Vanlife: Ein Traum vom anderen Ende der Welt

Ein Traum vom anderen Ende der Welt. Mit dem Fahrtwind kommt Freiheit durchs heruntergekurbelte Fenster. Vanlife in Deutschland mit Franzi und Felix.

Hinter uns ziehen wir eine orange Staubwolke her, lenken den Bus zwischen Schlaglöchern durch eine unwirkliche Mondlandschaft. Die Luft ist heiß, schwer. Ich aber – ich könnte mich nicht leichter fühlen. Das Radio knistert Follow the Sun von Xavier Rudd.

So which way is the wind blowin’ –  And what does your heart say? – So follow, follow the sun … 

In Gedanken wiederhole ich die Frage aus dem Song, die Antwort kommt im selben Moment: Mein Herz sagt, dass das Leben hier und jetzt perfekt ist. Dass ich mir nichts Besseres vorstellen kann, als 6.500 Kilometer lang durch die dürre und leere Landschaft des australischen Outback zu kurven. Ich strecke meinen Arm durch das heruntergekurbelte Fenster in den Fahrtwind und versuche, die Freiheit mit den gespreizten Fingern einzufangen wie mit einem Netz. Wenn dieser Moment doch nur für immer bleiben könnte.

Seither bin ich süchtig. Nach kerzengeraden Straßen und unendlichen Weiten, nach kurvigen Bergpässen und Überraschungen hinter jeder Kurve. Nach der Freiheit auf vier Rädern und einem Zuhause immer dort, wo ich es gerade am meisten herbeisehne. 

Natürlich ist der Moment im Outback nicht für immer geblieben. Das aber ist eine gute Nachricht. Weil er viel mehr war als ein loser Moment: der Beginn eines Traums, wie ein Funken, den wir Jahre später gezündet haben. Denn damals in Australien, mit Xavier Rudd im Ohr und dem Fahrtwind in der Hand, hat ein großer Traum begonnen, der mittlerweile wahr geworden ist. 

Die Entscheidung fällt: Wir kaufen uns Freiheit 

Das australische Outback zu durchqueren war Teil Felix und meiner Weltreise. Felix, das ist mein liebster Weggefährte, mittlerweile sogar mein Mann, und natürlich so viel mehr als das. Und ich? Ich bin Abenteuerin, Autorin, immer auf der Suche nach wilder Freiheit und Momenten, an die ich mich auch später in meinem Schaukelstuhl noch erinnern kann. Diese Weltreise liegt Jahre zurück. Ihren Funken aber haben wir entzündet. An einem Abend vor Weihnachten, als wir zu Hause im Chiemgau im Schnee versunken sind und uns die warme Luft und endlose Landschaft Australiens am meisten gefehlt hat, ist der Entschluss gefallen: Wir kaufen einen Bulli. 

Entweder einen, der schon ausgebaut ist, den wir nur noch an unsere Bedürfnisse anpassen – oder einen, der ganz leer ist, den wir selbst von Grund auf verwandeln werden.  

»Wir würden einfach den nehmen, der sich richtig anfühlt.«

Ein paar grundlegende Entscheidungen 

Zwei Monate später hat unser Bauchgefühl entschieden. Zwischen dem Abend im Schnee, als wir die Entscheidung getroffen haben, einen Bus zu kaufen – und dem Vormittag im Frühjahr, als wir die Entscheidung getroffen haben, diesen Bus zu kaufen, lagen nur wenige Wochen. Lange genug für ein Gedankenchaos recht großen Ausmaßes.  Im Nachhinein kann ich es in ein paar relevante Fragen runterbrechen: 

  • Werden wir Vollzeit in unserem Bus wohnen? Nein. 
  • Werden wir ihn als Reise- und Alltagsauto nutzen? Ja. 
  • Klein und flexibel oder groß und schwer? Klein und flexibel. 
  • Wie viele Sitze wollen wir? Drei reichen. 
  • Stehhöhe oder Parkgarage (wegen Alltag) und enge Passstraßen mit Felsüberhang (wegen Bergliebe)? Parkgarage und enge Passstraßen. 

Unsere Antworten haben dazu geführt, in die Suchfilter der Online-Plattformen für Gebrauchtwagen „VW-Bus“ zu tippen. Der nämlich ist niedriger als die magische Zwei-Meter-Marke, dennoch hoch genug, damit wir, wenn schon keine Stehhöhe, eine gemütliche Sitzhöhe haben werden. Übrigens im Gegensatz zum Mercedes Vito, bei dem uns für den 1,90-Meter großen Felix ein paar entscheidende Zentimeter gefehlt hätten. Ein VW-Bus also sollte es sein, möglichst neu, möglichst wenige Kilometer, möglichst gut in Schuss, möglichst wenige (und verantwortungsbewusste) Vorbesitzer. Die genauen Faktoren entschied unser Budget. 

Bauchgefühl für den Kauf

Ein paar Wochen später, im Februar 2019, hat unser Bauchgefühl entschieden: Der rote VW T5, den vorher eine Familie als Alltagsauto benutzt hat, hat nicht nur in all unsere Suchfilter gepasst, sondern sich sofort richtig angefühlt. Wir tauften ihn Willi, wobei sich weder Felix noch ich erinnern können, wie wir auf den Namen gekommen sind. Wir nahmen ihn mit – und während wir 300 Kilometer nach Hause tuckerten, konnte ich zwei Dinge gar nicht glauben: Erstens, dass wir einfach so einen VW-Bus gekauft hatten. Zweitens, dass dort hinten zwischen den hellgrauen Plastikwänden, wo gerade noch fünf Sitze fest im Boden verankert sind, unser gemütliches Zuhause für unterwegs entstehen wird. 

Das aber wird viel länger dauern, schwieriger und nervenaufreibender werden, als wir uns zu dem Zeitpunkt vorzustellen vermochten. 

Starke Nerven für den Ausbau 

Wir hatten ja keine Ahnung. Von Autos generell nicht, von Bussen und ihren Umbauten erst recht nicht. Wir wussten nicht, welcher Trend hinter #vanlife und #vanconversion steckt. Wir wussten nicht, worauf wir uns einlassen, wie viele Monate und wie intensiv uns der Ausbau beschäftigen wird. Was wir aber wussten: Wir wollten dieses Lebensgefühl aus Australien, als Xavier Rudd in der billigen Box knisterte und ich bei heruntergekurbeltem Fenster versuchte, die Freiheit einzufangen. Genau solche Roadtrip-Momente wollten wir künftig sammeln können. Immer und überall, nah und fern, an allen freien Tagen und sogar an einem Dienstagabend. Viel würden wir dafür nicht brauchen. 

Nach intensiven Recherche-Abenden auf YouTube, verschiedenen Blogs, Instagram und in unserem Australien-Fotoalbum entschieden wir uns, dass wir unseren Bulli einfach halten wollten. 

»Für jemanden, der ansonsten mit Rucksack und Zelt unterwegs ist, sind Blechwände und eine echte Matratze allein ein kaum vorstellbarer Luxus.«

Wichtig war uns vor allem ein Bett mit genug Platz: 130 Zentimeter breit und zwei Meter lang sollte es werden. Tagsüber würde es sich in eine L-förmige Sitzecke verwandeln. Daneben wird unser Kleiderschrank sein und daran befestigt ein Schwenktisch. Davor eine Indoor-Küchenzeile mit Platz für zwei 15-Liter-Wasserkanister, unseren Spirituskocher, die Standheizung, eine Arbeitsfläche und Küchenutensilien. Unter dem Bett werden sich quadratmeterweise Stauraum verbergen und ein Küchenauszug unter der Heckklappe für alle Tage, an denen es nicht zu kalt für eine Outdoor-Küche ist. 

Hinter diesen Ausbau-Erkenntnissen stecken viele Rechenaufgaben und Excel-Tabellen. Jeder Zentimeter zählt, noch mehr aber die, die es nicht gibt. Ob der theoretische Plan wirklich aufgeht – das zeigt sich erst in der Praxis. In den folgenden Monaten haben Felix und ich jeden freien Tag mit meinen Eltern in ihrer Garage verbracht. Sitze raus, Verkleidungen ab, Isolierung ran, Heizung rein, Bodenplatte, Boden und neue Holzverkleidungen rein, Kabel verlegen, Möbel zeichnen, Möbel bauen, Matratze schneiden, Polster und Vorhänge nähen. Dazwischen zig Mal zum Baumarkt fahren, recherchieren, umplanen, fluchen, Freudensprünge. Fast ein halbes Jahr hat es gedauert, bis wir Willi wieder zulassen konnten. Offiziell ist er jetzt ein Wohnmobil. Unser Zuhause, wo immer wir gerne eins haben wollen. 

Auf Instagram haben wir den Bulli-Ausbau schrittweise begleitet. Hier geht’s zum Story-Highlight

Die ersten Reisen 

Die ersten Touren haben uns in wilde Ecken der Alpen geführt, nach Österreich, Südtirol, quer durch Deutschland, nach Italien, Korsika, Frankreich und in die Schweiz. Und auf versteckte Parkplätze nur ein paar Kilometer von unserer Wohnung entfernt.  Wir haben das Lebensgefühl aus Australien zu uns geholt. Denn diese Roadtrip-Freiheit hat viel weniger mit dem Outback oder dem Reiseziel an sich zu tun. Stattdessen dreht sie sich darum, das Fenster nach unten zu kurbeln und die Musik aufzudrehen. 

Deutschland vs. Australien 

Ein paar Unterschiede zwischen der australischen und der deutschen Bulli-Freiheit gibt es aber natürlich trotzdem: Unsere Übernachtungsplätze müssen wir in Deutschland länger suchen, die Auswahl erfordert mehr Feingefühl. Meistens nächtigen wir nicht auf Campingplätzen, sondern frei. Grundsätzlich hat jedes Land andere Regeln, was Wildcamping angeht. Wichtig ist, dass wir uns vorher informieren, was erlaubt ist – und was nicht. 

»Für Deutschland gilt: Rein rechtlich betrachtet dürfen wir in Deutschland auf Raststätten und öffentlichen Parkplätzen übernachten.«

Wenn nichts anderes auf den Schildern steht, ist es erlaubt, mit dem Fahrzeug eine Nacht stehen zu bleiben, um sich auszuruhen und die Fahrtüchtigkeit wiederherzustellen. Aber: Parken ist nicht Campen. Möbel, Grill und Co. müssen im Bus bleiben. 

Eine andere Möglichkeit, außerhalb von Campingplätzen in der Natur zu stehen, sind Privatgrundstücke. Natürlich nur, wenn es für die Besitzer fein ist, dass wir dort eine Nacht verbringen. Wir hatten schöne Begegnungen, als wir zum Beispiel bei Bauern nachgefragt haben, ob wir uns neben den Traktor in den Wald stellen dürfen. 

In den meisten Regionen gibt es außerdem Wanderparkplätze, auf manchen ist sogar das Stehen über Nacht erlaubt. Alle anderen Wege, Parkbuchten, Lichtungen, Ufer sind für Fahrzeuge tabu. Das gilt natürlich auch und erst recht für uns Camper. Wo es nicht angedacht ist, dass Autos fahren, hört für uns der Weg auf. 

Die Freiheit vom Ende der Welt gibt es überall 

Wildcamping in Deutschland ist eine knappe Grauzone, eine Gratwanderung und meist eine Bauchgefühl-Entscheidung. Auch auf den größten Rest Europas trifft das übrigens zu – dennoch haben wir in unseren ersten eineinhalb Jahren ausschließlich gute Erfahrungen gemacht. 

Wenn es Schlüssel zum Wildcamping-Glück in Deutschland gibt, dann sind das wahrscheinlich Respekt, Freundlichkeit und Umsicht. Und wenn sich am nächsten Morgen niemand gestört gefühlt hat, wenn niemand sieht, dass wir hier gewesen sind – dann haben wir alles richtig gemacht.  Wenn wir uns alle darum kümmern, dann werden wilde Plätze wild bleiben.  In Australien wie in Deutschland. Sobald ich das Schiebefenster von unserem Bulli nach unten kurble, die Musik aufdrehe und Xavier Rudd aus den Boxen dröhnt, dann macht das kaum mehr einen Unterschied. 


Franziska im Interview

Wenn du die beiden Globetrotter noch etwas näher kennenlernen möchtest: In der zweiten Folge unserer Interview-Reihe zum Thema Vanlife haben wir Franzi und Felix in der Nähe von Rosenheim besucht.