Via Claudia Augusta by Bike

Aus eigener Kraft über die Alpen – das klingt nach großer Herausforderung und Entbehrung, ist aber gar nicht so schwierig, wenn man einer alten Römerstraße folgt.

Julian Rohn
Aus eigener Kraft über die Alpen – das klingt nach großer Herausforderung und Entbehrung, ist aber gar nicht so schwierig, wenn man einer alten Römerstraße folgt.

Wie oft bin ich den Fernpass bereits gefahren? Gefühlt jedes zweite Winterwochenende in Richtung Tiefschnee. Oft gestresst im Stau mit den anderen Schlaumeiern, die dieselbe Idee hatten. Wenige Hundert Meter von dieser Hauptverkehrsachse entfernt bin ich heute völlig entspannt. Auf dem Fahrrad. Vom nahen Verkehr ist im dichten Wald nix zu hören. Wir rollen vorbei an mehreren tiefgrünen Seen, die man vom Auto maximal aus dem Augenwinkel sieht. Mit der Zugspitze im Rücken knirschen die Reifen langsam, aber steti­g über den Schotterweg, der sich unbehelligt von der Bundesstraße über die Passhöhe zieht. Erste Hürde auf dem Weg über die Alpen. Und unser erster Tag mit einer ganz neuen Perspektive auf Altbekanntes.

Seit Ehrwald folgen wir der Via Claudia August­­a, einer alten Römerstraße, die Kaiser Augustus vor 2000 Jahren in Auftrag gab und schließlich unter Kaiser Claudius fertiggestellt wurde. Sie gilt als erste Handelsstraße zwischen Italien und Süddeutschland und führt von Donauwörth am Lech entlang über den Fernpass nach Tirol, folgt dem Inn fluss­auf bis zur Schweizer Grenze und klettert dann über den Reschenpass nach Südtirol. In Trient teilt sich die alte Handelsroute in Richtung Venedig oder Verona – während wir zum Gardasee abbiegen werden. In den Täler­­n folgt die Route den Inn- und Etschradwegen. Zwischendurch sind immer wieder ein paar unbefestigte Kilo­meter zu bewältigen und besonders am Fernpass ist etwas Traktion auf dem Schotter von Vorteil. So­lange aber die Übersetzung berggängig ist, braucht es für die Via Claudia nicht zwingend ein Mountainbike. Im Schnitt bewältigen wir angenehme 900 Höhenmeter und 70 Kilometer am Tag – dafür sind wir mit Schlafsack und Zelt unterwegs. Wer leichtes Gepäck bevorzugt, findet auch genug Unterkünfte aller Klassen entlang des Wegs.

Im Obstgarten Europas

Zwei Tage später am Reschenpass. Die Königs­etappe. Hier gibt es keinen extra Radweg. Dafür wird der Hauptverkehr über eine Schnellstraße geleitet, während man als Radfahrer die alte Passstraße fast für sich hat. Die zieht sich direkt von der Schweizer Grenz­e über elf Kehren zur Norbertshöhe und über Nauders in Richtung Reschen­stausee. Der Alpenhauptkamm liegt jetzt hinter uns und die kommenden zwei Tage lassen wir es hauptsächlich rollen. Mit Blick auf den Ortler rauschen wir im Vinschgau an Apfel- und Birnenplantagen vorbei durch den Obstgarten Mitteleuropas. Ab Meran mischen sich immer mehr Rebstöcke dazwischen, ehe wir uns am Kalterer See endgültig im Zentrum des Südtiroler Weinanbaus befinden.

Es wird immer italienischer. Spätestens in Trient kommt man mit Englisch besser weiter als mit Deutsch. Am letzten Tag wollen wir es noch mal wissen. Hinüber zum Gardasee fahren wir die knackige Variante über kleine Nebenstraßen nach Sardagna – und nähern uns dem See direkt von Norden. Großes Final­­­e. Nach dem rituellen Sprung ins Wasser stellt sich das angenehme Gefühl ein, den See richti­g erarbeitet zu haben – anstatt sich wie sonst einfach nur ein paar Stunden ins Auto zu setzen.

Text: Julian Rohn
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