Pura Vida in Costa Rica

Auf kleinem Raum wuchert Costa Rica mit betörender Natur. Die Seele des Landes ist jedoch noch viel mehr in den kleinen Gesten zu finden.

Hans-Peter Schaub

Vorhang auf am Arenal. Im Minutentakt erhellen Blitze wie ein schlaftrunkenes Stroboskop einen selbst im Dunkeln noch ziemlich mystisch dampfenden Wald. Im weißen Schlaglicht staffeln sich tropische Baumsilhouetten scherenschnitt­artig im ansteigenden Gelände hintereinander. Die Bühne begrenzt von einem Vulkankegel, der im Hintergrund schemenhaft alles einnehmend thront. Regen prasselt ohrenbetäubend aufs Dach der Restaurantterrasse. Wird man womöglich noch samt Restaurant weggeschwemmt? Der Kellner lächelt entspannt und übertönt den nächsten Donnerschlag mit einem bestimmten »Pura vida!«. Aha, also alles ganz gechillt. 

Dieses »Pura vida« ist so eine Sache, es gehört zu Costa Rica wie der Regenwald und die Vulkane und liest man darüber, klingt es, als sei diese Redewendung eine Umarmung für ein Bündel von positiven Lebensgefühlen. Das ist sie sicher, aber irgendwie noch mehr. Und dieses Mehr liegt kaum greifbar – geschweige denn, dem Verstand zugänglich – ätherisch in der Luft. Du kannst es einfach nur fühlen, in dich aufnehmen, loslassen, und irgendwann trägt es dich förmlich. Was haben wir uns nicht alles für dieses kleine Land mit gefühlt einer Million Vulkanen, hunderttausend Klima­zonen, überbordender Artenvielfalt vorgenommen. Die Reise­führer beschwören die grenzenlosen Möglichkeiten von Zipline-Nervenkitzel, Adrenalin-Rafting und Komm-dir-selbst-nahe-Yoga, denen nur das Abreisedatum im Weg steht. Am Ende sind wir einfach im »Pura vida« hängen geblieben. 

Ingo Hübner

Vom Rio Celeste zu den Stränden von Nosara – der Kontrast aus Dschungel, Bergen und Meer macht Costa Rica so einzigartig.

Costa Rica: Kaffee direkt von der Plantage

Das geht schon beim Frühstück los. Schokoladig verführerisch schwebt dir der Kaffeedampf in die Nase. Der ist so verdammt gut, scheint irgendwie noch mal einen Riesenunterschied zu machen, wenn die Kaffeebohnen vom Hang nebenan stammen. Luiz schenkt mit einem wirklich überaus breiten Grinsen nach. »Ist das deine Frau?«, fragt er fast beiläufig. »Ja, aber wir sind nicht verheiratet.« »Mann, hast du ein Glück! Pura vida!« Sein lächelnd entwaffnender Blick wechselt zu etwas Verheißungsvollem, das zu sagen scheint: »Geh schnell los und besorg einen Verlobungsring.« Und er weiß, wovon er spricht: Wahrscheinlich um jugendliche 70 herum, besitzt er einfach das Quäntchen Gewissheits-Bauchgefühl-Lebenserfahrung mehr. Dann hat sich der Mann, etwa einen Kopf kleiner als meine Freundin, auf einen Stuhl gestellt, um sie beim Abschied so herzlich zu umarmen, dass einem vor Rührung die Tränen hätten kommen können. 

Naturwunder in Türkis

Sehr plakativ geht der Vulkan Tenorio vor, um von sich reden zu machen, und natürlich ist der Halbrühr­ungsmodus nach drei Tagen langsam vorbei. Den Rio Celeste, der sich an seinem Fuße durch den Regenwald schlängelt, speist er unterirdisch mit Schwefel und Kalziumkarbonat. Klingt technisch, führt aber zu einem fantastischen Ergebnis: Schwer türkisfarben fließt der Rio Celeste gemächlich durch eine üppige Kulisse und stürzt sich schließlich weithin donnernd über dreißig Meter in ein fast kreisrundes Becken. Selbst für die Einheimischen ist dieser Ort ein ganz besonderer in diesem an Naturwundern reichen Land: Über die Entstehung der Flussfarbe geht die Geschichte, dass Gott beim Malen des Himmels seine Pinsel im Rio Celeste auswusch. Du läufst dann so verzückt durch dieses schwüle Gesamtkunstwerk, dass es dir gar nicht mehr so besonders vorkommt, als da plötzlich ein Nasenbär vor dir auf dem Weg rumwuselt.

Es tut sich wirklich ziemlich viel im Wald, vor allem nachts und vor allem geräuschvoll. Wir sind nur wenig­­e Minuten mit Guide Juan unterwegs, als ein knochen­durchdringendes Geräusch, einem unheimlich stark saugenden Abfluss ähnlich, die Dunkelheit zittern lässt. Vorige Nacht war unser erster Tipp, etwas sei mit der Klospülung im Hotelzimmer nicht in Ordnung. »Doch der Brachiallaut stammt vom Brüllaffen«, sagt Juan. Einfache Ansage: Das ist mein Territorium. Bis zu fünf Kilometer weit sind ihre Brüller zu hören, nur Elefanten können lauter. Juan schreitet voran, den Lichtstrahl seiner Taschenlampe mal hierhin, mal dorthin schwenkend. Die Nacht ist jetzt allumfassend. An einer Pflanze mit kleinwagengroßen Blättern bleibt er stehen und sucht sie ab. Da, ein Rot­augenlaubfrosch. Im Licht wirken seine knalligen Farben fast schon psychedelisch. »Der kann auch quaken, nur nicht ganz so laut.« Und dann: »Pura vida!« Was diesmal wohl so viel heißt wie: Genießt seinen Anblick.

Beste Reisezeit für Costa Rica

Costa Rica besitzt wirklich unzählige Vulkane und immer fühlt es sich anders an, in der Nähe von einem zu sein. Rincón de la Vieja ist der nächste auf dem Trip durch die zentrale Bergkette. Ein Kegel ist auf dem Weg durch den Nationalpark nicht auszumachen, dafür glänzt der Vulkan mit so was wie Erkenntnis – voraus­gesetzt, du suchst – und mächtig Gestank nach faulen Eiern. Tiefer kannst du nämlich dem Kreislauf des Lebens, dem endlosen Werden und Vergehen, kaum ins Auge blicken. An den Aussichtspunkten bricht das Leben in Hülle und Fülle aus dem Boden hervor, Pflanzen wuchern in HDR-Grün um die ­Wette, und gleich daneben gluckst das heiße, jedes Leben verzehrende Schlammloch und speit warme Schwefel­dämpfe. Wenn dich der Geruch nicht umhaut, dann vielleicht dieses unmittelbare Nebeneinander von Schöpfung und Zerstörung. Ein erhebendes Gefühl – und irgendwie ein Schlag der Erkenntnis in die Magengrube. 

Aslihan Özdemir & Ingo Hübner

Was genau mit einem an so einem intensiven Ort passiert, darüber lässt sich vortrefflich in den nahen Thermalquellen sinnieren. Natürlich speist sie der Vulkan und tut mit schwefelhaltigem Wasser auch noch was für deine Gesundheit. Und wenn du nach der Ganzkörperschlammpackung und dem träge machenden Warmwasserpool ganz langsam in den erfrischenden Fluss wankst und die Tukane in der sanften Dämmerung singen hörst und dich langsam in die Strömung legst und den wunderschönen Regenwald registrierst, dann wähnst du dich im Paradies. Und irgendwer flüstert dir ins Ohr »Pura vida«.

Du wähnst dich im Paradies. Und irgendwer flüstert dir ins Ohr: »Pura vida«.

Es gibt natürlich noch eine Steigerung zum Paradies: sich das Paradies zu erarbeiten. Das macht es umso faszinierender und unwirklicher. Keine Costa-­Rica-Reise ist komplett ohne eine nette Fahrt auf Pisten abseits geteerter Straßen. Du kommst zwar immer an, weißt aber bis dahin meist nie so genau, wo du bist. Unsere war die Fahrt nach Nosara an der Pazifikküste. Dem Ruf der Strände Playa Guiones und Playa Pelada folgend. Knapp vier Stunden für 30 Kilometer durch die Berge, hoch, ­runter, wieder hoch. Endlos durchgerüttelt mit sagenhaften Ausblicken auf den Pazifik und unberührte, in grünes Plüsch gehüllte Staffeleien von ­Bergrücken. 

Gut gerüstet in den Urwald Costa Ricas

mit Globetrotter

      Lagarta Lodge – ein Paradies mit Ausblick

      Nosara ist eine lose Ansammlung von Schotterstraßen, Surfer- und Souvenirshops, hippen Restaurants mit obligatorischen Craft-Bieren und Motorradfahrern mit Surfbrett oder der Familie vor sich auf dem Tank. Das eigentliche Paradies liegt etwas oberhalb des ­Ortes und nennt sich Lagarta Lodge und genau genommen ist das Paradies der Ausblick von dort oben. Vor allem, wenn du im Infinity Pool über ihm zu schweben scheinst. Bewaldete Hügelketten schieben sich an ­einen langen, leicht gebogenen Strand mit schwarzem Sand heran. Im Vordergrund mündet ein Fluss ins Meer. Du kannst tagelang der pazifischen Brandung zuschauen und zuhören, kannst die Regenzeit regelrecht erfühlen. Sie hüllt den Tag in eine unvergleichliche knisternde Atmosphäre, die minütlich an der Spannungsschraube dreht.

      Aus den Tiefen des Waldes summt und brummt es, als ob in ihm lauter Hochspannungstransformatoren kräftig am Umspannen wären. Bis sich alles in einem Donnerschlag entlädt und der Himmel seine Schleusen öffnet und sich die Welt wieder ganz entspannt zurücklehnt.

      Eine filmreife Flussüberquerung

      Einige – Olivbastardschildkröten nachts am Strand im Vollmondschein beim Laichen zuschauen, auf schaukelnden Hängebrücken im Nebelwald nach ­Fetzen greifen und im Pazifik in der Nähe von kalbenden Buckelwalen schwimmen – Tage später, naht der Abschied. Ganz entspannt und nur 100 Kilometer zum Flughafen. Sieben Stunden bis zum Abflug. Nach einer Stunde Fahrt hat uns das Navi zu einer filmreifen Fluss­überquerung im Niemandsland gelotst – was folgt, ist eine ausgewachsene Four-Wheel-Drive-Piste, auf der es kein Zurück gibt. Erlebnisfaktor: unbezahlbar. Am Rande beschleicht mich der Gedanke, dass das ein merkwürdiger Weg zum Flughafen ist.

      Nach fünf Stunden Fahrt beschleichen mich keine Gedanken mehr, nur noch die Gewissheit, dass wir den Flug­hafen niemals finden. Nach sechs Stunden stehen wir zumindest im Stau in San José und der Flughafen ist nur noch fünf Kilometer entfernt. Das Navi gibt auf. Die Freundin bittet einen Mann am Gehsteig um Hilfe. Hernán heißt der Retter, steigt wie selbstverständlich ins Auto ein und lotst uns gerade noch rechtzeitig ans Ziel. Unterwegs der Multitasker am Telefon: Hernán versucht die Polizei zur Hilfe zu bewegen und den Abflug zu verhindern. In der Abflughalle umarmen wir uns – Adrenalin und tiefste Dankbarkeit überfluten mich. Vor ein paar Tagen schrieb er: Wir hätten sicher dasselbe für ihn getan und einen neuen Freund in Costa Rica. Was soll man dazu sagen? Pura vida!

      Ingo Hübner