Kette links – mit Bike & Boot durch die Alpen

Die Packtaschen voller Powerbars und das Kajak auf dem Hänger, radelten Jens Klatt, Olaf Obsommer und Globetrotter Redakteur Philip Baues 2013 einmal den Alpen­bogen entlang.

(c) Jens Klatt www.jensklatt.com

Ans Aufgeben denke ich das erste Mal am Col de la Cayolle in den französischen Seealpen. Bis zur Hüfte stecke ich im Schnee, mit der einen Hand versuche ich, mich abzustützen, die andere hält den Wurfsack, an dem ich mein Kajak wie eine Pulka hinter mir herziehe. Obendrauf habe ich das Fahrrad geschnallt, alle paar Meter kommt die Konstruktion ins Rutschen, und Lenker oder Laufrad graben sich in den Schnee. Im Moment rutscht allerdings gar nichts, ich stecke ja fest. Als ich beim nächsten Schritt wieder einsacke, platzt mir der Kragen: Ich schleudere dem Berg alle Schimpfworte entgegen, die mir einfallen, und erfinde auch gleich ein paar neue dazu.

Doch hilft ja nichts. Erstens müssen wir irgendwie auf die andere Seite, und zweitens sind wir ja selbst schuld: Schon am Eingang des Var-Tals wiesen groß­e »Col fermé«-Schilder darauf hin, dass der erste Alpenpass unserer Tour aufgrund enormer Schneemengen Mitte Mai noch gesperrt sei. Bei 30 Grad im Schatten schien uns das nicht weiter beunruhigend, wenn überhaupt, würde die Sperre sicher nur für Autos gelten. Nach einem tollen Paddeltag durch die Gorges du Daluis muss dann eine Entscheidung her: Kehren wir um und nehme­n einen Umweg von mehreren Tagen in Kauf oder bieten wir dem Pass die Stirn? Was für eine Frage – wir sind Männer, keine Memmen!


DAS AKTUELLE PROJEKT

Jens Klatt und Olaf Obsommer stehen schon wieder in den Startlöchern für eine Neuauflage von Bike2Boat: Im Juli 2020 geht es von Augsburg aus für drei Wochen in die Nordalpen – das Ötztal und Südtirol warten. Ebenfalls mit im Boot und im Sattel: Red-Bull-Athlet Adrian Mattern und Bren Orton. Beide sind Teil der Paddel-Crew »Send«, die in den letzten Jahren mit spektakulären Wildwasser-Aktionen für Furore sorgte. Mehr Infos: www.bike2boat.eu


Also strampeln wir im kleinsten Gang langsam die enge Passstraße hinauf, die 50 Kilo Ausrüstung, die wir hinter uns herziehen, bringen die Oberschenkel zum Glühen. Und je höher wir kommen, desto größer werden die Zweifel: Anfangs rufen uns die Talbewohner noch »Allez! Allez!« und »Bon Courage!« zu, doch irgendwann ernten wir nur noch ungläubige Blicke und den Hinweis »C’est impossible! La neige!« Ja, ja, der Schnee. Die waren doch sicher selbst schon ewig nicht mehr da oben. Wird schon passen. Kurze Zeit später fängt es an zu regnen. Etwa auf 2000 Metern Höhe geht der Regen in Schnee über. Und dann hört die Straße plötzlich auf. Nein, keine Lawinenreste, die noch nicht abgeschmolze­n sind, was da vor uns liegt, sieht aus wie ein Skigebiet im Winte­r. Hätte ich jetzt meine Freeride-Latten an den Füßen, mein Herz würde einen Sprung machen. So schaue ich nur dumm aus der Wäsche. In einer Stunde wird es dunkel, zurück können wir schon allein aus Eitelkeit nicht.

Zum Glück gibt es im Talkessel eine kleine Schutzhütte, die jetzt einsam und verlassen aus dem Schnee ragt. Die ersten Versuche, die Räder über den Schnee zu schieben, scheitern kläglich. So landen Hänger und Bike auf dem Boot, und wir ziehen unsere Siebensachen hinter uns her zur Hütte. Nachdem wir erst mal in unserem kleine­n Refugium hocken und die nassen Kleider über dem Feuer trocknen, finden wir die Aktion dann doch ganz cool. Sind das denn nicht genau die Abenteuer, die wir auf unserer Reise erleben wollten?

Am nächsten Morgen klingelt um halb sechs der Wecker. Ein Blick aus dem Fenster und ich möchte mich am liebsten wieder im Schlafsack verkriechen: Eine dichte Nebelsuppe hüllt die Welt in konturloses Grau. Einzig an den Spitze­n der Schneestangen, die als Fahrbahnbegrenzung dienen, können wir uns orientieren und so dem Verlauf der Straße Richtung Tal folgen.

Eingenässt und abgewiesen

Schon wenige Tage später sind die Mühen der Passüberquerung von Tausend neuen Eindrücken verdrängt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt seit unserem Start in Cannes an der Côte d’Azur erst eine Woche vergangen ist, kommt es uns vor, als seien wir bereits seit Monaten unterwegs. Keine Windschutzscheibe zwischen uns und der Natur, mit unseren Gespannen fallen wir auf und kommen überall ins Gespräch. Fällt das Treten mal wieder besonders schwer, dauert es nie lange, bis uns vom Straßenrand die Anfeuerungsrufe der radsportver­rückten Franzosen neue Kraft verleihen. Olaf hat noch eine zusätzliche Taktik, die ihm das Radeln leichter macht: Er verliert einfach all seine Sachen. Mal ist es die Regenjacke, dann die Sonnenbrille, ein T-Shirt, eine einzelne Socke oder auch der kleine Backup-Kocher. Eine ganz eigene Umsetzung des Leicht­gewichts-Trends. Olafs Erklärung: »Zu viel Besitz ist Gift für einen freien Geist.«

Frankreich verwöhnt uns mit strahlendem Sonnenschein, doch leider haben durch die starke Schneeschmelze fast alle Flüsse auf unserer Liste zu viel Wasser. Bis auf Var und Guil ist erst mal nicht viel mit Paddeln. Wieder treten wir die Flucht nach vorn an und pedalieren Italien entgegen. Vorbei an Brianço­n geht es über den Col d’Echelle nach Bardonecchia. Auf halber Strecke nach Turin­ fängt es an zu regnen. Und es hört für eine Woche nicht auf. In Sachen Bekleidung sind wir perfekt ausgerüstet, doch bei dem Wetter ist selbst die Unterhos­e irgendwann völlig durchnässt. Weil unsere Gebete nach einer Regenpaus­e nicht erhört werden, lassen wir das Piemont links liegen und hoffen auf ein freundliches Mikroklima am Lago Maggiore. Wieder nichts. Dafür laufen wir ein paar Freunden aus Augsburg über den Weg. Kurzerhand zecken wir uns bei ihnen in der Ferienwohnung ein und gehen ein paar Tage zusammen paddeln. Auf den Oberläufen von San Giovanni, Cannobino und Basso machen wir endlich auch mal ein paar Höhenmeter bergab in unseren Kajaks.

Pünktlich zu unserer Ankunft im Verzasca-Tal lacht dann auch wiede­r die Sonne vom Himmel. Der Tessin-Klassiker zaubert uns mit türkisblauem Wasse­r und einem perfekten Pegel ein Grinsen ins Gesicht. Doch jetzt, wo die Freunde mit dem Auto weg sind, haben wir wieder das alte Problem: Nach dem Paddeln müssen wir zurück zu den Rädern. Unsere naive Vorstellung vor der Tour war, dass wir kurz den Daumen raushalten und ruckzuck zurüc­k zum Einstie­g trampen würden. In der Realität schrecken drei halb­nasse und halbnackte Männer die meisten Autofahrer wohl doch zu sehr ab. So jogge­n wir nach dem Paddeln das Tal wieder hoch zu unseren Fahrrädern.

(c) Jens Klatt www.jensklatt.com

»Wie viele Kalorien wir im Sattel und im Boot verbrennen, können wir nur erahnen. Was wir jedoch jeden Tag in uns hineinschaufeln ist beeindruckend bis beängstigend.«

Wie viele Kalorie­n wir so verbrennen, können wir nur erahnen. Was wir jedoch jeden Tag in uns hineinschaufeln, ist beeindruckend bis beängstigend. Irgendwann beschließe­n wir, vor jedem Einkaufsstopp erst den gröbsten Hunger zu stillen, damit wir dann im Supermarkt nicht völlig die Nerven verlieren. Leider geht diese Taktik nur selten auf. Unser Höhepunkt der Völlerei ist sicher der »Mittagssnac­k« in Barcelonnette, bestehend aus einem Laib Brot, einem Camember­t, einer Tüte Schoko-Croissants, einem Bergkäse, einer Salami, eine­m Grillhähnchen und einer Familienpackung Snickers-Eis. Ungefäh­r in dieser Reihenfolge. Und bevor jetzt jemand zurück zur Einleitung blätter­t: Ja, wir waren nur zu dritt unterwegs. 

Winterpause im Juni

Vom Tessin führt unsere Route hinüber nach Graubünden, allerdings steht dabei der Lukmanierpass im Weg. Zwischen unserem Startpunkt Biasca und der Passhöhe liegen über 1700 Meter Höhendifferenz. Doch nach inzwischen drei Wochen im Sattel strotzen unsere Oberschenkel nur so vor Kraft, und aus dem Respekt vor Höhenmetern ist längst Lust auf Höhenmeter geworden. Mit Musi­k aus dem iPod im Ohr erklimmen wir Kurve um Kurve. Bis irgendwann wieder gefrorenes Wasser vom Himmel fällt. Na klasse. Oben am Pass versuche ich, meinen Namen in den Schnee zu pinkeln, nicht mal das klappt. Der Wetter­berich­­t für die nächsten Tage sagt vier Grad und Schneeregen in Graubünden voraus. Und das Anfang Juni. Wir kapitulieren und beschließen, eine Winterpause einzulegen. Schade, denn gerade waren wir so richtig drin in der Tour, sowoh­l körperlich als auch mental.

Nach der zwölftägigen Zwangspause erleichtert uns Graubünden die Rückkehr in unser Alpenprojekt: An Vorderrhein und Inn lädt die Rhätische Bahn nach dem Paddeln ein zum anstrengungsfreien Shutteln zurück zu den Räder­n. Manchmal steigen wir gar samt Kajak in den Zug, um zum Einstieg zu gelangen. Doch zwischendrin kommen wir freilich auch wieder ins Schwitze­n: Ein paar Stunden vor dem Peloton der Tour de Suisse quälen wir uns über den Albulapass hinüber ins Inntal, sogar der Tourteufel kommt uns entgegen­gelaufen. Erst will ich für ein Erinnerungsfoto anhalten, doch der Typ redet so wirres Zeug, dass ich lieber einen Zahn zulege und nur ein schnelles Foto von hinten mit dem Handy schieße. Nicht, dass der Kerl mich noch mit seinem Dreizack aufspießt.

Wie es scheint, hat in der Pause auch die Superkompensation eingesetzt: Wir fühlen uns fitter denn je, reißen Kilometer auf dem Rad und im Kajak auf dem Inn runter, und bevor wir uns versehen, sind wir schon im Ötztal. Wo mir dann auf dem Radweg in Höhe des Brunnauer Wehrs prompt die Lampe ausgeht. Entweder habe ich diese Superkompensation doch überschätzt oder ich war einfach zu lange in der Sonne. Die brennt nämlich ordentlich vom Himmel und lässt das Thermometer an der 40-Grad-Marke kratzen.

(c) Jens Klatt www.jensklatt.com

»An Vorderrhein und Inn lädt die Rhätische Bahn nach dem Paddeln ein zum anstrengungsfreien Shutteln zurück zu den Rädern. Manchmal steigen wir gar samt Kajak in den Zug.«

Das Wetter spielt ganz schön verrückt auf dieser Tour: Mal werden wir vom Schnee gestopp­t, dann wieder zergehen wir wie Butter in der Pfanne. Irgendwas in der Mitte wäre nicht schlecht. Kann man da nichts machen, lieber Petrus? Kann man nicht. Aber wir wollen nicht klagen, keine Wolke am Himmel, und die Ötz rauscht mit ordentlich Wumms zu Tale. Schon Slalomstrecke und Untere sind ein wilder Ritt, noch sportlicher wird es auf der Oberen Ötz. Entspannter ist da das ausgiebige Meilensurfen auf der neuen Innwelle in Silz.

Wer sein Fahrrad liebt …

Uns zieht es jedoch weiter das Tal hinauf, mit dem Timmelsjoch wartet der höchste Punkt unserer Alpenrunde auf uns. Natürlich werden wir auch hier, auf 2509 Meter Höhe, gefragt, wo wir denn herkommen. Die Antwort »aus Cannes« ruft meist nur verständnislose Blicke hervor. Der Zusatz »Côte d’Azur« sorgt für eine kurze Denkpause, die mit zunehmendem Streckenverlauf imme­r länger wird. Viele sind beeindruckt von unserer Reise, genauso viele erklären uns jedoch für verrückt. Allerdings geben wir auch ein komisches Bild ab, wie wir im kleinsten Gang die Berge hochschleichen und oben stolz verkünden, wir radeln von Cannes nach Venedig. Die ganz witzigen Touris merken an, dass es doch auch einen kürzeren Weg von da nach dort gäbe – am Meer entlang und ohne Berge. Haha.

Doch viel Zeit, um mit diesen Schlaumeiern über Sinn und Unsinn unserer Unternehmung zu diskutieren, haben wir ohnehin nicht. Bei der Abfahrt nach Südtirol lassen wir es krachen – das heißt Olaf und ich. Jens’ Hinterradbremse hat den Geist aufgegeben, und so kann er im Schneckentempo und mit vielen Pausen die beeindruckende Landschaft noch mehr genieße­n. Neben ein paar »Platten« und abgewetzten Bremsbelägen soll das die einzige größere Panne auf den insgesamt 2000 Kilometern bleiben.

Zwar überzeugt Südtirol landschaftlich und kulinarisch, doch leider verfolgt uns weiterhin das Pech mit den Wasserständen. Passerschlucht? Zu viel. Reinbachwasserfälle? Grenzwertig. Rienzschlucht? Aufgabe nach 300 Metern aufgrund Unkenntnis und eines geschätzten Pegels von 120 Kubik. Also schnell rüber nach Osttirol. Moment, wo ist der Fehler im letzten Satz? Genau, schnell sind wir nicht. Wir haben uns das Klammljoch ausgesucht, um hinüber ins Defereggenta­l zu kommen. Gut ausgebaute Asphaltstraßen mit Steigungen bis neun, zehn Prozent sind okay, darüber hinaus werden lange Rampen zur Quälerei.

Die Schotterpiste, auf der wir jetzt fahren, windet sich mit bis zu 16 Prozent hinauf zum Joch. Beugt man sich nicht weit genug über den Lenker, steigt das Vorderrad hoch, übertreibt man es, dreht das Hinterrad durch. Also heißt es schieben und möglichst wenig über die gut 400 Höhenmeter nachdenken, die noch vor einem liegen.

Darüber, wo wir die Nacht verbringen, müssen wir uns aber sehr wohl Gedanke­n machen – die Schieberei hält ganz schön auf. Zum Glück gibt es unterhal­b des Jochs die Knuttenalm. Wir kehren ein, machen der Hüttenwirtin schöne Augen, und schon steht nicht nur ein Gratisschnaps auf dem Tisch, sonder­n wir haben auch ein Bett im Matratzenlager. Vielleicht war es auch nur Mitleid aufgrund der schweren Gespanne. Egal, Hauptsache schlafen! 

Watch

Am nächsten Tag sind wir in Osttirol, dem Heimatrevier von Hans Mayer. Er hatte uns schon zum Startpunkt in Cannes gefahren, weil er geschäftlich nach Nizza musste. Und auch jetzt kümmert er sich bestens um uns: Zusammen starten wir beim weltweit höchstgelegenen Drachenbootrennen auf dem Obersee, feiern meinen 30. Geburtstag und paddeln auf Isel und Drau. Danke, Hans! Beim La-Ola-Shop in Lienz kauft Jens sich noch neue Ohrenstöpsel. Wie er sagt fürs Paddeln – ich vermute aber, dass ihm Olafs Schnarcherei doch den Schlaf raubt. Denn auch die Nächte verbringen wir meist eng aneinander­gekuschelt unter dem kleinen Tarp. Wenn bei so viel Nähe die Stimmung mal zu kippen drohte, führten wir uns schnell vor Augen, welch ein Privileg wir mit dieser Tour genießen: Anstatt daheim am Schreibtisch zu hocken, radeln wir durch die Alpen, gehen Boot fahren und trinken Bier am Lagerfeuer.

Endlich Urlaub

Auf dem Weg nach Slowenien wird uns jedoch klar, dass auch diese Tour ein End­e hat. Ein letztes Mal werden wir hier unsere Wildwasserkajaks für ihren eigentliche­n Zweck gebrauchen, danach warten nur noch die Kanäle Venedigs. Umso mehr genießen wir das Paddeln im smaragdgrünen und kristallklaren Wasser der Soča. Obwohl der Pegel eher dürftig ist, setzen wir ganz oben in der Koritnica ein und paddeln alle Abschnitte bis ans Ende der Abseilstrecke in eine­m durch. Danach sind die Arme zwar müde, doch jetzt, wo sich die Reise dem Ende zuneigt, wollen wir das Paddelzeitkonto noch ein wenig aufbessern. Obwohl im Mittelpunkt dieses Trips ohnehin nicht die höchsten Wasserfälle und das schwerste Wildwasser standen, sondern die Entdeckung der Gelassenheit, das Reisen aus eigener Kraft und das Gesamterlebnis Alpen.

So machen wir uns mit vollen Speicherkarten und unvergesslichen Erlebnissen im Gepäck auf den Schlussspurt nach Venedig. Bevor wir in den Trubel der Stadt eintauchen, wollen wir noch eine Nacht am Meer verbringen. Als wir in Cáorle ankommen, trifft uns jedoch fast der Schlag: Hotelbunker, am Strand unförmige Menschen Haut an Haut gedrängt und ob des Sardinen-Feelings schlecht gelaunte Touristen, wohin man auch blickt. Die Krönung ist aber unser tschechischer Campingnachbar: Bei laufendem Motor hockt der in seinem Auto und säuft Dosenbier. Auf Nachfrage, ob er nicht den Moto­r abstellen könne, antwortet er vollkommen ernst: »Das geht nicht, dann läuft die Klima­anlage nicht.« Na, schönen Urlaub noch.

Wir verschwinden und sind froh, als wir in Venedig endlich wieder in die Kajaks steigen und so den Touristenströmen entgehen. Die Wildwasserboote sind perfekt, um die Stadt vom Wasser aus zu erkunden. Wir sind deutlich wendige­r als in einem Seekajak und daher auch den unzähligen Gondolieri kein allzu großer Dorn im Auge. Auf dem Canal Grande und Dutzenden kleine­n Wasserstraßen genießen wir das Flair der geschichtsträchtigen Lagunenstadt. Erst der Kellner am Markusplatz, der elf Euro für ein kleines Bier aufruft, holt uns unsanft in die Gegenwart zurück.

Und dann ist auf einmal Schluss. Wir stehen am Bahnhof von Mestre und warten auf den Nachtzug nach München. Während der Fahrt im überfüllten Wagon wünsche ich mich oft zurück in den Sattel. Wie viel schöner wäre es, sich jetzt den Fahrtwind statt die Ausdünstungen des Nebenmanns um die Nase wehe­n zu lassen? Doch schon ein paar Stunden später hat mich die Bequemlichkeit der Zivilisation wieder fest im Griff: Anstatt zu radeln, nehme ich von München den Zug heim nach Augsburg. Willkommen zurück in der Realität.


Info: Mit Bike & Boot von Cannes nach Venedig

5 Länder, 2000 Kilometer, 22.000 Höhenmeter, 52 Tage im Sattel und im Boot. Viel intensiver als mit Fahrrad und Kajak kann man die Alpen nicht bereisen. Radeln, wohin man will, schlafen, wo man umfällt, und paddeln, was das Zeug hält.

Die Strecke
Von Cannes über die Route Napoleon durch die französischen Seealpen, durchs Durancetal, vorbei an Briançon nach Italien. Von dort am Lago Maggiore durchs Tessin zum Vorderrhein nach Graubünden, weiter über den Albulapass Richtung St. Moritz und das Inntal abwärts nach Tirol. Durchs Ötztal übers Timmelsjoch, durch Süd- und Osttirol und letztendlich über Slowenien zurück ans Mittelmeer nach Venedig.



Die Pässe
Col de la Cayolle (2327 m), Col d’Echelle (1766 m), Lukmanierpass (1915 m), Albulapass (2315 m), Timmelsjoch (2509 m), Jaufenpass (2094 m), Klammljoch (2288 m), Gailbergsattel (981 m), Predilpass (1156 m).



Warum?
Alle reden über Klimawandel, Burnout und Globalisierung. Doch wie weit kommt man aus eigener Kraft? Kann man auch mit dem Kajak im Gepäck CO2-neutral reisen? Schafft man es, dem Alltag zu entfliehen? Bike2Boat ist ein Plädoyer für die Entschleunigung.

Wann?
Natürlich am besten zur Schmelze im Frühjahr. Doch die Alpen sind groß, die Strecke lang und die Reviere unterschiedlich. Wie immer gehört ein bisschen Glück dazu, um optimale Pegel zu erwischen.

Mehr
Auf www.bike2boat.eu gibt es mehr Bilder und Trailer zum Projekt. Aktuell steht das Team in den Startlöchern für eine Neuauflage – im Juli steigen Olaf Obsommer, Jens Klatt, Adrian Mattern und Bren Orton wieder mit dem Kajak auf dem Anhänger in den Sattel.

Text: Philip Baues
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