Radeln auf dem Pamir-Highway

Basislager

Es ist Anfang September und hinter uns liegen bereits 6 Monate Radreise. Seitdem wir Hamburg im März verlassen haben arbeiten wir eigentlich nur auf den vor uns liegenden Abschnitt der Reise zu. Nicht weil wir alles davor langweilig fanden, nein, sondern weil uns alles davor im Vergleich so einfach, ungefährlich und planbar erscheint als das, was uns hier in Tadjikistan erwartet.

Im Greenhouse Hostel in Dushanbe herrscht Basislager-Atmosphäre. Ross bezeichnet den Pamir-Highway als den Mt. Everest für Radfahrer als wir am Abend im Hof des Hostels sitzen. Er und seine Freundin Alessia sind in London gestartet und auf dem Weg nach Australien. Auch sie wollen über die M41 vom tadschikischen Dushanbe nach Osh in Kirgistan fahren. Ca. 1300km und etwa 16.000 Höhenmeter warten auf sie und auch auf uns.

Es ist heiß und sonnig als wir die Stadt zusammen mit den beiden in Richtung Osten verlassen. Unsere Räder sind schwer bepackt. Wir haben das komplette Paket. Zwei Taschen am Gepäckträger, ein Rackpack obendrauf, eine Lenkertasche und zwei Frontroller. An den hinteren Taschen haben wir sogar noch Extensions für die Benzinflasche und den Kocher. Seit Dushanbe fahren wir außerdem jeweils etwa 3kg zusätzlich mit uns herum. Unsere Familie hat uns auf dem Postweg mit deutschen Köstlichkeiten beglückt, die uns die Pausen versüßen, das Radeln aber umso schwerer machen.

Wir treffen Birk und Lucas am Straßenrand im Schatten eines Baumes. Halb liegend, halb sitzend. Die beiden sind extra von Deutschland nach Dushanbe geflogen, nur um den Pamir-Highway zu beradeln und kämpfen gerade gegen ihren Jetlag an. Wir beneiden die beiden um ihr leichtes Gepäck.


Nord- oder Südroute

Von Dushanbe gibt es zwei Varianten um zunächst nach Khalaikum zu gelangen. Wir haben uns für die Nordroute entschieden und damit für den anspruchsvolleren Weg, der allerdings mit traumhafter Landschaft entschädigen soll.

Die ersten Tage bleibt es heiß. Der Untergrund wechselt von Asphalt zu Schotterpiste und wir treffen auf den Wachsch. Der Fluss speist den Amudarja und hier und da wird das Flussbett so breit und tief, dass wir uns fragen ob hier jemals so große Wassermassen entlang strömen um es auszufüllen oder ob diese Zeiten längst vorbei sind. Es ist zumindest so viel Wasser, dass hier seit Jahrzehnten ein Staudamm geplant und gebaut wird. Im November 2018 wurde hier der Rogun-Staudamm teilweise eröffnet. Die erste Turbine nahm damals den Betrieb auf und zukünftig soll das Kraftwerk die Energieknappheit im Land beenden. Sogar Stromexporte an die Nachbarländer sind geplant. Das ganze Vorhaben war und ist umstritten, da es zu vielen politischen und sozialen Problemen führt. Usbekistan fürchtet um die Bewässerung großer Baumwollplantagen und in der Gegend selbst müssen tausende Menschen umgesiedelt werden.

Wir blicken eine Weile auf die gigantische Baustelle und beobachten das Treiben bevor wir den Wachsch an einer breiten Stelle über eine große Stahlbrücke überqueren. Wir folgen nun einem seiner Nebenflüsse, dem Obichingou.

Hin und wieder müssen wir an Checkpoints anhalten an denen unser Visum und unser GBAO-Permit geprüft wird. Die Soldaten tragen unsere Daten meistens per Hand in ein großes Buch ein und lassen uns dann passieren. Manchmal kann man dabei einen Blick darauf erhaschen um zu sehen, wer schon hier durch gekommen ist. Das GBAO-Permit ist eine spezielle Genehmigung für die Region Gorno-Badakhshan, die wir sehr einfach bekommen haben. Für uns reichte es einen zusätzlichen Haken bei der Beantragung des eVisums zu setzen und die entsprechende Gebühr zu bezahlen.


Hüttenpraxis

Am 4ten Tag müssen wir eine Pause in Tavildara einlegen. Lena ist krank und ziemlich geschwächt. Bislang hatten wir kaum Probleme mit unseren Mägen und allem was dazu gehört, doch hier geht es an die Substanz. Wir finden ein kleines Hotel, wo wir für 2 Nächte unterkommen. Es reicht um Kräfte zu sammeln, von “gesund” kann allerdings noch keine Rede sein. Als wir unseren Weg fortsetzen sind sowohl Ross und Alessia, als auch Birk und Lucas wortwörtlich längst über alle Berge. Wir sind wieder zu zweit unterwegs und jetzt liegt der erste, wirklich ernstzunehmende Pass vor uns.

Den Obichingou verlassen wir einige Kilometer hinter Tavildara und quälen uns die Schotterpiste hinauf. Immer wieder dreht das Hinterrad wegen der vielen losen Steine kräfteraubend durch. Es ist mühsam und teilweise sogar frustrierend. Wir treffen auf ein paar berittene Schafhirten, die ihre Herde bergab treiben. Hier und da ragen ein paar Esel aus dem Teppich voll dunkler Schafsköpfe heraus. Wir fragen uns immer wieder wieviel Radfahrer die Menschen hier wohl schon gesehen haben und was sie über uns denken.

Der Weg ist steinig, staubig und hinter jeder Kurve erblicken wir nur einen weiteren Anstieg mit noch einer weiteren Kurve. Wir verlegen das Mittagessen und stärken uns mit einem Snickers. Irgendwann hat der Anstieg ein Ende und wir erreichen den Khaburabot-Pass. Auf 3252m Höhe befindet sich hier die höchste Bushaltestelle der Welt. Ein Bus fährt hier allerdings schon viele Jahre nicht mehr. Der kleine Bau ist ein Relikt aus Zeiten der Sowjetunion und dient heute wohl nur noch als Fotomotiv. Uns ist er ein willkommener Windschutz, den wir dazu nutzen mal wieder ein paar Instant-Nudeln zu kochen. Wir sind froh darüber einen Multi-Fuel-Kocher mitgenommen zu haben, da es Benzin fast überall gibt. Das gibt uns die Möglichkeit nicht nur Instant-Nudeln sondern auch mal Kartoffeln zu kochen ohne uns Gedanken über den Treibstoff machen zu müssen.

Nach einer steilen Abfahrt und einer Nacht im Zelt erreichen wir Kalaikhum. Da es Lena noch nicht wirklich gut geht und wir uns langsam Sorgen machen, versuchen wir unser Glück im hiesigen Krankenhaus. Auf der Suche danach betreten wir ein kleines Grundstück mit ein paar Holzhütten darauf. Es wirkt wie ein Feriencamp, aufgeräumt und friedlich.

Wir betreten eine dieser Hütten und werden auf ein Bett gesetzt. Es ist eng. Unmittelbar vor uns steht eine Art Schreibtisch und mehrere Krankenschwestern verfolgen unseren Besuch interessiert. Die Kommunikation fällt schwer. Hände und Füße versuchen die Symptome zu vermitteln und kurz darauf bringt man uns in eine andere Hütte. Dort gibt es dann auch Stühle. Stefan versucht seine Oma anzurufen, weil sie russisch kann und viele hier russisch verstehen und sprechen. Doch Oma geht nicht an’s Telefon. Per Übersetzungs-App klappt es dann aber mehr oder weniger und Lena erhält die vielsagende Diagnose “Durchfall”. Die angebotene Injektion lehnt sie ab und bekommt stattdessen diverse Medikamente, die wir in einer weiteren Hütte abholen.

Wirklich schlauer fühlen wir uns nicht, den Medikamenten stehen wir skeptisch gegenüber und können nur hoffen, dass es nichts schlimmes ist und einfach nur eine Touristen-Magen-Darm-Irgendwas. Dank tadschikischer SIM-Karte und recht guter Verbindung klären wir noch kurz mit unserer medizinischen Korrespondenz zu Hause was Lena da eigentlich verordnet bekommen hat und ob das überhaupt sinnvoll ist.

Wir tauschen noch Dollar gegen die Landeswährung Somoni und verlassen die kleine Stadt. Der Ortsausgang ist eine kurze Linkskurve an deren Ende sich der Blick auf den Pjandsch (oder Panji) öffnet. Auch dieser Fluss versorgt den Amudarja mit Wasser und hier bildet er die natürliche Grenze zu Afghanistan.


An der Grenze zu Afghanistan

Eine reißende braune Brühe schießt ein paar Meter unter uns entlang. Und auf der anderen Seite? Afghanistan! Ein Land von dem wir aus den Medien, wenn dann eher negatives kennen, liegt nun zum greifen nah und scheinbar friedlich vor uns. Gerade mal 10 Meter trennen uns. Es ist nicht ganz einfach den Mix unserer Gefühle in diesem Moment mit Worten auszudrücken. Unsicherheit aber auch ein großes Interesse macht sich breit.

An der kleinsten Tankstelle, die wir je gesehen haben, versorgen wir uns noch mit Benzin für unseren Kocher und die kommenden 250km begleitet uns der Panji. Der Fluss verändert ständig seine Gestalt. Mal rauscht er ohrenbetäubend an uns vorbei und dann verteilt er sich in der Größe eines ruhigen Sees und fließt sachte vor sich hin. Die Schlucht, die der Fluss in die Landschaft gefressen hat, wird hier und da breiter und überall dort, wo es das Gelände zulässt befinden sich an beiden Uferseiten kleine Dörfer in denen beeindruckend viele Kinder herumlaufen. Die meiste Zeit jedoch ist es eng um uns herum. Links der Fels, rechts ein Abhang und unten das Wasser. Trotzdem erwartet uns hinter jeder Kurve wieder ein neuer Anblick.

Viele kleine Bäche kommen aus den Bergen und fließen über das was wir als Straße bezeichnen. Sie sind immer eine gute Gelegenheit um unsere Wasservorräte aufzufüllen, die wir dann noch mit dem Steripen (Wasserfilter) in Trinkbares verwandeln müssen. Die Straße ist inzwischen kein bisschen besser geworden. Wir wussten nicht, dass es so viele verschiedene Arten von Schotter gibt.

Nach 3 weiteren Tagen, in denen sich Lena glücklicherweise ganz gut erholt, kommen wir in Khorog an und steuern auf die Pamir Lodge zu. Es ist DAS Hostel für Pamir-Radler. Hier treffen wir Ross und Alessia wieder. Wir lernen Lien und Annelies aus Belgien und Jan aus Deutschland kennen. Es herrscht reger Austausch über Route, Erlebnisse und sogar Zahnbürsten sind Thema.


Bekannte Gesichter

Von Khorog aus starten wir in den “echten” Pamir. In den nächsten Tagen wird es nämlich noch einmal so richtig einsam und auch die Höhenlage ändert sich. Waren wir bislang vorrangig zwischen 1500m und 2000m unterwegs, so werden wir uns im folgenden Abschnitt eher zwischen 3000m und 4500m aufhalten. Wir machen uns mit dem Thema Höhenkrankheit vertraut und versuchen unsere Etappen entsprechend zu planen.

Drei Tage lang fahren wir zusammen mit Lien und Annelies Richtung Osten und entscheiden uns der M41 weiter zu folgen. Einige Radler wählen hier einen anderen Weg und fahren Richtung Süden, weiter entlang der afghanischen Grenze. Hier befindet sich das Wakhan-Valley, welches wir vielleicht beim nächsten mal erkunden werden.

Für uns geht es langsam aber stetig bergauf. Wir spüren die Höhe und die dünnere Luft. Alles wird etwas anstrengender und wir folgen wieder einem Fluss. Der Gunt versorgt das Tal mit Wasser und spendet der sonst sehr kargen Landschaft leben. Einige Baumgruppen schillern in den schönsten Herbstfarben und wir finden immer wieder grüne Flächen für unsere Pausen oder unser Zelt. Inmitten dieser spätsommerlichen Pracht ertönt irgendwann eine bekannte Stimme von hinten und ein schwer bepacktes Tandem rollt heran. Daniel und Antonia stehen plötzlich vor uns. Wir haben die beiden im Iran getroffen und sind begeistert davon, dass sie plötzlich hier auftauchen. Wie klein die Welt doch ist!

Trotz der vielen Radler, die wir hier treffen, wirkt der Pamir-Highway auf uns nicht touristisch oder überlaufen. Gerade die Möglichkeit dieses Abenteuer mit Gleichgesinnten teilen zu können macht diesen Reiseabschnitt so besonders für uns.

In Jelondy gönnen wir uns eine feste Unterkunft. Mitten im Nichts steht hier ein kleines Hotel. Dessen Highlight das darin befindliche Schwimmbad ist, welches von einer heißen Quelle gespeist wird. Zu unserem Erstaunen treffen wir Ross und Alessia hier wieder. Die beiden sind ohnehin schon ein Stück schneller unterwegs als wir und sogar einen Tag vor uns aus Khorog gestartet. Umso mehr wundern wir uns, sie hier zu treffen. Aber Ross hat Knieprobleme und hofft nach einem Ruhetag wieder fit zu sein.

Am nächsten Tag starten wir wieder zu sechst. Vor uns liegt der Koytezek-Pass. Doch weit kommen wir vorerst nicht. Auf einer Tür steht mit Kreide geschrieben das Wort “Shop” und das können wir einfach nicht ignorieren. Es werden nochmals Vorräte aufgefüllt. Butter, Eier, Snickers und Kekse wandern in die Taschen. Wieder geht es tausende Serpentinen bergauf. Jeder von uns bewältigt diese staubige und steinige Piste in seinem Tempo.

Oben angekommen fragen wir uns, wo hier eigentlich oben sein soll. Wir erreichen ein großes Plateau auf dem man den höchsten Punkt nicht ausmachen kann und beschließen einfach irgendwo, dass wir es jetzt geschafft haben. Der Wind treibt uns weiter und wir sausen wieder einige Höhenmeter hinunter in ein schönes, weites Tal. Es ist noch früher Nachmittag als wir entscheiden, dass es für heute genug ist und genießen mit Ross und Alessia im Windschatten die letzten Sonnenstrahlen. Wir beenden diesen Tag frühzeitig in unsere Schlafsäcke gekuschelt. Obwohl wir uns tagsüber immer wieder aus den Augen verlieren, damit jeder sein eigenes Tempo fahren kann, schaffen wir es in den folgenden Tagen immer ein gemeinsames Lager mit den beiden zu finden und verbringen die Abende zusammen.


Die Hauptstadt des Pamir

Wir passieren die Kreuzung an der die Route durch das Whakan-Valley wieder auf die M41 trifft. Auch wenn wir uns immer mal wieder gefragt haben, ob und wenn ja, was wir eventuell verpasst haben, wir sind mit der Wahl die M41 zu fahren, zufrieden. Dieser Highway ist mit all seinen Höhen und Tiefen einfach magisch und einzigartig.

In ​Alichur suchen wir uns eines der vielen Homestays aus und treffen dort auf einen netten Japaner, dessen Namen  wir uns leider nicht merken konnten. Er fährt seit der Türkei mit einem Fahrrad durch die Welt, dem wir überspitzt  gesprochen noch nicht einmal den Weg zum Büro zutrauen würden. Es ist faszinierend die vielen verschiedenen  Radler und deren Ausrüstung zu sehen.

Als wir Murghab erreichen haben wir einen fantastischen Tag hinter uns. Unglaublich starker Rückenwind lässt uns  förmlich durch die Landschaft fliegen. 110km an einem Tag! Das ist für unsere Verhältnisse extrem gut.   Während wir uns über die Abfahrt und den Rückenwind freuen, müssen ein paar Radler, die uns entgegenkommen  enorm kämpfen. Wir haben Mitleid und wollen auf gar keinen Fall tauschen.    

Murghab kann man in dieser Gegend schon als Großstadt bezeichnen. Es leben etwa 7000 Menschen hier. Aktuell  ist Murghab nicht an das Stromnetz angeschlossen und wer Elektrizität braucht, der muss diese mittels Solarzellen  oder Generator erzeugen. Wir bleiben 2 Nächte und entscheiden uns für die Luxus-Variante – das “Pamir Hotel”.  Diesmal ist es Stefan, der mit der Gesundheit zu kämpfen hat. Das Magen-Darm-Irgendwas hat ihn fest im Griff.   Lena besucht zusammen mit Ross und Alessia den hiesigen Markt, der im wesentlichen aus einer Ansammlung  aneinander gereihter Container besteht, als hätte man ein Schiff hier entladen und alles stehen gelassen. Einige der  Verkäufe finden auch in Jurten statt. Das Angebot ist überschaubar. Gemüse findet sich zwar, die meisten Produkte  haben ihre besten Zeiten aber schon hinter sich. Die Lebensmittelvorräte aufzufüllen war schon einfacher als hier.  Es gibt ein paar Moscheen und Denkmäler aus Sowjetzeiten zu bestaunen. Eine gut gepflegte, weiße Statue von  Lenin steht auf einem zwei Meter hohen Podest – die linke Hand am Mantel, die rechte Hand offen, wie zum Gruße in  die Luft gestreckt.  

Im Hotel gibt es recht gutes Essen und mit entsprechender SIM-Karte kann man hier sogar ein wenig im Internet  surfen. In den Zimmern ist es kalt und am Abend wird der Strom abgeschaltet. So viel Luxus gibt es hier oben dann  doch nicht.    

Als wir wieder aufbrechen ist Stefan noch nicht wieder auf der Höhe und es geht etwas langsamer voran, obwohl  uns der Wind auch diesmal kräftig anschiebt. Wir fahren Richtung Norden und damit auch auf die chinesische  Grenze zu. Hier und da stehen einige Kilometer Zaun, teilweise mit großen Lücken. Bewacht wird er hier offenbar  nicht.  

Hinter Murghab geht es zunächst bergab auf etwa 3500m Höhe. Hinter dieser Senke steht uns der Anstieg zum  Ak-Baital Pass bevor. Mit 4655m wird dies der höchste Punkt unserer Reise werden und trotz der Höhe ist der Weg  dorthin nicht wirklich anstrengender als die Pässe zuvor. Der Anstieg zieht sich auf gutem Asphalt sehr in die Länge und so machen wir einige Kilometer vor dem Pass halt um die Zelte aufzuschlagen. Es herrscht wieder  Basislager-Atmosphäre. Vier Zelte und alle bereiten sich seelisch auf den Gipfelsturm am nächsten Morgen vor.  Die Sonne lässt sich noch nicht blicken als wir in aller Frühe wieder die Taschen packen. Es ist bitterkalt, selbst als  die ersten Strahlen zwischen den Eisriesen um uns herum zum vorschein kommen. Die letzten 400 Höhenmeter haben es noch mal in sich. Teilweise müssen wir schieben, weil es dann doch zu steil  wird. Doch es dauert nicht lange und wir stehen auf unserem persönlichen Dach der Welt.    

Die Freude über die Abfahrt währt jedoch nicht lange. Die Straße besteht hier nur aus hintereinander gereihten  Bodenwellen. Eine Wellblechpiste erstreckt sich kilometerweit durch das Tal.  Jan hat Probleme mit den Speichen seines Hinterrades und wir beschließen den Tag hier, kurz hinter dem Pass  zusammen zu beenden.  Die Wellblechpiste begleitet uns am nächsten Tag noch eine Weile bevor wir wieder so etwas ähnliches wie eine  vernünftige Straße unter den Rädern haben. Umgeben von schneebedeckten Gipfeln sausen wir mit über 30km/h  durch die Landschaft. Der Wind lässt uns wieder einmal fliegen. In solchen Momenten vergisst man all die  Strapatzen und wir kommen aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Es ist einfach zu schön.   

Wenig später liegt er vor uns – der Karakul-See.   Die Straße zieht sich am östlichen Ufer zwischen der Grenze zu China und dem gleichnamigen Ort “Karakul”  entlang.  Der See hat keinen Abfluss. Einige Flüsse münden hier und das Wasser verteilt sich in einem weiträumigen Becken.  Er ist nicht sehr tief und viel Leben tummelt sich auch nicht darin. Angeblich gibt es nur ein paar winzige Fische hier,  die aber auch niemand fängt.

Inzwischen sind wir wieder 5 Radler und nach kurzer Suche bevölkern wir hier einen der Homestays. Alessia ist  diejenige, die nach einer warmen Dusche fragt. Zunächst wirkt es so, als wenn ihr dieser Wunsch nicht erfüllt wird,  dann aber wird irgendwie, irgendwo Wasser heiß gemacht. Um zum Duschraum zu gelangen muss man einmal über  den kleinen Hof laufen. Es gibt einen blau/weiß gestrichenen Vorraum mit winzigem Spiegel und einem Stuhl auf  dem man seine Sachen ablegen kann. Hinter einer sehr niedrigen Tür befindet sich dann der größere Raum zum  Duschen, mit Temperaturen wie in einer Sauna. Hier stehen 2 Eimer und eine Metallwanne auf einer Bank. Ein  Kasten mit einem Hahn in der Ecke ist wohl eine Art Boiler, in dem das Wasser mit hilfe von Feuer erhitzt wird. Es  gibt einen Eimer mit kochend heißem Wasser, der andere ist mit kaltem Wasser gefüllt. Eine angenehme  Temperatur kann man sich in der Blechwanne mixen und mit einer großen, roten Plastikkelle schaufelt man sich das  Nass über den Körper. Dumm nur, wenn man der letzte ist der Duschen geht und ein Problem bekommt, mit dem  man hier wohl nicht rechnen würde. Das kalte Wasser wird knapp und so wird das Mischen einer aushaltbaren  Temperatur zu einer echten Aufgabe. 


Langeweile an der Grenze

Kirgistan liegt in greifbarer Nähe. Am nächsten Tag wollen wir die Grenze überqueren. Doch es kommt anders als  geplant. Das Wetter wird schlechter und der Wind hat heute zum gegnerischen Team gewechselt. Wir haben kaum  noch Wasser und vor uns liegt ein heftiger Anstieg auf den letzten Pass vor der Grenze. Wir überlegen, was wir tun  sollen. Alle anderen haben uns überholt und wir sind nur noch zu zweit. Einige Senken im Gelände wirken  vielversprechend und sehen aus als könnten Sie einen guten, windgeschützten Zeltplatz abgeben, entpuppen sich  aber als genauso schlecht wie alles andere um uns herum. In der Hoffnung noch etwas besseres zu finden radeln wir weiter bis wir mal wieder auf Ross und Alessia treffen. Ihnen geht es nicht anders – kaum noch Wasser und  keine Kraft mehr dem unbeständigem Wetter zu trotzen, verharren sie im Zelt. Wir gesellen uns kurzerhand dazu. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Die Nacht ist wahnsinnig kalt und wir leihen uns noch den Unterbodenschutz des  Zeltes unserer Nachbarn um uns vor dem eisigen Wind zu schützen, der durch unser Zelt fegt. Wir beneiden die  beiden um ihr Zelt, dessen Außenwände bis auf den Boden reichen. Bei uns hingegen hat der Wind freie Fahrt. Unsere Daunenschlafsäcke sind auch am Limit und so frieren wir uns durch die windige Nacht.   

Ein letzter Anstieg und wir sehen die ersten Grenzgebäude. Einige Soldaten lungern zwischen Baracken und  Containern herum und sind wenig hilfreich als wir versuchen herauszufinden wo wir denn hin müssen um unsere  Pässe vorzuzeigen. Stefan irrt in der Ansammlung von Häusern und Garagen umher, spitzelt durch Fenster, aber  wird nicht gleich fündig. 

Irgendwann wird jedoch jemand auf uns aufmerksam. Wir sind hier noch auf der tadschikischen Seite und  bekommen den Ausreisestempel. Ein “Visa finish” wird uns entgegen geraunt, als der Beamte unsere  ausgedruckten eVisa einkassiert. Jetzt sind wir offiziell im Niemandsland. Weder Kirgistan noch Tadschikistan.   Die Vegetation sieht schlagartig anders aus. Viel grüner als noch wenige Meter zuvor. Wir alle frieren bei der  Abfahrt, eisiger Fahrtwind schneidet sich in die Haut und durchdringt Hand- und Fußschuhe.  Die Grenze zu Kirgistan lässt noch ein wenig auf sich warten, genauso wie das Personal dort. Auch hier ist uns nicht  recht klar wo wir vorstellig werden müssen. Wir schieben unserer Räder unter einer geschlossenen Schranke  hindurch. Das passieren einer internationalen Grenze sollte unserer Meinung nach anders ablaufen.  Wohl wissend, dass wir besser einen Stempel im Pass haben sollten, lassen wir uns erst einmal nieder und warten.  Wir klopfen an Türen und Fenster um uns bemerkbar zu machen. Viel scheint hier wirklich nicht los zu sein.  Irgendwann erbarmt sich eine verschlafene Gestalt und erledigt die Formalitäten. Kirgistan hier sind wir!   

Vor uns liegt Sarytash und eine Straße aus feinstem Asphalt. Wir gleiten dahin, suchen mit einigen Umständen eine  Unterkunft und ​feiern das Geschaffte. In den folgenden 2 Tagen überqueren wir noch einen Pass, schlagen unser Zelt noch einmal auf und erreichen schließlich Osh. Hier endet unser Pamir-Highway und wir gönnen uns eine ganze Woche Hostel-Aufenthalt bevor wir uns von unseren Weggefährten verabschieden um durch China Richtung Südost-Asien zu radeln.


Die gesamte Radreise Von Hamburg Nach Singapur

Unser Pamir-Highway bei Strava

Bildquelle: Stefan Miertschink

Text: Stefan Miertschink, Lena Miertschink
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