze der Belastbarkeit ist offenbar überschritten. Der Köcherbaum reagiert mit Selbstamputation und stößt seine Äste ab, um den Stamm am Leben zu halten. Und es wachsen keine neuen Bäume mehr nach.

Jens Steingässer

Ist es eigentlich so schlimm, wenn eine Art ausstirbt? Sowas ist in der Erdgeschichte ja ständig passiert.
Jana: Jede Spezies in einem System hat eine bestimmte Aufgabe in der Kette. Wenn die Spezies fehlt, hält die Kette nicht mehr.
Jens: Nicht immer ist daran der Klimawandel schuld. In Australien erzählte uns ein Farmer, wie in seiner Kindheit gezielt einheimische Pflanzen entfernt wurden, um Platz für neue Weizenarten zu schaffen. Dass die früheren Pflanzen spezielle Aufgaben im Ökosystem hatten, wurde ignoriert. Nun sind die Böden versalzen und unfruchtbar.

Lernt der Mensch nicht aus seinen Fehlern?
Jana: Wenn man einmal in so ein System investiert hat, gehört viel Mut dazu, sich einen Fehler einzugestehen.

»Paula hatte einen krassen Durchhänger, wegen des Gefühls, so machtlos zu sein.«

Gletscherschmelze, Dürre, Artensterben – das sind traurige und besorgniserregende Themen. Eure Kinder habt ihr damit extrem konfrontiert. Wie gehen sie damit um?
Jana: Mit den Kleinen wurde das nicht intellektuell thematisiert. Aber sie haben natürlich vor Ort Sachen gesehen, die sie sehr bewegten. In Grönland war es der Müll, in Südafrika die Armut. Paula, unsere Älteste, wurde von Anfang an miteinbezogen. Sie hatte mal einen krassen Durchhänger, wegen des Gefühls, so machtlos zu sein. Uns ging es teilweise auch so. Aber zum Glück gibt es auch sehr motivierte und engagierte Leute, die an den richtigen Stellschrauben drehen. Jeder kann in seinem Rahmen etwas bewegen. Müllvermeidung ist in unserer Familie ein großes Thema geworden.
Jens: Mio erzählte kürzlich, dass ein Mädchen in seiner Klasse dafür plädierte, mehr Müllmänner einzustellen, damit nicht so viel Müll rumliege. Mio forderte dagegen höhere Preise für Plastikverpackungen und hohe Strafen für Müllsünder. Das ist weiter gedacht.

Für euer Buch wart ihr nicht nur in der Ferne unterwegs, sondern seid auch zu Fuß über die Alpen gewandert. War das insgesamt entspannter?
Jens: Im Gegenteil – weil wir mit viel zu viel Gepäck gestartet sind, rund 100 Kilo. Schon am ersten Pass mussten wir die Kinderanhänger tragen, weil der Weg zu steinig war. Einige Passagen durften wir zwei- bis dreimal laufen: erst mit den Kindern, dann zurück, das Gepäck holen …
Jana: Ich habe unter der Anstrengung ziemlich gelitten.

Jens Steingässer

Jens ist dann weite Strecken barfuss gelaufen. Ein Büßergang, weil sich Jana so schinden musste?
Jens: Indirekt fühlte ich mich schon für die Strapazen verantwortlich. Ich wusste, dass der Tag über den Fimbapass der härteste werden würde. Darum brachte ich schon nach dem Abendessen einen Kinderwagen zum Pass und parkte ihn dort. Es gab heftige Unwetter. Ich hatte aber keine Lust, die Regenhose anzuziehen. So war alles nass, ich bekam große Blasen und konnte nicht mehr in Schuhen gehen. Also barfuss. Es dauert ein paar Stunden, bis man nicht mehr »Autsch« sagt. Aber dann wurde die Tour richtig sinnlich. Ich fühle heute noch, wie es ist, auf heißem Schotter zu laufen. Oder die Wonne, wenn es durch einen Bach geht.

Jens Steingässer

Mit eurer Multivisionsshow »Die Welt von Morgen« seid ihr immer wieder auf Tour, bereitet aber schon ein neues Projekt vor.
Jana: Richtig. Es geht ums Thema »Wasser«, das möchten wir von gesellschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Seite beleuchten, wieder erzählt über die Reisen unserer Familie .

Reden die Kinder bei der Reiseplanung mit?
Jana: Schon. Für das Wasser-Projekt sind die Kontraste zwischen Nord- und Südamerika exemplarisch: Wasserverschwendung, Was- serknappheit, Verschmutzung, Privatisierung. Und es gibt wunderschöne Landschaften, Flüsse, Seen, Gletscher für tolle Fotos. Doch Paula meinte: »Dann müssen wir so viele klimaschädliche Langstreckenflüge machen. Das geht doch nicht!« Sie hatte recht.
Jens: Daher werden wir nun hauptsächlich in Europa unterwegs sein. Das ist nicht schlecht, denn mit Europa können sich unsere Leser und Zuhörer besser identifizieren. Amerika und seine Probleme sind für viele zu weit weg.

Haben die Recherchen schon begonnen?
Jana: Eben kommen wir aus Albanien zurück. Wir sind mit Pferden durch die Berge gezogen und mit Packrafts, das sind aufblasbare Rucksackboote, auf dem Fluss Vjosa unterwegs gewesen.

Packrafts und vier Kinder, geht das denn?
Jana: Paddel-Erfahrung ist bei uns vorhanden und in den Osterferien haben wir eine Packraft-Testtour auf dem Tagliamento in Italien gemacht. Daher wussten wir, dass das funktioniert.

»Wir erkennen, dass wir auf diesem Planeten auch nur Gäste sind. Wie beim Reisen.«

Was ist denn so interessant an der Vjosa?
Jens: Das ist einer der artenreichsten und naturbelassenen Flüsse Europas. Nicht begradigt, noch ohne Wasserkraftanlagen. Will man Flüsse renaturieren, könnte die Vjosa als Vorbild dienen.

Wo geht es als Nächstes hin?
Jana: Spanien und Portugal, dort interessieren uns Fragen zur Privatisierung von Wasser und die Verteilung. Dann die Alpen als Wasserspeicher. Sicher reisen wir auch wieder nach Island. Die Insel ist ein wahres Zukunftslabor. In ein paar Jahren will man sich dort zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien versorgen. Wahrscheinlich geht es auch mal – trotz Paulas Bedenken – nach Brasilien. Die Probleme dort drehen sich um die Abholzung der Regenwälder und die Auswirkung auf den Wasserkreislauf.

Jens Steingässer



Wie lange veranschlagt ihr für das Wasser-Projekt?
Jana: Zwei, vielleicht drei Jahre. Wir sind auf die Schulferien angewiesen. Manchmal beantragen wir, diese etwas zu verlängern. Das klappt sogar meistens, weil wir die Reisen ja beruflich machen.

Was habt ihr – neben dem Material für Bücher und Vorträge – von euren Reisen mitgebracht?
Jens: Die Erkenntnis, wie wenig man eigentlich braucht. Wir haben einen Überfluss, der erschlägt. Das Umstellen aufs Reisen ist weniger schwierig als später die Umstellung auf den Alltag. Wir erkennen, dass wir auf diesem Planeten auch nur Gäste sind. Wie beim Reisen. Und was ich jedes Mal wieder mitbringe, ist die Gewissheit: Ziele sind realisierbar.
Jana: Wir dürfen sehen, wie wahnsinnig schön die Erde ist. Und wie erhaltenswert. Die Begegnungen, die man bei Reisen hat, sind von unschätzbarem Wert.

Das nehmen wir mit

Alles für eine Expedition mit Kind und Kegel

      Text: Iris Lemanczyk